mixed up

Seit Tagen weckt mich unser Wecker morgens früh mit sich stetig verschlechternden Nachrichten über die Hurrikan-Folgen in den USA. Mein Gefühl von Bitterkeit nimmt zu. Ist das ein Thema für den Blog? Wie lässt sich über eine solche Katastrophe kommunizieren? Aus der Entfernung, der ohnmächtigen Position eines Zuschauers, der weder Auftrag noch Möglichkeit hat, auf irgend eine Weise einzugreifen? Macht das Sinn? Oder vervielfacht man nur den Chor der Stimmen, die ohnehin derzeit überall zu vernehmen sind? Und wäre damit etwas gewonnen? Wie jemand spricht, der tatsächlich einen Auftrag hat, aber auch zur Ohnmacht gezwungen ist, ist im [CNN-Interview mit dem Bürgermeister von New Orleans von gestern](http://edition.cnn.com/2005/US/09/02/nagin.transcript/index.html) nachzulesen (der Sender hat übrigens auch in der Katastrophe nicht versäumt, die vom Bürgermeister benutzten Kraftausdrücke bigotterweise mit einem Piepton zu unterlegen, um das amerikanische Volk vor Vulgarität zu schonen).


Gestern abend habe ich erstmals seit Wochen den Fernseher eingeschaltet: zur "Heute"-Sendung - gewöhnlich informiere ich mich nur aus der Zeitung, dem Radio und dem Internet, weil ich mich da freier fühle, vor und zurück zu springen, zu überfliegen oder mich in Details zu versenken, kurz: Distanz zu halten. Was ich sehe, ist das, was vorher bereits schon zu lesen war: Arme Menschen, fast alle schwarz, viele Kinder, viele Alte. Die wohlhabenderen, weißen Amerikaner, zumindest die Autobesitzer, waren schon vorher auf den Highways bei der Flucht vor dem Sturm zu besichtigen, in den endlosen Staus der offiziell angeordneten Evakuierung. Bei denen, die übrig blieben, fehlten offensichtlich die Ressourcen für eine erfolgreiche Flucht. Wie sehr die Politik der Rassentrennung hier immer noch eine (strukturelle) Rolle spielt, schildert eindrücklich ein Artikel von [Craig Morris in der TAZ von gestern](http://www.taz.de/pt/2005/09/02/a0114.nf/text.ges,1), der gleichzeitig schon eine Art Nachruf auf die Stadt darstellt.


Das soziale und finanzielle Kapital dieser Rest-Bevölkerung ist - für jeden sichtbar - sehr gering. Sie hat keinen Einfluss, keine Lobby, kein Geld - und sieht auch nicht so aus, als hätte sie bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen Bush gewählt. Dies lässt natürlich den Verdacht aufkommen, dass Hilfe nicht in erster Linie organisiert wird, weil man sich diesen Menschen verpflichtet fühlt, sondern weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, man hätte nicht genug unternommen. Das klingt zwar hart, trifft aber letzten Endes die gegenwärtige Operationslogik von Politik: nämlich eigenes Handeln vor allem an der erwarteten Medien-Resonanz zu orientieren und weniger an der dauerhaften Vertretung bestimmbarer Interessen auszurichten.


Jedenfalls wirkte der im ZDF zu besichtigende Auftritt des amerikanischen Präsidenten im Katastrophengebiet sehr merkwürdig. Er machte auf mich einen eher unsicheren, fast abwesenden Eindruck. Es schien fast so, als hätte ihn sein Lieblingsfeind im Stich gelassen. Hätte doch nur Osama den Hurrikan verursacht. Dann hätte er wieder seine Lieblingsrolle als GRÖFAZ einnehmen können. Es war ihm anzumerken, dass er für diese Situation weder eine passende Körpersprache noch Rhetorik zur Verfügung hatte. Denn hier geht es nicht darum, dass die USA für eine gute Sache Opfer bringen müssen, sondern um die Frage, warum so viele Menschen im freiesten und reichsten Land der Welt zum Opfer der Flut werden, nur weil die Hilfe nicht schnell genug und zu wenig koordiniert auf die Beine gestellt wird. Im Nachrichtenfilm erfährt man dann noch, dass auf der Strecke in Biloxi, die Bush für das Fernsehen zu Fuß zurücklegte, zuvor eine Vielzahl von Helfern die Leichen zu beseitigen hatte - und nach seinem dem Besuch die Stadt mit ihm wieder verlassen haben. Zwischendrin umarmt Bush eine schwarze Mutter und ihre Tochter - und scheint sie gar nicht mehr loslassen zu wollen, als seien sie die Garantinnen für sein weiteres Wohlergehen.


Vor kurzem ist mir bei einer großen Aufräumaktion wieder das Buch "Global 2000" aus dem Jahre 1980 in die Hände gefallen - ein Umweltbericht, der 1977 übrigens vom damaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter (sic!) in Auftrag gegeben wurde. Die Katastrophen-Szenarien, die dort für die Welt erstmals in dieser Ausführlichkeit entwickelt und zugänglich gemacht wurden, haben bei mir nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die systemischen Zusammenhänge von menschlichem Handeln und Unterlassen einerseits und die allmähliche Destruktion unseres Planeten sind mir erst hier in allen Einzelheiten deutlich geworden. Nun sind viele der Vorhersagen bereits eingetreten, ohne dass sie nennenswerten Einfluss auf die globale Politik hätten nehmen können. Und auch hier ist alles wie in New Orleans: zu wenig, zu langsam, zu schwerfällig.


Schmerzlich ist es, dass die (Be-)Achtung der Ökosphäre bis heute nur ein zweitrangiger Topos in der Selbstreflektion der Gesellschaft geblieben ist und eher an ihren Rändern stattfindet. Das mag in der Vergangenheit sicherlich mit manchen romantischen Wurzeln der Öko-Bewegung zu tun haben, die für die Mehrheit der Gesellschaft offenbar nur bedingt anschlussfähig waren. Mittlerweile sind wir aber an einem Punkt angelangt, wo es nicht mehr nur um spekulative Zukunftsszenarien geht, sondern darum, dass die menschliche Ausbeutung und Vernichtung der Natur offenbar die ohnehin immer wieder auftretende Entfesselung von Naturgewalten in ihrer Eigendynamik verstärkt und beschleunigt, mit katastrophalen Folgen nicht nur materieller, sondern - wie man sehen kann - auch zivilisatorischer Art. Und es wird nicht immer nur die Ärmsten Treffen.


Vor diesem Hintergrund kann ich an dem umstrittenen Artikel von Jürgen Trittin nicht viel Falsches finden. Das heuchlerische Wahlkampf-Argument aus dem Unionslager, es handele sich um eine Beleidigung der Opfer, tut so, als würde der Artikel behaupten, dass sich die Toten und Kranken ihr Schicksal selbst zuzuschreiben hätten. Stattdessen geht es darum, Verantwortung und Verantwortliche gerade einmal in dem Moment zu benennen, wo ihr Versagen in jeder Hinsicht zu beobachten ist. Das steht der dringend notwendigen massiven Unterstützung der Opfer überhaupt nicht im Wege. Solange aber die ökologische Debatte aber nicht selbst in den Krisen zugespitzt wird, tut sich gar nichts. Es gibt dann große Sammelaktionen (wie beim Tsunami im vergangenen Winter) in der Öffentlichkeit, aber die Diskussion über die ökologisch nachhaltige Gestaltung unserer Welt wird wieder in die entsprechenden Fachkreise und politischen Nischen verlagert, bis zur nächsten Katastrophe. Und genau das macht bitter. Und damit habe ich wohl nicht mehr gemacht, als mich in den oben genannten Chor der Stimmen einzureihen. Aber vielleicht ist das auch eine gute Möglichkeit, mal was loszuwerden.