Späte Dialogik

Gestern Abend hatte ein befreundeter Kollege seine Buchvernissage, Dialogik als therapeutischer Ansatz. Eine gute Gelegenheit, einige „alte“ Kolleginnen und Kollegen wieder zu treffen, Erfahrungen und Erinnerungen auszutauschen.

Vor allem freute ich mich auf Heinz Stefan Herzka, der mich schon während des Studiums als Professor (Kinder und Jugendpsychopathologie) stark beeindruckt hatte und mich viele Jahre später während meiner Dissertation fachlich, zuversichtlich und aufmunternd betreute. Er ist ein wichtiger Vertreter des Ordnungsprinzips der Dialogik.


Nicht zu verwechseln mit Dialektik, beeindruckt dieses Prinzip des „Sowohl als Auch“ zwischen spannenden Gegensätzen und lebendigen Widersprüchen nicht nur durch seine - im wahrsten Sinne des Wortes – Kompromisslosigkeit und Anschaulichkeit, sondern auch durch seine Relevanz auf therapeutischer, politischer, ökologischer, religiöser oder philosophischer Ebene.

Es gibt und braucht keine Kompromisse (und schon gar keine faulen) zwischen Polen, die erst durch das Entgegengesetzte erkennbar werden, wie hell und dunkel, gut und böse oder sich durch ihre Unterschiedlichkeit definieren, wie männlich und weiblich, zwischen Individuum und Gruppe, zwischen Umwelt und Technik, zwischen Christen - und Judentum, oder zwischen Kinder – und Familientherapie ……, aber lebendige Lösungen und kreative Koexistenz auf einer höheren Ebene.


Spätestens hier werden Parallelen zur Kybernetik 1. und 2. Ordnung deutlich und es könnte sich ein befruchtender Dialog entwickeln, zumindest dort, wo spannende Unterschiede erkennbar werden.

(Bisher spielt die Dialogik bei systemischen Ansätzen meines Wissens nur bei Boszormenyi-Nagy eine gewichtige Rolle?).


Es wäre wohl auch interessant, die Möglichkeiten der Dialogik im Schulenstreit der Psychotherapie auszuloten.


Als Beispiel für einen politischen Prozess, der völlig in Dialektik erstarrt ist, nannte Herzka gestern spontan die Situation in Deutschland vor und nach der Wahl.

Sein Vorschlag, Schröder und Merkel zu je einer 50% Stelle im Kanzleramt zu verpflichten war zwar nicht ganz ernst gemeint, würde aber dem umstrittenen Kündigungsschutz in Deutschland zu einer völlig neuen Bedeutung verhelfen.


Es war ein langer Praxistag, ich habe Hunger und wünsche Ihnen eine gute Nacht!

Peter Hain