Unterschiedliche Kontrollideen

Einer der Gründe, warum ich hier so oft über Amerika schreibe, dürfte sein, dass in der Presse und der öffentlichen Diskussion die USA oft als Vorbild genutzt werden; ein anderer, dass ich als BRD-Nachkriegskind mit der Idealisierung der USA (Reaktion auf die Nazizeit) augewachsen bin; ein dritter, sachlicher Grund ist, dass der Unterschied der gesellschaftlichen Verhältnisse in Europa und den USA wahrscheinlich aufschlussreicher ist als der Vergleich mit China oder Indien, gerade weil beide Systeme relativ ähnlich scheinen.


Was es sowohl in den USA wie auch hier gibt, ist der Ruf nach Kontrolle, wenn irgendwas im öffentlichen Leben nicht so läuft wie erwünscht. Das Massaker in Newtown hat die Kontroverse über die Freizügigkeit des Waffenhandels losgetreten. Aber nicht nur die, sondern auch noch eine, die psychiatrisch relevant ist. Es geht darum, "rechtzeitig" vor "psychisch gestörten, potentiellen Kindermördern" zu warnen (oder so ähnlich). Psychiater, die Patienten haben, die ihnen verdächtig erscheinen, sollen dies den Behörden melden.


Dass Psychiater ja immer irgendwo auf der Grenzlinie zwischen Kontrolle und Therapie balancieren, dürfte kein Geheimnis sein. Aber ihnen jetzt so eindeutig die Rolle des Ordnungshüters, noch dazu des mit einer präventiven Aufgabe versehenen, zuzuschreiben, sollte eigentlich die Profession auf die Barrikaden rufen.


Zum einen rührt dies an die Identität und das Selbstverständnis des ganzen Berufsstandes, zum anderen geht es von Prämissen über die sogenannten Geisteskrankheiten bzw. die Gefährlichkeit von Patienten aus, die schlicht falsch sind.


Und die Idee, jemanden vorbeugend aus dem Verkehr zu ziehen, weil er gewalttätig werden könnten, rührt an die Grundfesten der freiheitlichen und demokratischen Grundordung (wie es immer so schön heißt).


Dass Menschen, die nicht den üblichen Erwartungen an das Einhalten der sozialen Spielregeln entsprechen (=Innenkontrolle), werden fast überall aus dem Verkehr gezogen (=Außenkontrolle). Aber dass dies schon geschieht, bevor sie etwas getan haben, entspricht der Nutzung der Psychiatrie zur Behandlung von Dissidenten in der Sowjetunion.


Es wäre sicher leichter, den Waffenhandel zu kontrollieren als die eigenen Bevölkerung im Blick auf mögliche psychische Ausnahmezustände. Denn es sind ja meist nicht psychiatrische Patienten, die Amoklaufen, sondern "gute Bürger", die bis dato eher unauffällig waren...


Siehe auch:

http://www.nytimes.com/2013/01/16/health/breaking-link-of-violence-and-mental-illness.html?hp&_r=0