Was ist normal?

Gestern Abend habe ich an einer Fernsehdiskussion zum Thema "Was ist normal" teilgenommen ("Scobel"/3Sat). Anlass, hier noch mal ein paar Definitionen zu liefern.


Zunächst ist voraus zu schicken, dass "Was-ist"-Fragen immer etwas problematisch sind, weil sie suggerieren, eine Eigenschaft (z.B. "normal") würde unabhängig von irgendeinem Beobachter irgendeine Seinsqualität aufweisen. Das ist natürlich Quatsch. Fragen wir also, was von irgendwelchen Beobachtern als "normal" bezeichnet wird.


Antwort: Normal wird genannt, was den Erwartungen in einem gegebenen sozialen Kontext (Familie, Gruppe, Kultur, Subkultur etc.) entspricht. Dies Zuschreibung bezieht sich daher zwangsläufig immer auf irgendwelche Phänomene, die von einer Vielzahl von Beobachtern beobachtet werden können; d.h. vor allem Verhalten bzw. Lebensformen. Und ihre Bedeutung gewinnt diese Zuschreibung erst durch die Unterscheidung normal/nicht-normal.


Nicht-normal ist ein Verhalten bzw. eine Lebensform, die nicht den Erwartungen entspricht. Konkret heißt dies, dass entweder etwas getan wird, was nicht erwartet wird, oder etwas nicht getan wird, was erwartet wird.


Man steht morgens nicht auf und putzt sich nicht die Zähne und verstößt damit gegen soziale Gebote, oder man läuft nackt durch die Fussgängerzone und vestößt gegen soziale Verbote.


Mit dem Begriff wird also nicht nur ein Phänomen beschrieben, sondern bewertet. Problematisch wird es, wenn dieser Begriff zur Erklärung des beschriebenen Verhaltens verwendet wird, wenn z.B. derjenige, der sich nicht duscht als nicht normal bezeichnet wird und die seinem Verhalten unterstellten psychischen Prozesse als nicht der Norm entsprechend bewertet werden.


Das ist m.E. ziemlich schwachsinnig. Es ist das Modell, nach dem "psychische Krankheiten" konstruiert werden...


Dass dies sinnvoll ist, kann (und sollte) man bezweifeln...


3sat.online - Mediathek: Was ist normal?.