Ein unheimlicher Virencocktail

Am 5.2. wollte ich in meiner Kolumne bei focus-online, in der ich immer wieder mal über China schreibe, was über die Coronakrise schreiben. Einige Tage zuvor hatte ich einen Beitrag über typische Verhaltenmuster in Bezug auf die Isolation von Millionen Menschen geschrieben. Am 2.2. aber weit gefehlt. Mir wurde lapidar mitgeteilt, dass der Beitrag nicht akzeptiert werden würde. Zwei Argumente waren ausschlaggebend:


1. Ich sollte all das rausnehmen, das auf Medienbashing hinweist


2. Ich solle nicht über mich als Schreibenden sinnieren, indem ich eine (selbst-)kritische Haltung offenlegen würde. Hab inzwischen wieder Zugang zu meinem Körperleser-Blog hier. Daher etwas verspätet, hoffentlichn nicht zu spät, mein damaliger Beitrag. Dieser wurde inzwischen in China auf Deutsch, auf Englisch und auf Chinesisch online veröffentlicht. Unter anderem in der Peking Rundschau. China-Kenner erinnern sich vielleicht an dieses Medium sicherlich aus alten Zeiten.


Hier also der Text:


Seit ca 4 Wochen (Stand 5.2.) beherrscht das Coronavirus die Schlagzeilen der globalen Berichterstattung. Anfangs nur in China. Dann überall auf der Welt. Das Coronavirus hat inzwischen auch weite Teile der Politik gepackt. Und das Coronavirus löst eine globale Panik aus. Das Wachstum der Weltwirtschaft ist ebenso schon infiziert. Dies geschieht global zeitgleich, in Echtzeit.


Die Auseinandersetzung über das Virus trägt, man könnte geneigt sein zu sagen, bereits pandemische Züge. Damit meine ich nicht nur die Berichterstattung über die Gefahren des Coronavirus: Es geht um einen konkreten Virus.


Es geht um die Panik als einem emotionalen Virus. Und es geht um die digitale Kommunikation über Medien insbesondere Social Media als dem dritten Virus. Inzwischen scheint es gar keinen Unterschied mehr zu machen, von welcher Seite aus man dies alles betrachtet. Kann man doch nicht sich gleichzeitig nicht mit den anderen zwei Viren befassen.


Nicht drei Viren haben die Welt zurzeit im Griff. Vielmehr scheint die Welt einen Virencocktail getrunken zu haben, der sie erheblich aus dem Takt gebracht hat. Einen Cocktail, der in weiten Teilen der Welt eine ähnliche Wirkung zeigt. Wir sitzen also alle in einem Boot.


Aber wir handeln nicht danach.


Die Erschütterung, die damit einhergeht, löst eine tiefe, überwältigende und beinah unheimliche Reaktion von Unsicherheit aus. Überall in der westlichen Welt und im südost-asiatischen Raum. Viele erleben sich wie von einem äußeren, unsichtbaren Feind bedroht oder angegriffen, einem Feind, der überall lauern könnte. Einem Feind, der einer Welle gleich, alte gewohnte Sicherheiten zu überschwemmen droht. Der Feind ist aber nicht nur das Coronavirus. Auch die Panik wird wie ein Feind erlebt, wie etwas, das über einen selbst und die Welt hereinzufallen droht. Öffnet man dann sein Smartphone, um sich zu informieren oder mit Freunden und Verwandten auszutauschen, schlägt einem die Welle von Anfeindungen, Gerüchten, Diskriminierung, Ausgrenzung, Panik oder ohnmächtigem Leid entgegen.


Es ist daher nicht verwunderlich, dass Menschen sich Sicherheit wünschen, noch viel mehr Schutz suchen, der sich nicht selten in dem Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit ausdrückt. Hofft man doch dort der subtilen oder offenen psychischen Erschütterung, vielfach als Traumatisierung bezeichnet, entgehen zu können. Eine solche psychische Erschütterung kann nicht nur von den Menschen, die in den vom Coronavirus betroffenen Gebieten leben oder gar infiziert sind, wie eine Gewalteinwirkung von außen erlebt werden. Auf dem Hintergrund der SARS-Epidemie von 2002 / 2003 trägt sie auch retraumatisierende Züge.


Traumaforscher sprechen dann von: „…einem vitalen Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“ (G.Fischer u. P.Riedesser). Wie begegnet man aber Menschen, die unmittelbar, vom Virus (möglicherweise) infiziert sind? Wie denen, die aus China kommen aber tausende von Kilometern entfernt vom unmittelbaren Krisengebiet um Wuhan leben?


Wie begegnet man der medialen Berichterstattung, der Flut von polarisierenden Kommentaren auf Social Media? Wie hält man sich die drohende eigene Panik vom Leib? Wie wehrt man sich in Deutschland gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und fremdenfeindliche Berichterstattung gegenüber chinesisch aussehenden Menschen? Spiegel-Titelgeschichte und Titelblatt der Ausgabe vom 1.2.2020 sind ein markantes Beispiel. Sie erwecken den Eindruck („Coronavirus: Made in China“), als wäre das Coronavirus in China hergestellt. Verbunden mit der implizit vermutbaren Botschaft, dass China wieder einmal sich als gefährlicher Roter Drache erwiesen habe. Dies weckt nicht nur Fassungslosigkeit sondern Empörung ob der viralen Wirkung einer solchen Botschaft. Spätestens jetzt, so kann vermutet werden, sei (nicht nur) Spiegellesern klar, wo der Feind zu sitzen habe. Und wenn man den Feind identifiziert habe, könne man sich wieder sicher fühlen.


Recht schnell entstand ein deutlicher Widerstand dagegen, den eigenen Blick auf dieses erschütternde Zusammenspiel, das uns alle in der Welt betrifft, zu richten. Nämlich darauf, dass der eine Virus nicht ohne die anderen beiden beleuchtet und angegangen werden kann. So gibt es entweder die Vertreter der Fakten, die die gegenwärtige Entwicklung z.B. mit der Grippewelle in Deutschland von 2018 vergleichen. Sie raten inständig, doch ob dieses Vergleichs der Fakten nicht in Panik zu verfallen. Was seien schon gut 900 Tote (Stand vom 10.2.2020) im Vergleich zu 20 000 Toten 2018 in Deutschland. Dann gibt es die Vertreter der Abschottung. Wenn die Außengrenzen dicht seien, dann würde man genügend gesichert sein. Also niemanden ins Land lassen oder nur unter Quarantäne. Diejenigen, die persönlich ganz auf Nummer sicher gehen wollen, hängen ein Schild an Ihr Restaurant, das das Betreten des Restaurants chinesisch aussehenden Menschen untersagt. Dann gibt es diejenigen, die aus der sicheren Distanz die Welterklärer spielen, dabei oftmals die eine oder andere Perspektive überstrapazieren, sich selbst aber nicht einbeziehen. Ganz zu schweigen von denen, die sich durch Satire über alles hinwegheben wollen. Auch diejenigen sollten genannt werden, die in altes Wagenburgverhalten verfallen und die Welt in Gut und Böse aufteilen, indem sie mit dem journalistischen Zeigefinger (mal wieder) auf China zeigen. Schüren sie doch hierdurch mal wieder die zumindest in Deutschland vielfach vorhandene Angst vor dem Fremden. Tagtäglich berichtete politische und kulturelle Ressentiments suchen inzwischen ihresgleichen. Schließlich gibt es noch diejenigen, die ihre Vorurteile bestätigt sehen, sich darüber im kleinen Kreis erzürnen sich aber schweigend, früher hätte man gesagt, „vornehm zurückhalten“. Es ändert sich dann wahrlich gar nichts.


Schutz suchen meint dann: ich bin ok, wenn Du nicht ok bist.


All diese Menschen scheinen aber etwas gemeinsam zu haben. Sie sind zutiefst verunsichert und wissen konfrontiert mit der Unheimlichkeit dieses Virencocktails gegenüber nicht so recht zu reagieren. Sie haben Angst, auch wenn sie sich das nicht eingestehen wollen. Allein ihr Verhalten sowie die psychische Strategie der Abwehr, des Widerstands gegenüber einer ausgewogenen Betrachtung der Situation, nämlich auch ihrer eigenen, können als Zeichen hierfür angesehen werden.


Ich selbst weiß wie schwierig das ist. Habe ich doch in meinem letzten Artikel über Wuhan vom 1.2.2020 auf focus-online versucht, sachlich chinesisch-typische Verhaltensmuster im Umgang mit einer Krise zu beschreiben, um die Situation besser nachvollziehbar zu machen. Ich habe aber gleichzeitig, wie ich inzwischen gemerkt habe, „zu sachlich-distanziert“ berichtet. Meinte ich doch als Experte nicht emotional werden zu „dürfen“. Über Chinesen in einer solchen Situation zu schreiben, die unfassbar schrecklich ist, steht mir als Experte nicht zu so distanziert zu bleiben. Habe ich doch als Mensch nicht wahrnehmen können, dass es auch um mich und uns hier in Deutschland geht. Wir haben auch von dem Virencocktail getrunken.


Trunken von dem Virencocktail meinte ich, die Expertenrolle könne mir hinreichend Schutz und Sicherheit in diesem globalen Geschehen bieten. Schutz gegen die emotionalen Geister möglicher eigener Angst und Unsicherheit. Hierdurch lief ich selbst Gefahr, die Menschen in Wuhan, in China und auch sonst wo auf der Welt aus dem Auge zu verlieren. Nicht ihre traumatische Erfahrung zu sehen, auf die, würde ich sie sehen, ganz anders zu reagieren sei.


Die von mir insgeheim erhoffte Sicherheit in der Expertenrolle stellte sich daher als trügerisch heraus. Bot sie mir doch (lediglich) Sicherheit in der Gruppe von Experten, grenzte mich aber zugleich ab von der Gruppe der Menschen, die von den Auswirkungen des Virencocktails überflutet waren.


Wenn die Vermutung zutrifft, wir alle wurden, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, von der Welle des Virencocktails infiziert, liegt es nahe, Schutz und Sicherheit in dem gemeinsamen Erleben einer solchen Situation sowie im offenen transparenten Austausch hierüber zu suchen, nicht nur in irgendeiner Subgruppe.


Weiß man doch aus der Resilienzforschung, dass es zumindest vier Faktoren gibt, die Schutz, Sicherheit somit Gesundung ermöglichen. (Resilienz meint u.a. die Fähigkeit nach mehreren Schicksalsschlägen sich selbst nicht aufzugeben und es zu schaffen, das Leben wieder in positive Bahnen zu lenken).


Diese vier Faktoren sind:


• Alleine geht‘s auf keinen Fall gut


• Es müssen Ressourcen zur Verfügung stehen bzw gemeinsam entwickelt werden, diesen Anforderungen zu begegnen.


• Das Vertrauen darin, dass das gemeinsame entsprechende Engagement und die persönliche Anstrengung sich lohnen


• Wiedergewinnen des Vertrauens darin, dass das, was passiert, wieder vorhersehbar, verstehbar und erklärbar wird, gemeinsam mit den anderen Betroffenen.


Es geht also nicht allein. Abgrenzung und Ausgrenzung sind äußerst schlechte Ratgeber. Schutz und Sicherheit kann nur die Gruppe der Betroffenen geben. Gemeinsam an einem Strang zu ziehen kann Hoffnung und Wiedererlangen von Kontrolle über die Situation ermöglichen. Vertrauen in sich selbst und in sein Gegenüber, hier in Deutschland sowie in die Menschen in China, können den Virencocktail entzaubern.