Sex - früher

Eine der bei Journalisten beliebtesten, jedenfalls mit am häufigsten gestellten Fragen ist die nach Veränderungen der Sexualität heute – im Gegensatz zu „früher“. Unter früher wird meistens die Zeit vor 68, vor der großen Liberalisierung  verstanden.  Je nach Geschichtsschreibung läßt sich der Markierungspunkt „früher“ aber auch anders setzen.


Die Süddeutsche Zeitung bringt heute in ihrem allsamstäglichen Interview  eine These des britischen Historikers Faramerz Dabhoiwala, der die relevanten Veränderungen um 1800 beginnen läßt. Die Entwicklung sexueller Toleranz, z.B. gegenüber außerehelichem Verkehr, gegenüber Schwulen und Lesben,  habe damals begonnen. Die sexuelle „Revolution“ der  1960er/70er  Jahre sieht er lediglich lediglich als Vollzug des lange vorher angelegten Prozesses.  Auch habe sich damals die Bewertung der Lust umgekehrt. Zuvor hätten die Frauen als das triebhaftere Geschlecht gegolten, danach die Männer.


Das ganze Interview ist etwas sprunghaft angelegt und vertieft nichts richtig, was bedauerlich ist, denn die Aussagen sind nicht gerade offensichtlich. Immerhin erfindet da jemand eine neue früher/heute-Unterscheidung. Meine Prognose ist, dass sie sich nicht durchsetzen wird, weil wir früher/heute-Übergange plausibler finden, wenn wir sie selbst erlebt haben.


Sie erinnert mich an eine lange zurückliegende Diskussion unter Sexualwissenschaftlern, die nach allen möglichen sozialhistorischen Argumenten ein renommierter Kollege mit dem Satz krönte: „Gevögelt wurde immer.“ Wenn ich mich recht erinnere, war das das Ende der Diskussion. Schade eigentlich.