Reflexiver Evolutionismus - ein (Über)Lebensmodell
(Modell zur sozialen Selbstheilung/Weltgesundung)

Ob Kapitalismus, Sozialismus, Individualismus oder Idealismus – immer wieder hat die Geschichte gezeigt, dass jeder Versuch, sich auf eines davon zu konzentrieren, zu Übersteuerungsphänomenen führt, welche Konflikte, Kriege, Ausbeutung, soziale, ökologische, politische und ökonomische Ungerechtigkeiten mit sich bringen.

Eindimensionales Denken, das nach Links/Rechts, Gut/Böse, Kapitalismus/Sozialismus und so weiter sortiert, scheitert immer wieder an Komplexität.

Es funktioniert nicht natürlich. Es passt sich nicht ein in die wechselhaften Bedürfnisse und Myriaden von Kontexten, welche unsere globalisierte Gesellschaft auszeichnen.

Es berücksichtigt situative Anders-Erfordernisse nicht. Es grenzt Andersdenkende aus. Es kann Krisenanforderungen nicht gerecht werden. Es lässt keinen Spielraum für Alternativen.



Der Mensch ist die erste Spezies auf diesem Planeten, welche dazu in der Lage ist, die eigene Evolution zu reflektieren, zu modellieren und komplex zu steuern.

Komplexitätsbewusstsein wird sogar noch natürlich belohnt: Wir sind Jäger und Sammler, und in dem Augenblick, in dem wir uns komplexen Herausforderungen zuwenden, um sie kreativ zu bearbeiten und Lösungsräume zu öffnen, belohnt uns Mutter Natur mit einem gute Gefühle auslösenden Chemie-Cocktail.



In diesem Artikel schlagen wir eine Perspektive zu komplexem Reflektieren nicht nur unserer eigenen Evolution – und damit Inwelt und Umwelt – vor, sondern auch, das Modell selbst kontinuierlich in seinen eigenen Veränderungsprozessen mit zu beobachten und entlang der Veränderungen anzupassen.



Wir nennen es: Reflexiver Evolutionismus.



Dieses Modell hat nichts mit dem ethnologisch-sozialwissenschaftlichen Querschläger aus dem 19. Jahrhundert zu tun und auch nichts mit Neoevolutionismus – auch wenn Talcott Parsons vielleicht auf die Idee gekommen wäre, den Vorschlag als nächste gesellschaftliche Entwicklungsstufe vorzudenken.
Wir referenzieren den Begriff neu.



Wir starten mit Formwelt referenzierten, neutralen Konzepten zu Kapitalismus, Sozialismus, Individualismus, Idealismus und Reflexivem Evolutionismus, um eine Basis zu formen, von der aus sich die situativen, kontextuellen Aspekte der vorgestellten und zu diskutierenden Modelle mit ihren situativen, kontextuellen Vor- und Nachteilen nicht nur für sich selbst, sondern auch im Zusammenspiel miteinander beobachten und untersuchen lassen.



Wir verlassen also bewusst die Idee, Kapitalismus sei besser als Sozialismus oder Individualismus oder Idealismus und vice versa.



Ziel: Von dort aus entsprechend situativ und kontextuell funktionale Denk- und Handlungsräume zu öffnen und den eindimensionalen Tunnel unterkomplexen und dysfunktionalen Denkens und Handelns ein- für allemal verlassen zu können.



Achtung: Daraus folgt nicht, dass nicht das eine oder andere Modell mal komplett allen anderen vorzuziehen sei, sondern dass eben situativ und kontextuell untersucht werden muss, welche kombinatorische Einzelfalllösung und welcher Problemkomplex auf welche Weise die besten Resultate für welche Situationen und Kontexte liefert.



Erstellt wurde dieses Modell mit Formwelt und C2M.

Perspektive "Reflexiver Evolutionismus":

 

schöpfen

formen/erzeugen

Kapitalismus

operiere/prozessiere materielle(n) Wertzuwachs/schöpfung

als Leitdifferenz für Produktion

Sozialismus

operiere/prozessiere soziale(n)/gesellschaftliche(n) Wertzuwachs/schöpfung

als Leitdifferenz für Produktion

Individualismus

operiere/prozessiere (persönliche(n)) Nutzwertzuwachs/schöpfung

als Leitdifferenz für Produktion

Idealismus

operiere/prozessiere bewusste(n)/geistige(n) Wertzuwachs/schöpfung

als Leitdifferenz für Produktion

Reflexiver Evolutionismus

operiere/prozessiere evolutionäre(n) Wertzuwachs/schöpfung

als Leitdifferenz für Produktion und beobachte/beschreibe Position/Wandel des Modells im Modell

 

-

Wir legen Reflexiven Evolutionismus Kapitalismus, Sozialismus, Indvidualismus und Idealismus gegenüber quer und erstellen einen vierdimensionalen Reflexionsraum, um Prozesse, Modelle, Konzepte, wirtschaftliche und politische Vorhaben, soziale Bemühungen, historische Phänomene, Fragen nach Krisenfunktionalitäten und mehr hieran zu beobachten, zu untersuchen, einzusortieren und von dort aus kybernetisch/system(theoret)isch vorzugehen:

 

Die Nachteile des die anderen Perspektiven exkludierenden Kapitalismus, Turbokapitalismus und Raubtierkapitalismus werden täglich diskutiert. Sie liegen ebenso auf der Hand, wie es klar erkennbare soziale und wirtschaftliche Vorteile für Individuen und Gesellschaft sind, die aus Kapitalismus folgen: Während auf der einen Seite kapitalistisch organisierte Nationen wirtschaftlich aufsteigen, zerstört auf der anderen Seite kapitalistisch selbstorganisierter Raubbau unseren Planeten.



Auch der Sozialismus hat in der Geschichte deutlich gezeigt, zu welchen Übersteuerungsphänomenen es mit ihm kommen kann. Schon die stark kollektiv gestützte Staatskultur Spartas, in welcher die Adligen keine großartigen Mitbestimmungsrechte im kollektiven Prinzip hatten, war kein Sozialstaat.

Sparta hat elitären Militarismus praktiziert - die Kultur erinnert an China, wo der Einzelne dem Staat verpflichtet war, das einzelne Leben nichts wert.

Im alten Athen hingegen gab es starke soziale Normen, aber Individualität und individueller Streit wurden in der Demokratie gefördert - entsprechend Künste, Architektur, Philosophie und Bauwesen. Aus moderner Sicht war die athenische Staatskultur aber individualistisch eingeschränkt, wie sich am Beispiel Sokrates demonstriert: Philosophische Vielfältigkeit und geistige Kultur hatten ihre Grenzen, und mit dem Vorwurf "Du machst uns unsere Jugend kaputt!", der sehr an rechtsextrem konservative Strömungen im heutigen Deutschland und in anderen westlichen Ländern erinnert, wurde Sokrates zumindest die individuelle Freiheit überlassen, sich selbst umzubringen - oder sich anzupassen.



Die vier Modelle Kapitalismus, Sozialismus, Individualismus und Idealismus sind nicht neu. Sie wurden in die Moderne getragen, dort eingebettet, diskutiert, weiterentwickelt, aber es gab schon keine Städtebildung ohne materielle und soziale Absicherung.

Evolution hat historisch gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist, komplex vorzugehen. Und wir können darüber nachdenken, wie das funktioniert und damit über eindimensionale Interpretationen und Ideologien hinauswachsen, die immer wieder dazu geführt haben, dass sich Gesellschaften, kleine wie Vereine und große wie Nationen, selbst vernichten.



Dieses Modell kann dafür genutzt werden, aktiv, bewusst und gemeinschaftlich reflektiert gleichermaßen in Wirtschaft und in Politik, Zukunft zu gestalten.

Menschen suchen immer wieder nach neuen Modellen, um das zu tun, aber sie finden nichts oder nur wenig. Die meisten Ideen, die beschrieben werden, funktionieren eher nicht – und das bereits häufig schon, weil ihnen solch ein Vierer- beziehungsweise Fünferschema fehlt, nach dem sie sich entlang ihrer Kontexte einsortieren und damit ihre kontextuale Funktionalität berechnen können.

Viele, die versuchen Welt zu verbessern und Beiträge zu leisten, neigen dazu, einen der Aspekte überzufokussieren.

Bislang stellen nur Wenige die Frage: Ist das, was wir hier vorhaben, evolutionär überhaupt machbar? Ist denkbar, dass es durchhält?

Auch die Frage nach dem, was Evolution uns mitgegeben hat, um in den entsprechenden Problemkontexten funktional vorzugehen, daran zu wachsen und auf diese Weise unseren Handlungsradius gesteuert zu vergrößern, wird eher selten gestellt.



Für beide Fragen liefert Reflexiver Evolutionismus diese neue Frage:

Kann das, was Gesellschaft macht, aus Perspektive von Evolution überhaupt funktionieren?

Ist das Modell, das die meisten verfolgen, dieses Märchen, dass Kapitalismus es schon richten wird, evolutionär überhaupt tragbar?



Sehen wir uns soziale Evolution genauer an, stellen wir fest, dass Kapitalismus versucht, alles zu dominieren: Gesellschaft, Kunst, Wissenschaft, Religion, Spiritualität ... Er versucht sogar noch, Menschen vorzuschreiben, wie sie sich angemessen zu verhalten haben. In seiner Übergriffigkeit geht er so weit, dass er sich überdies seine eigene Lebensgrundlage zerstört – und das nicht nur auf materieller, sondern auch auf geistiger Ebene, indem er ausgerechnet jene kognitiv-sozialen Potenziale unterdrückt, die ihn wirtschaftswissenschaftlich gesehen langfristig interessant machen könnten.



Ist ein Modell, das versucht, Allen Vorschriften zu machen, evolutionär gesehen überhaupt tragbar, wenn wir berücksichtigen, dass Individualität als evolutionäre Errungenschaft in unsere Spezies eingebaut ist?

Wir sind der Ansicht, Kapitalismus als generelles und generisches Prinzip hat in Idealismus keine Basis, denn es versucht sogar, den Idealismus zu kaufen.



Doch wie sieht es mit purem Individualismus aus? Hätte er eine evolutionäre Chance?

Natürlich nicht, denn der Individualismus wird den persönlichen Nutzen überfokussieren und den Anderen nichts mehr abgeben.



Womit wir beim Sozialismus wären:

Hätte dieser in Reinform mit seinen kollektiven Tendenzen eine evolutionäre Überlebenschance?

Entsprechend nicht, denn er zerstört mit seinen Gleichschaltungstendenzen Gesellschaft.



In der Vergangenheit hat es halbwegs geklappt, dass solche Strömungen eine Zeitlang herrschen konnten, sogar Gesellschaft eine Weile weitergebracht haben.

Das ging jedoch nur, weil mehr oder weniger die Umwelt der Gesellschaft dazu in der Lage war, die Kosten dieser Entwicklung zu tragen. Oder anders ausgedrückt: Die menschliche Gesellschaft war so klein, dass sich ihre Dysfunktionalitäten und Fehlverhaltensweisen auf einem Destruktionslevel abgespielt haben, das nicht die ganze Erde betroffen hat.

Das hat sich allerdings in den letzten Einhundert Jahren gravierend geändert. Und trotzdem gehen Viele weiterhin davon aus, dass es einfache Konzepte gibt, Konzentrationsmöglichkeiten auf Kapitalismus, Sozialismus, Idealismus oder Individualismus, die einfache Rezepte liefern, eine Form stark zu fokussieren, dass darüber das Problem gelöst wird.



Mit Reflexivem Evolutionismus schlagen wir vor, die Frage zu stellen, ob eine Form zu fokussieren evolutionär überhaupt realistisch ist?
Ist es je passiert und ist zu erwarten, dass sich darüber in Zukunft alles von allein erledigen wird?

Nicht, oder? Es wird Zeit, aus unserer Geschichte zu lernen.

Von dort aus können wir uns die Frage stellen:



Was wird Evolution mit ziemlicher Sicherheit aussortieren und wie wird Evolution das tun?

Diese hilfreiche Perspektive macht ziemlich schnell klar, was wir beobachten werden:

Lassen wir Kapitalismus weiter solchen Raubbau betreiben und tun so, als könne er alles andere überflügeln und alle Probleme lösen, dann wird Evolution Kapitalismus aussortieren müssen, denn er sorgt dafür, dass Gesellschaft sich selbst auffrisst.

Im Klartext bedeutet dies, dass Evolution Wege finden wird, soziales und technologisches Wachstum und Pollution so zu reduzieren, dass sich Menschen und Gesellschaften nicht selbst umbringen. Das allerdings wird bedeuten, dass Evolution damit beginnen wird, Menschen umzubringen.



Mit Reflexivem Evolutionismus können wir uns solche Sachen überlegen, können darüber nachdenken, was aus evolutionärer Perspektive wann wie und wo funktioniert. Dann können wir versuchen, die Frage zu beantworten, wie wir mit diesen vier Optionen – und Evolution mit einberechnet – Wichtungen hinbekommen können, welche Chancen wir haben, in der Zukunft zu überleben.

Hilfreich dazu ist sich stets anzusehen, was in der Vergangenheit bereits passiert ist: Wohin hat Individualismus geführt? Wohin hat Sozialismus oder Kollektivismus geführt? Wohin hat Idealismus geführt? ... und dann den Gedanken aufzugeben, dass eine dieser Strömungen gewinnen wird.

Sie kann es nicht. Keine allein kann das.

Keine allein kann menschlicher und evolutionärer Komplexität gerecht werden.

Keine kann über die vollen Bande menschlicher und gesellschaftlicher Komplexitätsmanagementfähigkeiten spielen.

Keine allein kann unsere Zukunft für uns so retten, dass dabei gedeihende, konstruktive Gesellschaften herauskommen.

Allein ... ist jede einzelne nichts weiter als Ideologie.



Was wir nun allerdings mit Hilfe des Modells tun können, ist die Frage zu stellen, wie wir sie so miteinander verbinden, dass sie aufhören, destruktive Formen anzunehmen, sondern im Gegenteil immer produktivere Formen hervorbringen.

Wie können wir die vier Faktoren so übernehmen, dass wir nicht mit Wunschdenken entscheiden, ob das, was wir vorhaben klappen kann, sondern aus der Perspektive von Evolution her: Wird sie uns darin unterstützen? Wird Evolution dieses spezifische Gebräu bestehen lassen? Oder wird das Gemisch während seiner Prüfung durch Evolution dazu führen, dass Evolution damit beginnen muss, dieses menschliche Konstrukt auszusortieren?



Natürlich haben wir als Menschen mit unseren intellektuellen Fähigkeiten einige Chance, die Entwicklung von Menschheit und Gesellschaft in unsere Richtung zu treiben, aber am Ende entscheidet Gesellschaft über ihr Überleben und über das Wie ihres Überlebens.

Wir Einzelne haben als Individuen darauf nur eingeschränkten Einfluss. Aber, wir können natürlich dafür sorgen, dass, machen wir so weiter wie bisher, Evolution Schritte einleiten muss, die unsere Möglichkeiten uns selbst zu zerstören einschränken.

Dabei wird sich Evolution nicht die Frage stellen, wie viel von uns dabei über die Klinge springen werden ...



Denken Sie einmal darüber nach:

Wie sehen aus der Warte betrachtet Kriege aus? Bedingungsloses Grundeinkommen? Wertschätzungskulturen?

Legen Sie die evolutionäre Perspektive an. Werfen Sie bewusste und gezielte Blicke in unsere Vergangenheit.

Sie können dieses Modell dafür nutzen sich zu beantworten, wie weit Sie hier von Wunschdenken getrieben sind oder inwieweit Sie sich kommenden evolutionären Tatsachen stellen. Das ist keine Raketenwissenschaft!

Und immer wieder gilt dabei natürlich der Punkt, dass wir Evolution nicht vorherbestimmen können. Die Paradoxie gilt: Leben, welches das tun könnte, es hätte auf diesem Planeten vermutlich nicht überlebt.

Daraus folgt aber nicht, wie viele das heute versuchen, dass wir uns einfach in bequemer Missdeutung von Kontingenz und Komplexität zurücklehnen dürfen, und das Leben wird's schon richten oder nicht, wir können ja gar nichts vorhersagen, denn:

Wir können uns sehr wohl ansehen, was Evolution in der Vergangenheit getan, wie sie dort funktioniert hat und daraus lernen, indem wir uns die Frage stellen, welche Chance die Gesellschaft, die wir hier gerade bauen, im Lichte dieser Untersuchung wohl hat?



Es ist wichtig, evolutionäre und historische Fakten mit unseren Bedürfnissen und Wünschen, mit unseren ideologischen Impulsen abzugleichen, um die Frage zu beantworten:

Wie können wir in Zukunft überhaupt überleben?

 

 

Autoren:

Gitta Peyn, 1965, und Ralf Peyn, 1967. Formwelt-Entwickler, Kybernetik- und Systemforscher.