Eigensprache und Körper Teil 2

Idiosomatisches Selbstgespräch: vom Körper zur Sprache und zurück


„Idio-Somatik“


Einladung zum Körperscan, Lauschen auf das was der Körper Dir jetzt im Moment zu sagen hat. Dem Fluss der Wahrnehmungen in der Zeit lauschen. Vielleicht lädt Dich eine Stelle ein genauer hinzulauschen. 22 Min bis 36 Min



Paar-Gespräche „Den Körper wahrnehmen“


7-8 Minuten Zeit für jede Person


Einstieg: Eventuell langsam diese Frage einleiten oder sie direkt stellen:


Gibt es eine Stelle in deinem Körper, die du im Moment mal anschauen möchtest?


Für eine Stelle im Körper eine Sprache finden, mit Fragen wie


• Was nimmst du da gerade wahr?
• Wie ist das (von der Qualität her), was du dort wahrnimmst?
• Hat es eine Größe?
• Hat es eine Form?
• Und das, was du dort wahrnimmst, wie würdest du es in einem Bild beschreiben?


Die beiden Fragen „Hat es eine Größe?“ oder „Hat es eine Form?“ sind im strengen Sinne keine idiolektische Fragen, weil sie geschlossen sind. Sie kommen aus Clean Language. Ich habe sie ausgeliehen, weil sie eine bahnende Wirkung für die Bildlichkeit haben. Oft fällt es schwer, für eine Körperwahrnehmung direkt ein Bild zu finden. Das ist wie so ein Zwischenschritt, sich zu fragen, wie groß ist das eigentlich und welche Form hat’s?


Und dann taucht ein Bild auf und wenn das Bild aufgetaucht ist: Veränderung – Verkörpern


Wenn das Bild angenehm ist, dort verweilen und es sich weiter beschreiben lassen.


Wenn das Bild eher unangenehm ist, ist es für Gesprächspartner angenehmer, wenn man weiterfrägt:


Und das, was dort jetzt wahrnehmbar ist an dieser Stelle deines Körpers
• Was könnte es jetzt im Moment brauchen?
• Was würde es sich wünschen?
• Wie würde das genau ausschauen, wenn es das bekommt?
• Und wie würde sich es auswirken?


Ihr könnt euch aber auch leiten lassen von den Themen, die da kommen, und sich frei machen von diesem etwas strukturiertem Vorgehen. In der Idiolektik klappert man normalerweise keine Punkte ab. Verwendet die Fragen, um euch für einen kleinen Dialog inspirieren zu lassen.


Idiolektische Fragen – einen Impuls geben


Zur Eigenart einer idiolektischen Frage gehört es, dass sie erstmal ein Wort sehr fokussiert aufgreift, dann aber einen Impuls nach vorne gibt, der völlig offen ist. Durch die Frage erhält man einen Impuls zu schöpfen. Das ist die Wirkung dieser Fragen. Wenn man diesen Impuls nicht hat, bleibt man häufig in dem, was man schon weiß. Trotzdem gibt die idiolektische Frage nicht vor, wohin es den Impuls gibt. Aber es gibt den Impuls, etwas aus sich heraus zu schöpfen.


Personifizieren – Beispiel


Wenn Gesprächspartner:innen spontan ein (Körper-)Teil als „kleines schlaues Teil“ bezeichnen, dann ist das schon eine Personifizierung, weil ein Teil eine Eigenschaft zugesprochen erhält, die wir normalerweise ganzen Lebewesen zusprechen, nämlich schlau zu sein. Solche Teile kann man dann tatsächlich behandeln wie lebendige Wesen, die ein eigenes Denken haben und schlau, flink, schnell, zäh, gemütlich sein. Alles Eigenschaften, die wir Wesen zusprechen. Und dann können wir wunderbar diese Metaphern nutzen, die uns angeboten werden.


Die aufwendigere Variante, zu einer Personifizierung zu kommen, wäre:
Ach, da ist so ein Teil.
Und stell dir mal vor, dieses Teil wäre lebendig, was wäre es denn für ein Wesen?
Ein schlaues.


Prinzip der dualen Aufmerksamkeit – Beispiel aus der Türkei


Es ist nicht immer einfach, wirklich zu verstehen, was die andere Person sagt, und das ist in der Idiolektik auch gar nicht immer notwendig. Und es ist auch viel leichter, idiolektisch zu fragen, wenn man sie nicht versteht. Denn dann kann man viel echter sein mit seiner Naivität und sagen, was ist das eigentlich. Um dann zu fragen: „Kannst du mir das mal beschreiben?“


Ich will weinen, kann aber nicht.
Wo ist das weinen wollen?


Ich habe das „Ich will weinen“ behandelt wie ein Teil, der irgendwo im Raum sein könnte.


Im Brustkorb.


Damit hat sie mir eine Einladung gegeben, dort zu sein


Wie kann ich mir das vorstellen?
Oval und groß, eine Mischung aus Traurigkeit und Angst. Es ist mir in den letzten Wochen so vorgekommen, als habe ich den Boden unter meinen Füssen verloren. Hier in der Gruppe ist es nun besser. Aber wie wird es zuhause? ... Da ist Besorgnis und Leere.


Sie bietet die Ressourcenseite an und die Belastungsseite. Von beiden erhalten wir Schlüsselworte: „Boden unter den Füssen verloren“, „Besorgnis und Leere“, aber auch „hier in der Gruppe ist es nun besser“


Was bräuchte es?


Ist ein bisschen eine Jokerfrage, wenn etwas Belastendes beschrieben wurde: „Oval und groß“, „Besorgnis und Leere“


Es bräuchte ein Wissen um einen Weg.


Ich hatte keine Ahnung, was sie für einen Weg meinte


Wie könnte das ausschauen?
Orange und beruhigend.


Nachvollziehen konnte ich das nicht. Verstehen auch nicht. Aber ich habe mal idiolektisch weiter gefragt.


An was denkst du dabei?
Aprikosen.
Was verbindest du mit Aprikosen?
Kindheit und spielen mit Steinen auf der Straße mit anderen Kindern, die lachen.


Pause, wir gucken. Und jetzt ist sie bei sich


Jetzt ist das Gefühl der Angst und der Traurigkeit besser.


Das Prinzip, das hier nochmal deutlich wird, ist eine duale Aufmerksamkeit. Ein Auge ist bei der Belastung, der Besorgnis, der Leere, dem nach Hause kommen, dem nicht wissen, was da kommt und es war schlimm. Das andere Auge ist bei der Gruppe hier, bei der Aprikose, den Kindern draußen auf der Straße als Kind, spielen mit den Steinen. Und wenn das Gehirn zwei Netzwerke aufruft, können die gar nicht anders im Gehirn, als sich zu verbinden. Alles, was gleichzeitig im Gehirn funkt, wird verbunden. Das ist eine neurophysiologische Regel. Und wenn das geschieht, kann etwas passieren, das die Belastung ein bisschen verringert. Das hat sie dann in Worte gefasst: „Jetzt ist die Angst und die Besorgnis etwas besser.“


Wie das gelingt, weiß ich vorher auch immer nicht. Aber es geschieht durch das Aufgreifen der Ressourcen-Signale, das nonverbal gut Schauen (wo schaut sie wie), das was greife ich auf (Ah, Aprikosen) und das was lasse ich sie erzählen. Es ist eine einfache Art, mit Körpermetaphern zu arbeiten.


Leitplanke: von außen nach innen gehen


Nicht direkt mit „Wo fühlst du?“ oder „Was spürst du?“ ins Innere gehen, sondern warten. Sich zuerst etwas im Außen beschreiben lassen. Und wenn du daran denkst, wie du nach Haus kommst, was sind das für Gedanken? Ahh, mhh… dann wird es mir ganz eng. Kannst du mir die Enge beschreiben?


Mit Außenwahrnehmung starten, zweites Beispiel


Aprikose
Wie sieht denn die aus?
Die sind so süß und saftig.
Süß und saftig?
Ich verbinde damit so eine Wärme.
Wo ist denn diese Wärme?
Ach, das ist die Sonne draußen auf meiner Haut.
Und dann?
Dann wird es mir innen auch ganz warm.


Jetzt ist die Einladung da. Erst dann gehe ich hinein über die Körpergrenze. Und sonst bleibe ich draußen. Da ist es immer leichter zu beschreiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich, wenn ich zu schnell hineingehe, die andere
Person wieder hinausgeht. Gehe ich aber raus, geht sie hinein.


Die Idiolektik nutzt das Defokussieren in der Außenwahrnehmung. Dann kommen die Menschen schnell zu sich. Und dann kann man mit ihnen mitgehen.


Idiolektik und Körperarbeit mit jungen Menschen


Ein Körper will auch machen.


Beispiel eines 11-jährigen Jungen, dessen Vater nicht mehr greifbar war, depressiv mit Problemen in der Schule


Was möchtest du denn so machen?
Ein Schiff bauen
Wie geht denn das?
Na ja, ich brauche Holz und Nägel.
Wer besorgt was?
Ich habe Holz und Nägel.
Bring das mal mit.
Und elektrisch soll es sein.
Wie geht denn das?
Mit so einem Licht.
Wie könnte das ausschauen?
Ich habe eines zu Hause.
Bring mal mit. Wie geht das dann mit dem Licht?
Ich brauche eine Batterie.
Wo kriegen wir die her?
Die sollst du mitbringen.


Ich habe Batterie mitgebracht. Der Junge die Fahrradlampe, Holz, Nägel, Hammer und Werkzeugkasten. Dann haben wir ein Schiff zusammengebaut.


Und jetzt?
Jetzt will ich ein großes Schiff bauen.
Wie groß soll es denn sein?
So groß, dass meine Schwester mit drauf passt.


Idiolektisch weitergefragt wie vorher… alles zusammengesucht mit Fahne, Piratenflagge, mit Schwester hinuntergepaddelt.


Jetzt will ich ein Auto bauen
Er hatte Bauplan einer Seifenkiste daheim, die wir zusammen gebaut haben.


Wann darf man in den Körper gehen?


In der Idiolektik spielt sich immer was ab im Körper. Aber es geht nicht darum zu fragen „Was spürst du?“ und „Wo fühlst du das?“ und sowas. Das ist tatsächlich selten. Aber wenn man eingeladen wird, sollte man die Einladung auch freudig annehmen können.


Man darf im Körper so weit nachfragen, wie die andere Person mich lässt. Oder noch feiner: So weit, wie sie mich einlädt. Wenn ich auf die Einladung warte, dann kann ich mir auch sicher sein, dass die andere Person auch mit mir dahin gehen mag und dass da auch schon was ist von Wahrnehmung. Und wenn wir auf der Ressourcen-Seite sind, ist es leichter, in den Körper zu gehen, weil es da angenehm ist. Wenn wir von was Schrecklichem erzählen und gefragt werden „Wo spürst du das?“, hilft uns der Körper und dissoziiert, so dass wir gar nichts spüren. Der Körper schaltet dann die Wahrnehmung ab, damit wir das Schreckliche nicht ganz so schlimm spüren. Deshalb fällt es uns dann so schwer zu antworten. Ansonsten:


Wo würdest du denn gerne hin, wenn du Angst hast?
In meinen Garten unter meinen Baum.
Wie ist es da?
Da ist die Sonne, da ist es warm.
Und was passiert dann?
Dann entspanne ich mich.


Unser Ziel in der Idiolektik ist es, Ziele der anderen Person wichtiger zu nehmen als eigene. Das nennt man Zieloffenheit. Wenn die andere Person das Ziel hat, vom Körper wegzugehen, dann gehe ich weg, so weit ich kann. Auf den Pluto, wenn es sein muss. Damit sie ja nichts mehr spürt. Weil das großen Sinn macht.


Von einer Patientin habe ich gelernt, dass NEBEL rückwärts buchstabiert LEBEN heißt. Der Nebel der Dissoziation hat seine Funktion. Denn das Gute am Nebel ist, dass wir manche Sachen nicht mehr sehen. Manchmal wird etwas extra vernebelt. Die „Vernebler“ sorgen dafür, dass wir nicht mehr so viel sehen können. Und das ist häufig total gut. Da kommen wir in den Bereich der archaischen Mechanismen von Reaktionen. Nämlich die Vernebelung der eigenen Körperwahrnehmung als archaischer Mechanismus des Selbstschutzes. Um Schreckliches nicht zu spüren, vernebelt der Kopf die Wahrnehmung mit Endorphinen und sonstigen Stoffen. Dann kommt als Antwort auf Fragen wie „Was spürst du?“ „Ich spüre gar nichts“ - die große Leere. Und dann gehen wir eher weg von dem Körper in die Außenwahrnehmung mit Fragen wie „Was hast du denn heute gemacht?“ oder „Was würdest du jetzt gerne tun?“ Handlungsfähigkeit schaffen, Körper präsent machen im Tun, Selbstwirksamkeit wahrnehmen. Wenn der Körper als verletzlich erlebt wurde, ist es nicht so zielführend, da schnell hineinzugehen. Da braucht es Vorarbeit.