Populistendämmerung?

Gestern war ein bemerkenswerter Tag. Zum einen hat der Oberste britische Gerichtshof klar gestellt (und damit die Verfassung neu und klar definiert), dass im Zweifel das Parlament die höhere Gewalt ist als die Regierung (Premierminister Johnson ist in seinem Machtanspruch, das Parlament nach Belieben in Urlaub zu schicken, beschnitten worden), und zum anderen hat die Demokratische Partei in den USA beschlossen, die Impeachment Inquiry gegen Donald Trump formal zu beginnen.


Beiden werden auf diese Weise die Grenzen ihrer Macht demonstriert, d.h. dass sie nicht über dem Gesetz stehen. Und beides kann als eine Reaktion der Institutionen der repräsentativen Demokratie gegen die Machtansprüche populistischer Möchtegern-Allein-Herrscher verstanden werden.


Die Regeln der repräsentativen Demokratie (Demokratie ganz explizit verstanden als Kontradiktion zu Populismus, der m.E. immer undemokratisch ist) haben sich über die Jahrhunderte bzw. bei uns Jahrzehnte als ziemlich intelligente Entscheidungsverfahren erwiesen. Populistische Strategien führen – weil idiotisch – zur Verblödung jeden staatlichen Gebildes. Man mag diese Worte zu harsch finden, aber wenn man sich ein wenig mit den Mechanismen der Intelligenz und/oder Blödheit sozialer Systeme beschäftigt, so kommt man zu solch harten Urteilen.


Die Intelligenz der Mechanismen der repräsentativen Demokratie resultiert aus der Gewaltenteilung. Sie sorgt dafür, dass eine paradoxe Machtstruktur etabliert wird, eine „verwickelte Hierarchie“. Das Wahlvolk wählt sich seine Herrscher. Es hat die Macht über diejenigen, die über sie die Macht haben werden. Aber diese Macht ist ihrerseits wieder den Gesetzen untergeordnet bzw. der Rechtsprechung, die im Zweifel (siehe Supreme Court) die höhere Macht ist usw. Das Musterbeispiel einer klassischen Heterarchie, ja, einer paradoxen Organisation. Organisationen sind ja deswegen (und nur dann) erfolgreich, weil sie paradox organisiert sind und daher Konflikte nicht endgültig entscheiden müssen, sondern immer wieder neu…


Die Bevölkerung eines Landes ist sehr divers in ihren Interessen, daher sind Konflikte auf staatlicher Ebene unvermeidbar. Das parlamentarische System leugnet diese Konflikte nicht, sondern macht sie durchsichtig, beobachtbar und entscheidbar. Wenn diese Entscheidungen länger nicht zur Zufriedenheit der Bevölkerung gefällt werden, können die Parlamentarieren als Repräsentanten derer, die sie gewählt haben, in die Wüste geschickt und/oder die Regierung gestürzt werden. Auf der Beziehungsebene (=Sozialdimension der Kommunikation) ist das Wahlvolk den Parlamentariern übergeordnet, auch wenn es die dann beschlossenen Gesetze (die aber änderbar bleiben) zu befolgen hat. Auf der Inhaltsebene der Kommunikation (=Sachdimension) ist es weder dem einzelnen Wähler, noch dem einzelnen Parlamentarier oder auch einem Regierungschef möglich allein in allen Bereichen kompetent zu sein und entsprechend intelligente Entscheidungen zu fällen. Hier können sich Abgeordnete schlau machen, Gremien bilden, Experten zu Rate ziehen usw. (=“Mehrhirndenken“ durch Etablierung spezifischer kommunikativer Foren). Solche – oft sehr komplexe – Detailfragen kann das Wahlvolk meist nicht angemessen entscheiden (wenn es ihm doch zugemutet wird, kommt es – wie das Brexitreferendumg zeigt – zu idiotischen Entscheidungen. Das parlamentarische System kombiniert die Zuverlässigkeit der Entscheidungsfindung aufgrund berechenbarer und stabiler Strukturen mit einem hohen Maß an Flexibilität, das erlaubt, Fehlentscheidungen relativ zeitnah zu korrigieren.


Populisten versuchen die Alleinherrschaft anzustreben und legitimieren ihren Machtanspruch damit, dass sie allein für das (nicht näher definierte) Volk sprechen. Alle (unvermeidbaren) Konflikte innerhalb eines Staates werden zu Innen-außen-Konflikten umdefiniert, d.h. zwischen den Vertretern der „wahren“ Interessen des Volkes und denen, die nicht zum Volk gehören bzw. dessen „Feinde“ sind. Damit fällt aber ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung durch den Rost – was früher oder später den Populisten dann auf die Füße fallen muss; deswegen landen alle früher oder später bei totalitären Strukturen, in denen jede Opposition unterdrückt und kontrolliert wird. Eine Methode, die bislang in der Geschichte noch nie sehr lange funktioniert hat (obwohl die neuesten, technikgestützten chinesischen Kontrollversuche der eigenen Bevölkerung hier vielleicht eine neue historische Epoche eröffnen könnten).


Aber so weit ist es weder bislang mit den USA noch GB gekommen. Noch scheinen die demokratischen Institutionen sich nicht völlig aufgegeben zu haben.