Viren vs. Ideen - einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Ideen haben gewissen Ähnichkeiten mit Viren. Eine der wichtigsten Gemeinsamkeiten besteht darin, dass beide potenziell ansteckend sind. Sie werden von Infizierten an andere Leute weitergereicht. Was sie in der Hinsicht radikal unterscheidet, ist das Medium der Verbreitung. Viren sind aus Materie (DNA) gebaut und sie müssen materiell übertragen werden - z.B. durch Tröpfchen oder Aerosole. Ideen hingegen sind nicht materieller Natur, sondern im Medium Sinn geformt, und sie werden durch Kommunikation verbreitet. Infektionsketten im Bereich der Ideen können unterbrochen werden, wenn Ideen nicht mehr in die Kommunikation gelangen und daher vergessen werden. Das ist einer der Gründe, warum totalitäre Systeme die Presse- und Wissenschaftsfreiheit einschränken usw.; Viren hingegen bedürfen körperlicher Nähe, um die DNA von einer Person zur anderen zu transportieren.


Dies vorausgesetzt, lässt sich das Scheitern von Donald Trump erklären. Er war in seinem Leben sehr erfolgreich - nicht als Businessman, sondern als jemand, der aller Welt die Idee, er sei ein erfolgreicher Geschäftsmann, vermitteln konnte. Er war erfolgreich, vermeintliche Fakten zu "alternativen Fakten" umzudeuten, er konnte - unterstützt von einer Tendenzpresse, die von Familie Murdoch und anderen Interessengruppen gesteuert wurde - allem (oder zumindest vielem), was in die Kommunikation kam, einen Spin geben, der seine Basis bei der Stange hielt. Eine seiner Methoden war es, den Fokus der Aufmerksamkeit zu verschieben und zu lenken. Da die Fokussierung der Aufmerksamkeit die einzige Mögichkeit ist, soziale Systeme zu steuern, hat er dadurch tatsächlich Führung ausgeübt (wenn auch nur für einen Teil der Bevölkerung).


Jetzt scheitert er, weil er ein materielles Virus wie eine Idee behandelt. Seine Ankündigungen, das Virus werden wie durch ein Wunder verschwinden usw. (ich muss den ganzen Unsinn hier nicht wiederholen), haben das Virus nicht beeindrucken können. Auch die Fokusverschiebung weg von Covid hat nicht funktioniert, nicht zuletzt weil jetzt das Weiße Haus zum Infektionsfokus geworden ist. Die Leugnung der Pandemie, der Versuch, sie nicht zu thematisieren, was im Blick auf soziale Phänomene ja funktionieren kann, ist gescheitert, weil schon zu viele Leute gestorben sind und ein großer Teil der Mitarbeiter des Weißen Hauses inzwischen infiziert ist (zum Zeitpunkt, an dem ich das hier schreibe, sind es 21 Personen, d.h. mehr als in ganz Taiwan). Dass dies geschehen konnte, lag an dem wirklich nicht sehr intelligenten Entschluß, das Tragen einer Maske zum politischen Statement zu erheben. Wahrscheinlich wollte Trump nicht, dass die Maske immer wieder an das Virus erinnert (was kommunikationstheoretisch plausibel ist, aber die Verbreitung von Corona-Viren fördert).


Da Trump in erster Linie der eigenen Klientel schadet, kann man auf die Idee kommen, er und die Republikanische Partei seien von einer Art Todessehnsucht getrieben: Keine Masken bei den Wahlveranstaltungen, die Organisation eines Superspreader-Events im Garten des Weißen Hauses (Vorstellung von ACB), das alle hochrangigen Funktionsträger versammelt und  nach dem Modell der Hochzeit in türkischen Großfamilien oder christlich-sektiererischer Gottesdienste designt ist. All dies ist offenbar gezielt gegen die eigenen Anhänger gerichtet. Zu den Spitzenzeiten der HIV-Ausbreitung gab es das Phänomen, dass einzelne Infizierte versucht haben, möglichst viele andere Leute anzustecken. Trump scheint diesem Vorbild zu folgen - allerdings wahrscheinlich, weil er denkt, er können die Bedeutung der Pandemie so relativieren, wie er die Idee, er sei ein Bankrotteur ohne jedes Businesstalent vertreiben konnte. Denn, dass Trump wirklich die Absicht hat, seine Anhänger auszurotten, scheint mir nun doch etwas weit hergeholt. Ich glaube da eher an seine Blödheit.