Ethik der Freiheit

Ethik der Freiheit


Eine Reflexion zur Initiative des Liberal-demokratischen Laboratoriums (http://www.LibDeLa.de)


Niklas Luhmanns Position zur Ethik ist, dass ihre Funktion darin bestehen sollte, vor der Moral zur warnen.[1]Denn Moral spaltet – gerade in Krisenzeiten: Sie führt dazu, dass diejenigen, die bestimmte Werte für „gut“ halten, sich von denen abgrenzen, die diese Werte nicht teilen, die andere oder gar gegensätzliche Werte präferieren. Diese Menschen werden gar als „böse“ markiert und aus der Kommunikation „exkludiert“. Es kommt zu einer Spaltung, hier die „Guten“ und dort die „Bösen“. Freilich ist dieses Muster auf beiden Seiten der moralischen Trennung präsent: Die sich jeweils als „gut“ bewertende Gruppe schaut mit Verachtung und Ablehnung auf die jeweils andere, die als „böse“ markierte Gruppe.


Die ethische Position wäre hier, die destruktive Dynamik der Moral zu sehen, also zu fragen, ob die moralische Unterscheidung von „gut/böse“ nicht selbst als „böse“ bewertet werden müsste, weil sie ausgrenzt, zur Verachtung und Abspaltung führt. Diese Reflexion der Moral offenbart also eine problematische Wirkung der Moral, besser: der Moralisierung der Kommunikation.


Statt um Moral sollte es um eine Ethik des Brückenbaus gehen, der Verständigung, die sich mit Emmanuel Lévinas am Bestreben orientiert, die Anderen bzw. das Andere grundsätzlich in der jeweiligen Differenz anzuerkennen.[2] Sicherlich könnten wir hier mit Karl Popper begrenzend sagen, dass diese Anerkennung als Form der Toleranz der Anderen und des Anderen dort ihre Grenzen zu finden hätte, wo sie auf Positionen der Intoleranz stößt,[3] von denen eine klare Abgrenzung auch angesichts dieser ethischen Perspektive geboten erscheint.


Neben dieser Ethik der Moralbegrenzung können ethische Positionen imperativen Charakter haben, also Empfehlungen für das Denken, Fühlen und Handeln sein. Immanuel Kants allseits bekannter kategorischer Imperativ, dass wir mithin so handeln sollten, dass die Maxime unseres Handelns jederzeit zu einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit erhoben werden könnte, ist ein Beispiel dafür. Auch Heinz von Foersters ethischer Imperativ, dass wir so handeln sollten, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst, ist typisch für diese Form der Ethik.[4]


Nun hat das Liberal-Demokratische Laboratorium (LibDeLa) angesichts von zehn liberalen Ethik-Geboten, die Bertrand Russell einst aufgestellt hat (https://www.libdela.de/sammlung-gebote), dazu aufgerufen, weitere ethische Imperative zu formulieren, die sich konsequent als liberal verstehen, also Freiheit in ihren unterschiedlichen Formen adressieren. So will ich meine bisher aufgestellten liberalen Ethik-Gebote hier präsentieren, die zugleich gegen die Spaltungstendenzen der Moralisierung gerichtet sind:



  1. Liebe die Freiheit der Anderen genauso wie deine eigene.

  2. Wenn du möchtest, dass sich die Welt verändert, dann fange bei dir selbst an.

  3. Sei dir darüber bewusst, dass dein aktuelles Handeln dich und andere begrenzt, die Freiheit nicht nur erweitert, sondern zugleich einschränkt.

  4. Achte nicht nur auf die Intentionen und Motive deines Tuns, sondern vor allem auf die möglichen Wirkungen und Effekte, die in deinem Verantwortungsbereich liegen.

  5. Freiheit setzt die Fähigkeit voraus, Bewährtes zu tradieren und Leidvolles zu verabschieden

  6. Wenn du in Freiheit leben möchtest, dann anerkenne die Bindungen und Beziehungen, in denen dein Leben wurzelt und emporwächst.

  7. Weil die Welt sich permanent ändert und Unsicherheit die Normalität ist, achte auf das, was dir Stabilität gibt: deine Atmung und deine sozialen Bindungen.

  8. Wenn du frei denken möchtest, dann übe dich darin, frei zu reden und zu schreiben.[5]

  9. Achte deine Kritiker:innen. Denn über sie wirst du freier: entweder durch die Abgrenzung von ihnen oder in deiner – durch die Kritik angeregten – Selbstveränderung.


 


[1] Niklas Luhmann (2008): Die Moral der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.


[2] Emmanuel Lévinas (2012): Die Spur des Anderen: Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Freiburg/Br.: Karl Alber.


[3] Karl Popper (1957): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 1. Francke, Bern 1957; 8., bearb. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2003.


[4] Heinz von Foerster (1993): Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Frankfurt/M.: Suhrkamp.


[5] Vielen Dank an Martin Eberl für die Ergänzung, dass es nicht nur um das freie Reden, sondern auch um das entsprechende Schreiben geht.