Luhmann und der Mensch in Organisationen

Menschen gehören nicht zum Sozialen. Soziales ist Kommunikation. Und der Mensch ist außen vor. So oder so ähnlich verstehen viele die Provokation der Systemtheorie, die die vermeintliche Ganzheitlichkeit des Menschen in drei Systeme zerlegt: in biologische Systeme (Körper), psychische Systeme (Kognition) und soziale Systeme (Kommunikation). Was heißt das für Organisationen? Luhmann hat in einem Aufsatz aus dem Jahre 1965 sehr prägnant geschrieben: „Die Arbeitswelt: soziale und emotionale Entbehrungen. Jede Organisation besteht aus Handlungen. Kein Mensch kann aber handeln, ohne selbst dabei zu sein. Er bringt sich selbst, seine Persönlichkeit, mit an die Arbeitsstelle. Die Organisation fordert ihm jedoch nur spezifische Leistungen ab. Seine Gefühle und seine Selbstdarstellungsinteressen werden dabei kaum beansprucht. Sie lungern während der Arbeit funktionslos herum und stiften Schaden, wenn sie nicht unter Kontrolle gehalten werden“ (Luhmann 1965, „Spontane Ordnungsbildung“, in: Der neue Chef. Berlin 2016, S. 43).


Das ist wohl ein erwartbares Zitat. Menschen in Organisation erscheinen hinsichtlich ihrer funktionsorientierten Leistungen. Alles andere, was vermeintlich noch zu Menschen gehört, etwa ihre Gefühle, sollte außen vor bleiben bzw. kontrolliert werden, damit es die fomalen Abläufe nicht stört.


32 Jahre später schreibt Luhmann: „[Ich] schlage vor, das klingt vielleicht paradox, daß man sich um ein weniger technisches, dafür um ein mehr menschliches Verständnis bemüht. Man ist in der Absicht zurückhaltender, Wirkungen zu erzeugen […]. Man trifft z.B. in Organisationen häufig auf die Vorstellung: ‚Wir müssen die Mitarbeiter motivieren!‘, statt ihnen Gelegenheiten zu bieten, sich selber zu motivieren “ (Luhmann 1997, „Wie konstruiert man in eine Welt, die so ist wie sie ist, Freiheiten hinein?“, in: Bardmann [Hrsg.]: Zirkuläre Positionen. Konstruktivismus als praktische Theorie. Opladen, S. 72).


Damit nimmt Luhmann offenbar etwas vorweg, was heute immer wichtiger wird: Wenn es darum geht, dass das Personal in Organisationen tatsächlich seinen Motivationen folgt, einen (gar spirituellen) Sinn in seiner Arbeit entdeckt oder kreativ werden soll und sich mit komplexen Verhältnissen arrangieren muss, dann sollte dieses Personal anders einbezogen werden, nicht nur funktions- oder positionsorientiert, sondern so, dass dies als "menschlich" bewertet werden kann. Mit "Menschlichkeit" können wir die Achtung vor dem bewerten, was nichttriviale Systeme ohnehin auszeichnet, dass sie nicht gesteuert werden können, sondern sich selbst organisieren und ihre eigene Unberechenbarkeit als Ressource nutzen, die Organisationen mit dem auszustatten, was sie heute mehr und mehr benötigen: Flexibilität im Umgang mit den Unvorhersehbaren. Wenn also von Menschlichkeit die Rede ist, dann ist endlich das erreicht, was mit der Systemtheorie bereits seit jeher beschrieben wird: dass Organisationen keine trivialen Maschinen sind, sondern soziale Systeme, die genauso wie ihre psychischen und biologischen Umwelten sich verändernden Bedingungen geschmeidig anzupassen verstehen.