Migration

Alle rechten Gruppen und Organe bezeichnen sich als migrationskritisch. Auch wenn sie nicht einfach kritisieren, sondern ausgrenzen, denunzieren und hetzen. Vergleiche dazu die entsprechenden Einträge zu Asyl-XY, Austausch und vor allem Invasoren.


Der zusammenfassende Satz aber zur Migrationsfrage 2018 ist:


»[...] die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land« (Horst Seehofer, Innenminister der Bundesrepublik Deutschland).«


Die Formel ist abgeleitet von Saddam Husseins – des irakischen Diktators – Ankündigung Anfang 2003, er werde gegen einen möglichen Angriff der USA »die Mutter aller Schlachten« führen. Die Drohung hat in einem anderen Sinn eine makabre Bestätigung gefunden: Nicht wenige politische Beobachter und Analysten sehen in dem Angriff auf Bagdad die Wurzel aller folgenden Kriege in der arabischen Welt.


Hinter der Stilisierung der Migrationsfrage zum Hauptproblem deutscher Politik steht zweierlei. Erstens die bombastische Drohung: Wenn wir diese Frage nicht beantworten, dann können wir alle anderen Probleme auch nicht lösen. Der Satz besagt ja, dass andere Probleme wie Kinderarmut, Renten oder Mietwucher nur Ableger oder eben Töchter des Mutterproblems Migration seien. Als ob sie nicht völlig unabhängig davon die deutsche Politik seit Jahrzehnten beschäftigten. Damit bietet sich der amtierende Bundesinnenminister als oberster Sachwalter und Vorgesetzter des »Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge«, BAMF, der deutschen Gesellschaft als oberster Problemlöser an. Zweitens wird hier der Schuldige, der Hauptschuldige an der Mutterfrage, ausgemacht: der Migrant. Der Migrant als Kollektiv, als aktiver Angreifer, muss abgewehrt werden. Damit sucht Seehofer Anschluss an die Redeweise der neuen Rechten: Invasoren, Deutschenfeinde. (Der Fairness halber sei erwähnt, dass er inzwischen einen gewissen Sinneswandel durchgemacht zu haben scheint.)


Schützenhilfe leistet der CSU-Freund Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister:


»Jetzt kommen unübersehbar Menschen aus anderen Kulturkreisen zu uns, in deren Heimat die Gewaltlosigkeit, wie wir sie pflegen, noch nicht so selbstverständlich ist [...]. Wir haben hier ein erhöhtes Risiko, das zeigen die Kriminalstatistiken ganz eindeutig.«


Migranten würden viel schneller Konflikte mit Gewalt austragen. Mit diesen Worten spricht Herrmann folgenden Fall an: Ein Eritreer aus der Schweiz stößt einen Achtjährigen und seine Mutter im Frankfurter Hauptbahnhof vor einen fahrenden Zug. Beide sterben; das ist ein infamer Mord. Die Äußerung ist dennoch diffamierend, und sie ist falsch. Die Kriminalstatistik weist nach Bereinigung bezüglich Alters- und Geschlechtszusammensetzung sowie besonderer psychischer Belastung durch unsicheren Aufenthaltsstatus kein »erhöhtes« Gewaltrisiko bei Migranten auf. Ihr Durchschnittsalter ist Ende 2018 29,4 Jahre, der Männeranteil knapp 63%. Die deutsche Bevölkerung ist durchschnittlich 45,4 Jahre alt und zu rund 49% männlich. Und: Der Täter hat keinen Konflikt mit den Opfern, er kennt sie nicht, er lebt in der Schweiz und ist zum Zeitpunkt der Tat rein zufällig auf einem Bahnsteig im Frankfurter Hauptbahnhof.