Volk
Wenn Rechte von »Volk« sprechen, dann meinen sie das Eigene im Sinne von Eigentümliche, Besondere, was das eine Volk von anderen Völkern unterscheidet; nicht einfach die durch Sprache vermittelte Kultur. Das Eigene – ein bei Rechten beliebter Begriff – ist an Homogenität gebunden. Es geht in ihren Augen nicht erst in multikulturellen Gesellschaften verloren, sondern wird allein durch die Einwanderung kulturfremder Barbaren bedroht (Sieferle 2017a, S. 40). Von daher rührt auch die Vorstellung vom Volkstod durch ethnische und kulturelle Vermischung oder Überfremdung. Die Neue Rechte hat aber nicht mehr allein das deutsche Volk und die germanische Rasse im Blick. Sie pflegt im Gefolge der französischen Neuen Rechten und ihres Vordenkers Alain de Benoist einen neuen Ethnopluralismus. Sein Ziel ist eben die unvermischte Erhaltung des je eigenen Volkes in seinen angestammten Grenzen. Dieses Konzept macht die Neue Rechte im internationalen Rahmen bündnisfähig, freilich eher nur in Europa – bzw. in den neoeuropäischen Territorien Nordamerikas, in Australien und Neuseeland; und natürlich dort, wo Rechte eine aggressivere deutsche Außenpolitik oder gar Gebietsveränderungen fordern. Bündnisfähig dort also, wo es um die Dominanz der weißen Rasse gehen könnte. Die größte Gefahr für die Identität und das je Eigene der Völker in ihren angestammten Territorien ist die neoliberale Globalisierung, die alles und alle durcheinandermischt. Und ihr Hauptmotor sind die USA, wo es am Ende nur den Einzelnen gibt, dem Kapitalismus hilflos ausgeliefert, und keine tragende Gemeinschaft. Feindbilder der Rechten sind, historisch aufeinanderfolgend oder wahlweise nebeneinander, die Bolschewiken, die Rothschilds, die Migranten, die Moslems, George Soros, die USA mit Israel im Bunde (USrael), der Liberalismus. Offener Antisemitismus wird meist vermieden.
Die nationalkonservativen Bewahrer des Abendlandes haben während des Kalten Krieges noch die asiatische Landnahme in Ostmitteleuropa durch den Sowjetblock beklagt. Jetzt aber, nach dessen Zusammenbruch, offenbart sich ein überraschendes Ergebnis: Der »freie« Westen ist bereits weitgehend multikulturell überfremdet (Überfremdung); und im frei gewordenen Osteuropa und Mitteldeutschland hat die sowjetische Besatzung ethnisch homogene Gebiete konserviert. Das sei ein »großer Segen der Geschichte« und eine Chance, das »christlich-europäische Abendland« als Identität zu bewahren, sagt Götz Kubitschek am 19.09.2016 in einer Pressekonferenz der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) (zit. nach Weiß 2017, S. 185.)
Übrigens: Wer »Mitteldeutschland« für die heutigen »neuen Bundesländer« sagt, hat drei Deutschlands im Sinn, nämlich West-, Mittel- und Ostdeutschland. Ostdeutschland liegt östlich von Mitteldeutschland, also in Polen. Die entsprechenden preußischen Provinzen heißen bis 1945 Pommern, Schlesien, Ostpreußen, das heute zur Hälfte russisch ist. Dazu käme Danzig. Diese Rede entspricht dem Sprachgebrauch der westdeutschen Nachkriegszeit bis zur »Entspannungspolitik« der Regierung Brandt (1969–1974).Von »Mitteldeutschland« sprechen diejenigen, die erstens die Abtretung der genannten Ostgebiete nicht wahrhaben und die zweitens die DDR als eigenen Staat nicht anerkennen wollen. Der Begriff Mitteldeutschland ist also in beiden Kontexten hochpolitisch. Aktuell interessant ist das Verhältnis der AfD zu den Nachbarn Polen und Russland. Erhebt die AfD Gebietsansprüche oder nicht? Angesichts der Anbetung Wladimir Putins durch die gesamte deutsche Rechte und die Sympathien für die polnische PiS-Regierung scheint das schwer vorstellbar.
Björn Höcke, der Anführer des rechten Flügel der AfD, berichtet, wie angesichts der Maueröffnung am 9. November 1989 sein Vater, ein »national gesinnter Mann«, seine Trauer darüber geäußert habe, dass nun auch der letzte Rest Deutschlands, nämlich Sachsen, von der westlichen amerikanisierten Lebensart überfremdet (Überfremdung) werde (zit. nach Weiß 2017, S. 186). Interessanterweise ist das genau das »Tal der Ahnungslosen« (DDR-Jargon), wo kein Westfernsehen empfangen werden konnte. Und dort befinden sich dann die Wiege von Pegida und eine Hochburg der heutigen AfD.
»Wir sind das Volk!« ist der Wunschtraum aller Rechten, weshalb die Parole vornehmlich im öffentlichen Raum, bei Demonstrationen und Kundgebungen, gerufen wird. »Wir sind das Volk!« ist die zentrale Parole der friedlichen Revolution 1989 gegen die DDR-Diktatur. Sie wird 2014/2015 im Verlauf der Pegida-Demonstrationen von den Rechten gekapert – sehr zum Leidwesen der DDR-Bürgerrechtler, die damit ihr Erbe missbraucht sehen. Rechte rücken mit der Parole die Bundesregierung an die Stelle der SED-Diktatur so, wie sie auch die Bundeskanzlerin als Komplizin und Nachfolgerin des langjährigen DDR-Regierungschefs Erich Honnecker einstufen: IM Erika oder IM Merkel. IM = »inoffizieller Mitarbeiter« ist die Bezeichnung für die Zuträger der DDR-Staatssicherheit.
Dieser schamlosen Aneignung entspricht die skrupellose Übernahme historisch belasteter Wörter. Die damalige AfD-Chefin Frauke Petry fordert die Entnazifizierung des Begriffes völkisch. Aus dem nationalsozialistischen Wortschatz stammt auch Umvolkung, womit zum Beispiel die Regermanisierung slawischer Siedlungsgebiete in den Ostgebieten (Mittelosteuropa) gemeint war. Heute steht das Wort für die Annahme, in Deutschland und Österreich sollten mittels gezielter Überfremdung Deutsche zu einer Minderheit gemacht werden, die fremd im eigenen Land ist.
Anfang 2017 geht der Volkstod um – in den Medien. Ralf Wohlleben, ein ehemaliger hoher NPD-Funktionär, lässt seinen Anwalt Olaf Klenke vortragen, es solle jedermann erlaubt sein, von Volkstod zu sprechen. Im Januar 2019 erklärt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Jugendorganisation der AfD, Junge Alternative, zum »Verdachtsfall«, Begründung unter anderem: »Sie zielt auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs. Den etablierten Parteien, ›diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz‹«, wird unverhohlen angedroht: »Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk« (Hervorh.: BfV). Was für ein Glück, dass dies schon rein zahlenmäßig nicht stimmen kann!
Die vom Verfassungsschutz zitierten Worte stammen von Markus Frohnmaier. Der ist Bundesvorsitzender der Jungen Alternative von 2015 bis 2018, Sprecher von Alice Weidel und zieht 2017 in den Bundestag ein. Seine Worte vom 28.10.2015 auf einer Demonstration in Erfurt sind nachzuhören auf AFD-live. Und was das deutsche Volk betrifft, so hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, zum deutschen Volk im Sinne des Grundgesetzes gehöre »nicht die Zugehörigkeit zu einem Volk oder Volksstamm, etwa im ethnischen oder soziologischen Sinne. Eingebürgerte Migranten nichtdeutscher Nationalität gehören somit zum deutschen Volk«. Zur deutschen Leitkultur und was dazugehört siehe Ethnopluralismus.