Volksverräter
Volksverräter – ein Reim auf Volksvertreter – ist einer der schärfsten Kampfbegriffe der Pegida-Rechten seit 2015, deren Vertreter auch 2019 deutlich machen, dass für sie der Volksverrat todeswürdig sei.
Verraten kann man ein Geheimnis, ein Versteck, einen guten Freund oder eine verschworene Gemeinschaft, aber ein ganzes Volk, Millionen von Menschen? Es müssten ja diese vielen eines Willens sein, ein einheitliches Anliegen haben oder Interesse verfolgen. Tun sie aber nicht, es sei denn in Konkurrenz zu anderen Völkern.
Bertold Brecht steuert zu dieser Frage in seinem 1934 erschienenen Text »Schwierigkeiten beim Beschreiben der Wahrheit« folgende Sätze bei:
»Wer in unserer Zeit Bevölkerung [...] statt Volk sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik [...]. Die Bevölkerung eines Landstrichs hat verschiedene, auch einander entgegengesetzte Interessen, und dies ist eine Wahrheit, die unterdrückt wird« (zit. nach Heine 2019, S. 206).
Wer also »Volksverräter« sagt, hat dann einen anderen Begriff von Volk. Für ihn ist Volk eine organische Einheit wie ein lebendiger Körper mit einem gleichgerichteten (Überlebens-)Willen, der sich stetig gegen andere Völker richtet und wehren muss. Dieses von den Rechten erdachte Volk befindet sich im permanenten Kampf- oder Kriegszustand nach außen, innerlich folglich im chronischen Ernst- fall oder gar Notstand. Und dann ist der vermeintliche Verrat wie eine lebensbedrohliche Krankheit, ein Infekt, der (ab)getötet werden muss. So denken Rechte, Faschisten und Nazis. Das Volk ist eine Einheit, eine Volksgemeinschaft, und wir bestimmen, wer dazugehört und wer nicht – bei den Nazis Juden, heute Migranten. In einem »Spiegel«-Kommentar heißt es:
»Als ›Volksverräter‹ wurden nach dem Ersten Weltkrieg von Rechtsextremen erst all jene Demokraten betitelt, die sich für einen Frieden stark gemacht hatten und für die Weimarer Republik eintraten. Dann führten die Nazis den Begriff ins Strafrecht ein. Fortan konnte jeder als Volksverräter verurteilt werden, der sich gegen die rassisch definierte Idee der ›Volksgemeinschaft‹ auflehnte. Schon die kleinste missliebige Äußerung gegen das NS-Regime war mithin ›Volksverrat‹« (Nelles 2016).
Es sei »kein Zufall«, meinen auch Robert Feustel et al. (2018, S. 157), »dass Volksverrat erstmals als Straftatbestand unter dem Naziregime auftauchte«. Dafür, dass Volksverrat im NS-Strafgesetzbuch steht, fehlt bei beiden Angaben, »Spiegel« und Feustel et al., der Nachweis. Das Wort kommt auch in dem umfassenden »Vokabular des Na- tionalsozialismus« von Cornelia Schmitz-Berning (2007) nicht vor. Wahr und hier entscheidend ist, dass der von den Nationalsozialisten eigens geschaffene Volksgerichtshof, die Sondergerichte und die zahlreichen Standgerichte der letzten Kriegsmonate insgesamt 35 000 Todesurteile wegen Landesverrats und Hochverrats und Wehrkraftzersetzung (Zersetzung) fällen; und dass rechte Demonstranten den behaupteten Volksverrat für todeswürdig halten.
Die bisher krasseste Plakatierung eines Galgens für die Volksverräter Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel wird auf einer großen Pegida-Demonstration in Dresden am 12. Oktober 2015 gezeigt. Wiederum in Dresden bei den Einheitsfeiern am 3. Oktober 2016 werden Bundespräsident Gauck und die Kanzlerin von einer wütenden Menge als Volksverräter – Lügenpack beschimpft. Sachsen-Anhalts AfD-Chef André Poggenburg nennt die Rufe Ausdruck von »gelebte(r) Demokratie« und »Meinungsfreiheit«.
Es bleibt auch der AfD vorbehalten, den Ausdruck in die parlamen- tarische Debattenkultur einzuführen: Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple, seines Zeichens »Hypnotiseur«, beschimpft im November 2016 Kollegen anderer Fraktionen als Volksverräter und wird nach verschiedenen Pöbeleien von der Polizei aus dem Plenarsaal geführt. Frank Rugullis, Online-Chef des MDR Sachsen-Anhalt, zitiert 2018 aus einem Troll-Kommentar:
»›Während Ihr Idioten über die AfD herzieht, führen wir still und leise unseren Plan aus: Listen von Kommunistenschweinen und Pfaffen ab- gleichen, Namen und Adressen überprüfen und geheime Hinrichtungsstätten für Euch Volksverräter vorbereiten‹« (Heine 2019, S. 207).
Und in einem Chat der Jungen Alternativen Baden-Württemberg heißt es:
»Man sollte diese ganzen Volksverräter öffentlich hinrichten lassen. Das ganze Kabinett Merkel IV.«