Eigensprache und Körper Teil 3

Körper wahrnehmen – Ausdruck finden – Veränderung verkörpern


In den beiden vorigen Artikeln zum Thema Eigensprache und Körper wurde deutlich, wie wichtig es sein kann, für das, was man im Körper wahrnimmt“ einen „Ausdruck“ zu finden. Nach außen, weil das auch immer eine Richtung ist, die es einfacher macht. Wenn zum Beispiel jemand sagt, da ist so ein Stein in der Brust, fragen: „Lassen Sie uns den Stein mal gemeinsam anschauen. Können Sie ihn mir beschreiben?“. Schon muss man den Stein von außen betrachten. Man schafft und bekommt Abstand. Dann kann man mit diesen oft metaphorischen Ausdrücken „spielen“ und z.B. nach gewünschten Veränderungen fragen: „Und was hätten Sei gern. Dass mit dem Stein passiert?“. „Der Stein soll statt auf der Brust lieber im Garten als Denkmal einen Platz finden“



Oft wird die Veränderung in der äußeren Metapher dann auch im inneren verkörpert. Das kann dann so ausschauen, dass eine Veränderung wahrnehmbar wird im körperlichen Bereich. Und wenn dann ausgedrückt ist, was war, dann ist da eine ganz andere Körperspannung und Mimik. Wenn man aufmerksam ist, kann man solche kleinen Veränderungsprozesse im körperlichen Bereich beobachten.


Auch im folgenden Gespräch mit einer Klientin, die unter Tinnitus leidet, kann man diese Schritte der Wahrnehmung, des Ausdrucks und der Veränderung gut beobachten.


Demogespräch „Der Körper macht etwas, das ich nicht will“


Worüber möchtest du sprechen?
Mich zwickt ein Tinnitus. Seit 20. Februar. Also ich hatte das früher schon mal (Hände wirbeln bei den Ohren) und dann ging das wieder weg. Und jetzt bleibt es. Seit 20. Februar. Und… es nervt.
Magst du mal beschreiben, dieses, was da nervt?
Ein ganz hoher Ton, wie ich ihn von Elektrogeräten kenne. Der ist einfach immer da. Bei Elektrogeräten ist es glaube ich, solange sie am Strom sind. Relativ hoch. An sich leise. Wenn ich das tatsächlich am Elektrogerät hören will – wobei ich es im Moment glaube ich nicht hören kann. Jedenfalls hat mein Man schon zwei-drei-mal gesagt, dass er etwas hört, was ich nicht hören kann. Ich nehme an, dass ich nicht… der Tinnitus überlagert das irgendwie. Dann würde ich mit dem Ohr an ein Elektrogerät hingehen und dann könnte ich so einen hohen Ton hören (beide Hände flach neben dem rechten Ohr, die eine unterhalb des Ohrs, die andere oberhalb). Und im Moment ist der eben die ganze Zeit da. Ich höre ihn auch jetzt beim Gespräch oder im Webinar (Hände bewegen sich vor Körper)… Er stört, wenn ich beschäftigt bin, nur mäßig. Aber wenn ich ruhig bin, ist er immer sofort wieder da und ich merke ihn schon auch in Gesprächen. Also auch wenn ich mich unterhalte oder auf andere Leute konzentriere. Der geht nicht so weit in den Hintergrund, dass ich ihn gar nicht mehr wahrnehme.


Das einfach Beschreibenlassen bringt unheimlich viel Informationen über das, was da passiert. Und wir haben ja Subjekt, Objekt und Prädikat im Satz. Das heißt, das, was da nervt, wird schon qua Sprache zu einem handelnden Etwas. Hier Elektrogerät-artig. Ein Vergleich – da könnte man nachfragen. Es nervt, es geht nicht weg, es macht Dinge. Jetzt können wir das Ding als etwas anderes behandeln als unser:e Gesprächspartner:in. Das ist schon mal die Aufspaltung in Zwei. Der gehen wir jetzt ein bisschen nach.


Da ist so ein hoher Ton wie von einem Elektrogerät. Welches Elektrogerät kommt dir in den Sinn, das solche Töne macht?
Ein Fernseher.
Und wann macht ein Fernseher so einen Ton?
Wenn er läuft.
Was ist deine Vorstellung, wie solche Töne entstehen, wenn Fernseher laufen?
Also es ist glaube ich was, was aus der Technik kommt, nicht aus der Anwendung. Im Fernseher kommt dann ja auch ein Film mit Bild und Ton. Da drüber kommt es nicht, sondern es kommt über die Bereitstellung der Technik und ich glaube, weil der Strom da durchfließt.


Jetzt haben wir ein Modell, mit dem wir arbeiten könnten. Vielleicht gibt es auch noch ein anderes. Schauen wir mal.


Wenn du jetzt an diesen Fernseher denkst. Es ist die Technik, die das bereitstellt, und nicht der Film, der da läuft. Und das hat was mit dem Strom zu tun. Was könnte das für den Fernseher ausmachen, dass da Strom durchfließt? Wofür ist das beim Fernseher zumindest sinnvoll?
Sonst steht er halt nur rum. Also. Fernsehen kann man mit dem Fernseher nur, wenn da auch Strom durchfließt. Ansonsten kann man ihn tatsächlich auch wegtun, wenn man keinen Strom durchfließen lässt. Dann nimmt er nur Platz weg. Dazu braucht man ihn nicht.
Mal angenommen, da läuft Strom, so wie du sagst. Was für einen Film würdest du denn gerne sehen, wenn da dieser Strom läuft?
Dann würde ich gerne Filme sehen, die mich interessieren und gleichzeitig was von Leichtigkeit haben. Ich habe neulich eine sehr spannende Doku gesehen über Spiritualität auf Arte. Fünf Teile. Was uns heilig ist. Das fand ich sehr spannend. Da ging es um verschiedene Menschen und verschiedene Zugänge zum Heiligen. Das war jetzt kein wissenschaftlicher Vortrag, sondern die Menschen wurden vorgestellt. Die haben erzählt und dann war das wie so ein… ein Bilderbogen (Hände bewegen sich vor Körper symmetrisch von der Mitte nach außen). Nicht so wie ein Puzzle (Hände verschränken sich ineinander), sondern wie ein Bilderbogen (gehen auseinander). Das fand ich schön.
Was passiert dann, wenn du so schöne Sendungen siehst?
Da bleibt so die Zeit stehen. Da bin ich plötzlich mit in diesem Geschehen drin (Hände gestikulieren). Also die haben es geschafft, mich da reinzunehmen. Da waren dann verschiedene Landschaften, vom Berg oben fotografiert oder ne Luftaufnahmen von nem Tempel und ich bin so mit den Perspektiven mitgegangen (Hände gestikulieren).
Wo kommst du dahin, wenn du mit solchen Perspektiven mitgehst (ahmt Handbewegung nach)?
Das ist fast wie fliegen. Innerhalb von relativ kurzer Zeit – der Filmautor ist quer über den Erdball – und ich kann dann in relativ kurzer Zeit mit und es waren eben viele Aufnahmen aus ungewöhnlichen Perspektiven und mit schnellem Wechsel. Als ob man sich irgendwo hin beamt (Handbewegung von innen nach außen, so dass Handinnenflächen nach oben zeigen). Und relativ nah dran. Ich konnte Leute besuchen, ich hab Menschen kennengelernt.


Ich habe jetzt zwei Möglichkeiten, die sich mir anbieten. Ich könnte jetzt diese Einladung annehmen, aus verschiedenen Perspektiven etwas neu kennenzulernen. Das wäre jetzt relativ direkt und direktiv, sie einzuladen, aus welcher Perspektive sie den Tinnitus wahrnehmen möchte. Das kommt mir fast zu direktiv vor. Meine idiolektischere Variante wäre eher, einfach die Sachen zu benennen, die aufgetaucht sind, und ihr die Steuerung zu überlassen, was sie damit jetzt macht. Ob sie es verbindet oder nicht. Ich habe keine Ahnung, wie die beiden Sachen in Verbindung stehen, die sie erzählt hat. Der Film, den sie sieht. Das, was es mit ihr macht und das elektrische Gerät, das diesen Strom braucht, damit es ihr den Film zeigen kann. Dieser Fernseher.


Wir haben jetzt über Tinnitus gesprochen, über den Fernseher, über den Film. Was geht dir gerade durch den Sinn, wenn du an all das denkst?
Also ich bin mir jetzt gerade gar nicht sicher, ob ich beim Film gucken den Tinnitus tatsächlich so wahrgenommen habe. Weil das so intensiv war. Das geht mir nicht oft bei Filmen so. Das war schon besonders eindrücklich, wovon ich gerade erzählt hab. Ich höre glaub ich diesen Fernseherelektroton erstens, wenn ich zu nah dran stehe. Also wenn ich eine ordentliche Entfernung habe, um einen Film zu gucken, dann kann ich den so nicht höre. Der vom Elektrogerät ist zu leise. Und der Tinnitus bleibt glaube ich … im Moment stimmt das nur bedingt, denn im Moment ist er ja die ganze Zeit da. Aber der geht glaube ich weg, wenn ich sehr präsent bin.
Und wenn wir jetzt den Fernseher noch mal ein bisschen zum Leben erwecken, zumindest zum funktionalen Leben, und du hast festgestellt: Okay, wenn du sehr nah dran gehst, ist er laut, wenn du in den Film intensiv eintauchst, ist er gerade nicht so präsent. Oder du bist mehr präsent und nicht der Tinnitus. Was glaubst du, was will den so ein Fernseher… Wofür macht er so ein Ton da? Was will der?
Ich glaub, das ist schlechte Technik. Ich glaube, dass der Ton völlig überflüssig ist. Ja. Und nicht, dass man den Strom hören muss zum Gucken oder um den Ton zu hören. Und vielleicht ist unsere Ingenieurskunst noch nicht so weit. Aber dass der einen Sinn hat, sehe ich nicht. Ich glaube nicht, dass der gebraucht wird.
Ausser dass er diesen Strom braucht, um diesen Film zu machen, hat er keinen Sinn. Angenommen, man hat so schlechte Technik und kann den Fernseher gerade nicht austauschen. Was würdest du gerne machen, wenn du auf so einen Fernseher angewiesen bist?
Wirklich nur gucken, was mich auch interessiert. Ich weiß gerade nicht, ob er bei Stand-by auch so einen Ton hat. Aber ich glaube, Stand-by fände ich auch eher stressig. Das heißt, der Fernseher würde nur angeschaltet werden, wenn er tatsächlich gebraucht wird und wenn er irgendwas zu meiner Lebensqualität beiträgt. Ansonsten brauche ich keinen Fernseher und ich brauche schon gar keinen, der Töne macht, die ich nicht für erforderlich halte.
Was könnte er zu deiner Lebensqualität beitragen?
Er kann ja schon erstaunlich viel. Wenn das so Filme sind, die ich wirklich spannend finde und wo ich auch gerne 5 knappe Stunden – ich habe die glaube ich innerhalb von drei Tagen gekuckt – das ist für mich hintereinander weg. Was mich wirklich interessiert, das finde ich gut. … Es darf auch mal – es muss nicht immer so tiefgründig sein – es darf auch mal Leichtigkeit haben und ein Zeitvertreib. Aber nicht um die Zeit zu vertreiben, sondern dahin zu treiben, würde ich dann eher sagen. Also sowas Zweckfreies.
Ansonsten brauch ich den Fernseher eher nicht. Für Informationen würde ich nicht unbedingt einen Fernseher nutzen. Da würde ich mir nicht Bild und Ton angucken. Bei Information mache ich das ganz selten.


Ich weiß selber überhaupt nicht, wo das hinführt und es ist wundervoll. Ich kann sie ja fragen.


Also. Wir haben jetzt ein bisserl drüber gesprochen, über das. Was denkst du im Moment zu all dem?
Das ist insofern spannend, weil ich ja gar nicht so viel Fernsehen gucke. Das ist ein Bild, das mir dazu einfällt. Weil ja der Ton im Ohr, der hört sich ja so an als würde ich ständig einen Fernseher laufen lassen und wäre viel zu nah dran. Ich könnte gar nicht sehen, was da für ein Programm läuft. Und kann es dann vielleicht auch nicht auswählen, weil ich das Ohr an der Maschine dran hab. Aber da gehört es auch nicht hin.
Wo gehört das Ohr hin und wo würdest du es gerne haben?
Das Ohr gehört an meinen Kopf. Und ich hätte es gern, wenn ich es tatsächlich mit einem Fernseher zu tun habe, so weit… die Entfernung würde ich glaube ich weniger übers Ohr steuern als über die Augen, weil die auch einen beschränkten Spielraum haben. Dass ich gut sehen kann und dann den Ton entsprechend anpassen, so dass die Ohren das angenehm finden.
Wie könnte es sich auswirken, wenn man so umgeht mit solchen Fernsehern?
Dann kann man sich auf die Inhalte konzentrieren.
Magst du dazu noch was sagen?
Ich habe gerade gedacht, Programm wäre der falsche Ausdruck. Was ich mit der Info mache, weiß ich noch nicht. Aber es scheint irgendwie einen Unterschied zu geben zwischen Programm und Inhalten.
Magst du dir die Zeit nehmen, darüber noch mehr herauszufinden in der nächsten Zeit über Inhalte, über Fernseher, über Abstände, über das, was du erzählt hast? Ist es okay, wenn wir das da stehen lassen.
Ja, das passt. Ich bin einen Riesenschritt weiter. Vielen Dank.
Magst du uns noch was über den Schritt verraten, den du weiter bist?
Was ich schon hatte, war das Bild mit dem Elektro, mit dem Strom. Und dann war ich vorher eher da „Ich muss überall den Strom abschalten.“ Und jetzt bin ich da, um zu gucken, dass die Inhalte passen und die Entfernung passt. Und dann nehme ich – zumindest beim Fernseher – den Ton nicht mehr wahr. Und was mein Tinnitus dann macht, werden wir sehen.


Neurophysiologie zur Entstehung des Tinnitus im Sinne von archaischen Mechanismen. Die Fokussierung auf das Strom abschalten ist eine Fokussierung, die gehirntechnisch nicht funktioniert. Das Gehirn kann kein Nein denken, kein abschalten denken. Wenn ich darauf fokussiere, den Tinnitus/Strom abzuschalten, wird er lauter. Die Information, auf die ich fokussiere „Ich will das nicht mehr“, wird im Gehirn verstärkt. Das kann diesen Nein nicht übertragen. Und das ist genau das Element, was den Teufelskreis beim Tinnitus schließt. Ich will den weghaben. Und Tinnitus-Therapie arbeitet damit, dass man den Abstand dazu einnimmt, und sich auf andere Inhalte fokussiert. Tinnitus ist ja häufig ein Nebeneffekt, von dem, was da läuft. Manchmal hat es auch eine wesenhafte Art, aber in diesem Gespräch war es jetzt mal ein Gerät. Sowas kann auch eine Personifizierung sein. Es muss nicht immer ein Tierchen sein oder etwas, das etwas will.


Aus der Diskussion zum Demogespräch:


Man hätte sich anders starten und sich das Anfangsbild „der Tinnitus kommt und geht wieder weg“ ausmalen lassen können.


Die paralogische Ebene im Gespräch ist der Fernseher. Das war absolut paralogische Ebene. Da hatte der Verstand keine Ahnung, was da läuft. Das ist nur vermeintlich auf einer technischen Ebene. Im Metaphernbild ist es aber ein Abbild der Neurophysiologie, die in der sprechenden Person läuft. Sie kann nicht anders, als das da reinprojizieren. Und da es sich um elektrische Vorgänge handelt – ein Tinnitus ist nichts anderes als ein elektrischer Kreis, der in sich geschlossen ist und einen auditorischen Eindruck hinterlässt. Wenn man das neurophysiologisch betrachtet, ist es ein Bild, das sehr gut gepasst hat zu dem, wo sich dieses Symptom abspielt. Wenn das ein Schmerz in der Großzehe wäre, wäre es vielleicht ein anderes Bild, das auftaucht. Aber es handelt sich hier um einen rein elektrischen Vorgang im Kopf. Da passt diese Metapher sehr gut und sie hat einen enormen Spielraum geboten, um auszuprobieren, wie gehe ich damit um. Mit den Fragen „Was denkst du dazu?“ oder „Was machst du daraus?“ oder „Was fängst du damit an?“ passiert, dass die Erzählenden aus der paralogischen Ebene in die reale Ebene ihre Verbindungen knüpfen und uns die mitteilen. Und dann können wir damit weiterarbeiten.