Da capo: Die Radikalisierung der AfD

Wenn ich mich recht erinnere (d.h. ich erinnere mich natürlich nicht, sondern ich habe nachgeschaut), dann habe ich hier im Februar 2017 zum ersten Mal über Bernd Höcke als künftigen AfD-Chef geschrieben. Und danach habe ich bereits mehrfach denselben Beitrag publiziert, in dem ich die Logik der Homogenisierung der AfD dargestellt habe. Der Einfachheit halber publiziere ich diesen Artikel aus Anlass des AfD-Parteitags am Wochenende noch einmal (Murmeltiertag). Ich werde ihn - vermute ich - in zwei Jahren, wenn Höcke zum alleinigen Führer der Partei gewählt wird, erneut drucken können.
Hier da capo: "Die Radikalisierung der AfD"


Soziale Systeme haben die Tendenz sich zu homogenisieren, d.h. als Mitglied muss man sich an die "herrschende Meinung" anpassen, wenn man nicht ausgegrenzt werden will. Deswegen war vorherzusehen, dass die AfD sich radikalisieren würde, denn wer eine radikale Meinung vertritt, ist in der Regel nicht bereit, davon abzurücken, und wer nicht fundamentalistisch denkt, ist meist zu "faulen Kompromissen" bereit. Deswegen habe ich hier schon vor Jahren vorhergesagt (ja, ja: meine typische Besserwisserei), dass die AfD sich zu einer reinen Nazi-Partei entwickeln wird. Zu Beginn war dies eine Partei von Ökonomen wie Herrn Lucke oder Olaf Henkel, die gegen den Euro waren. Als die Partei weiter nach rechts rückte traten sie aus. Dann übernahm Frau Petry das Steuer. Die Partei rückte weiter nach rechts. Frau Petry und andere traten aus. Und die Herren Meuthen und Gauland machten da weiter mit, auch wenn sie - wahrscheinlich - keine in der Wolle gefärbten Faschisten wie Bernd Höcke sind.


Die Dynamik ist aus systemtheoretischer Sicht relativ klar: Von der rechtsradikal-nationalistisch-rassistischen Orthodoxie abweichende Meinungen bzw. diejenigen, die sie vertreten, werden "ausgeschwitzt" (wie Höcke das so schön formuliert hat). Ein selbstorganisierter Reinigungsprozess, da der Schweiß (um in der Metaphorik zu bleiben) nicht mehr innerhalb diese Körpers bleiben will und den Weg an die frische Luft sucht. Jetzt aber hat der Verfassungsschutz offiziell bekannt gegeben, dass er den sogenannten "Flügel" der AfD (die Gruppierung um Bernd Höcke) beobachtet, d.h. verfassungswidriger Aktionen verdächtigt. Daraufhin hat nun der Vorstand der Partei aus Angst, Wähler zu verschrecken, die sich selbst als "bürgerlich" definieren, den "Flügel" aufgefordert ("gebeten"), sich bis Ende April aufzulösen.


Das ist - wieder aus der Außenperspektive dessen gesehen, der sich für die Dynamik sozialer Systeme interessiert - eine paradoxe Intervention, die dazu führen wird, dass "Flügel" und AfD zu einer nicht-unterscheidbaren Einheit werden. Denn wie will man durch einen formalen Beschluss eine informelle soziale Einheit auflösen? Die ca. 7000 Mitglieder des "Flügels" haben ja keinen Mitgliedsantrag gestellt, sie zahlen (soviel ich weiß) auch keine Mitgliedsgebühren, haben keine Vereinssatzung, keinen gewählten Vorstand oder Kassenwart usw. Wenn sie der Bitte des Vorstands nachkommen, dann werden sie alles weiter machen wie bisher, werden sich aber in der öffentlichen und internen Kommunikation nicht mehr als gegen andere Parteimitglieder abgegrenzte Einheit definieren. Doch sie werden weiter so handeln. Daher haben alle anderen Parteimitglieder keine Chance noch langfristigen Einfluß zu gewinnen (wie man eine Partei "übernimmt", habe ich in meinem kleinen Populismusbuch genauer beschrieben). Daher wird der Reinigungsprozess vereinzelter "gemäßigter" Mitglieder weiter gehen, bis Herr Höcke auch offiziell zum Führer (ich denke und hoffe: nur dieser Partei) gewählt wird. Dann ist die AfD nicht mehr vom "Flügel" zu unterscheiden - was ihr aber hoffentlich nicht zum Fliegen verhilft (bzw. aus meinder Sicht hoffentlich: nur zum Abflug).