Souveränität meint immer auch Körperkompetenz

Günther Jauch traf in seiner Talkrunde am vergangenen Sonntag drei Menschen, die schreckliche Entführungserfahrungen hinter sich haben. Frau Kampusch berichtete von ihrem über 8 Jahre währenden Gefängnis im Keller ihres Entführers. Sie wirkte sprachlich ähnlich wie im ersten Interview vor mehr als 6 Jahren sprachlich sehr kompetent, obwohl Gesichtsausdruck und Stimme eine gewisse Scheu, Regungslosigkeit und Zerbrechlichkeit, was mich nicht verwunderte, nicht verbergen konnten. Kampusch wählte ihre Worte sehr genau, um ihr psychisches Überlebensverhalten zu illustrieren. Damals beim ersten Interview, jetzt vielleicht auch, haben viele Menschen gerade diese Art des verbalen Ausdrucks als überzeugendes Zeichen von Souveränität genommen.


Ich sehe das nicht ganz so.


Eindrücklich schilderte sie Momente des Hungers. Ihr Entführer hatte sie offensichtlich durch Essensentzug gequält. Noch heute hätte sie kein (Körper-) Gefühl für Hunger, Sättigung sowie den Geschmack von Speisen. Dies sei besonders schrecklich. Und gerade deswegen wäre sie, jetzt, im Unterschied zu damals, auf Grund eigener Entscheidung in psychotherapeutischer Behandlung.


Mir scheint, dass ihre Ich-Stärke, die Klarheit in der verbalen Formulierung sowie ihre Kompetenz, sich bewusst für ein jeweils bestimmtes Verhalten zu entscheiden, geholfen haben das schreckliche Martyrium zu überleben. Gleichzeitig scheint ihre Körperkompetenz (abgespalten?) deutlich gelitten zu haben. Hierunter verstehe ich die Fähigkeit sich selbst körperlich wahrnehmen, fühlen, zu erleben und entsprechend ausdrücken zu können.


Während es in der Gefangenschaft ums Überleben ging, dafür ist die kognitive und verbale Kompetenz unbedingt vonnöten, scheint es jetzt darum zu gehen, (wieder) einen Zugang zum Leben außerhalb der Gefangenschaft, nämlich dem tatsächlichen, „lebendigen“ Leben zu finden. Die damalige Entführung, Kampusch war zehn Jahre alt, hat diesen Prozess der Entwicklung von Körperkompetenz abrupt unterbrochen. Die zeitliche, emotionale und physische Intensität der Gefangenschaft und hiermit verknüpfte Traumatisierung scheinen sogar  die bis zum Alter von zehn Jahren entwickelte Körperkompetenz nicht nur abgespalten, vielleicht sogar „zerstört“ zu haben.


Frau Kampusch hat ohne, wie sie sagt, eine eigene Motivation gehabt zu haben, gleich nach der Entführung eine Therapie begonnen, aber dann abgebrochen, (was mich nicht verwundert). Die eigene Motivation, sich jetzt in psychotherapeutische Behandlung zu begeben, kann daher als ein wichtiger, vielleicht sogar das wichtigste Moment gewertet werden, wieder Souveränität im Zusammenspiel von kognitiven, emotionalen und körperlichen Aspekten zu erlangen.


 Ein solcher Schritt geht nicht ohne die Entwicklung von Körperkompetenz.


Souveränität in der Zeit nach der Entführung meint m.E. somit sowohl den kognitiven-verbalen Bereich, als auch den nonverbalen, körperlich-erlebbaren Bereich.


 


(Hier der Link zu meiner Analyse der nonverbalen Wirkung von Frau Kampusch im ersten Interview vor sechs Jahren.


 http://www.spiegel.de/panorama/fall-kampusch-sie-ist-wie-ein-aeusserst-zerbrechliches-glas-a-435818.html )