Faschismus

Faschisten sind rassistische Rabauken und Totschläger. Björn Höcke darf man wegen seiner politischen Ansichten einen Faschisten nennen. Sagt ein Gericht. Elon Musk, der Tesla-Gründer schimpft über die Hygiene-Vorschriften der kalifornischen Behörden: „Das ist Faschismus!“ Deutsche „Hygiene-Demonstranten“ wettern gegen den „Corona-Faschismus“. Der Faschismus-Vorhalt wird scheinbar beliebig als Schimpfwort ausgeteilt – oder steckt nicht doch System dahinter? Zeit für eine Begriffsklärung, deshalb heute:


Faschismus, Faschist


Auf den Faschismus-Vorwurf von ganz rechts können sich heute bald alle gefasst machen, die sich offensiv für Menschenrechte, Genderpolitik und offene Gesellschaft einsetzen. Das ist paradox. Denn Faschisten sind ja eigentlich rassistische, autoritäre Führerfanatiker. Ursprünglich ist Faschismus die Selbstbezeichnung der Mussolini-Bewegung in Italien von 1922 bis in den Zweiten Weltkrieg. Fast gleichzeitig wird das Wort bei der politischen Linken und in der wissenschaftlichen Forschung zum Sammelnamen für nationalistische und rassistische Bewegungen und autoritäre Führerstaaten. Dazu gehört auch das sogenannte Dritte Reich der deutschen Nationalsozialisten.


Die polemische Rede gegen Faschismus behält nach 1945 im deutschen Sprachraum einzig die – ihrem Selbstverständnis nach strikt antifaschistische – kommunistische DDR-Führung bei und richtet einen pauschalen Faschismus-Vorwurf gegen die kapitalistische Führungselite der westdeutschen Bundesrepublik. Das ist zunächst insoweit gerechtfertigt, als in den 1950er-Jahren bis in höchste Ämter tatsächlich Alt-Nazis aktiv sind. Es ist auch besonders verständlich und nachvollziehbar, weil viele Kommunisten und Sozialisten von den Nationalsozialisten umgebracht, in Konzentrationslagern gequält oder ins Exil gezwungen wurden. Faschismus bleibt aber in der DDR über vier Jahrzehnte die fast alltägliche Dämonisierungsformel für den Klassenfeind, den westdeutschen Staatsfeind BRD. Ihren krassesten Ausdruck findet diese Variante in der Bezeichnung »antifaschistischer Schutzwall« für das berühmteste Bauwerk der DDR, die Berliner Mauer (1961–1989).


Für den unbefangenen Beobachter mutet es nun merkwürdig an, dass bekennende Rechte ihre als »links« empfundenen Kritiker und Gegner Faschisten (auch linke Faschisten) nennen. Erst die nähere Betrachtung zeigt, dass es sich hier um eine Immunisierungsstrategie handeln muss nach dem Muster: »Solltest du darauf kommen, dass mein Weltbild dem von Faschisten oder Nationalsozialisten ähnelt, worauf du mich entsprechend in die Nähe von Faschisten oder Nazis rücken wirst, also die Nazikeule rausholen wirst, sage ich dir gleich mal vorab, dass du der Faschist bist [...], der mir seine Meinung aufzwingen will. Ich werde dich einen Genderfaschisten nennen, wenn du mir mit Genderwahnsinn kommst, und einen Toleranzfaschisten, der seinen Gutmenschenterror an mir auslässt.« Nach dem Muster: Der Dieb schreit am lautesten »Haltet den Dieb!«. Oder: Brandstifter rennt als Erster zur Feuerwehr.


Der Faschismus-Vorwurf ist in Ostdeutschland geläufiger als im Westen. In der alten BRD gibt es das Wort im öffentlichen Diskurs auch kaum. Im Osten aber hat eben die SED-Propaganda bis 1989 ihr DDR-Volk tagtäglich gegen den Westen (BRD) aufzubringen versucht und völlig inflationär mit dem Faschismus-Vorhalt gearbeitet.


Es ist zu vermuten, dass die Allgegenwart des faschistischen Feindes auch heute noch oder wieder wortprägend in Post-DDR-Köpfen arbeitet. Dass also, weiter gedacht, der Anwurf Faschismus zuweilen einer als Zumutung empfundenen Toleranz- und Offenheitsforderung aus dem Westen gilt, die manchen Ostdeutschen vom Pegida-Typ als schwer lebbar erscheint. Was möglicherweise mit der nassforschen


Deindustrialisierung der DDR-Gebiete und der nachfolgenden Entvölkerung vieler ostdeutschen Regionen zu tun hatte. Es ist ja auch auffällig, wie in rechten Texten in einem Atemzug neoliberale Globalisierung und faschistisches Verhalten gebrandmarkt werden. Es scheint also, nach allem, als wäre der Faschismus-Vorhalt Polemik von Teilen der ostdeutschen Bevölkerung gegen den westlich geprägten eigenen Staat. Mit irregeleiteter Stoßrichtung.


Faschismus und seine Ableitungen kommen in analytischen oder programmatischen Texten der Rechten nicht vor, nur in der Vulgärsprache und Polemik der Internet-Foren. Der Eintrag Faschismus im Staatspolitischen Handbuch (IfS 2009, S. 52 ff.) enthält keinerlei Hinweis auf den hier angesprochenen vulgärsprachlichen Gebrauch. Verwandt ist der Totalitarismus-Vorhalt gegen die Grünen und umweltpolitische Bestrebungen ganz allgemein. Siehe auch Klimasozialismus, der an anderer Stelle dann auch gleich wieder Klima-Faschismus heißen kann.