Von stillen Teilhabern zu aktiven Gesellschaftern. Verantwortliche und kompetente Eigentümerschaft von Familienunternehmen

Der fünfte Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung


Erfolgreiche Familienunternehmen, die immer größer und internationaler geworden sind und sich weiterhin in diese Richtungen bewegen, führen nicht selten egalitäre Vererbungsprinzipien der Gesellschafteranteile ein.[1] Das bedeutet dann, dass die Eigentumsanteile der einen Generation an alle Nachkommen innerhalb der nächsten Generation gleichmäßig weitergegeben werden. Somit wächst die Gesellschafterzahl mit jedem Generationsübergang stetig. Zudem kann es sein, dass das Familienunternehmen keinen familiären Gesellschafter bzw. keine Gesellschafterin mehr als geschäftsführend beschäftigt, sondern dass es durch familienexterne CEOs geführt wird. Spätestens dann ist es wichtig, sich zu fragen, was von den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern erwartet wird, wie sie ihre Eigentumsverantwortung als nicht operativ tätige Familienmitglieder tragen sollen und wollen.


Während in Familienunternehmen in der Vergangenheit bezüglich nicht operativ tätiger Gesellschafter in der Regel davon ausgegangen wurde, dass diese sich „still“ verhalten, dass sie also die Privilegien, Eigentum an einem Familienunternehmen zu besitzen und damit Ausschüttungen zu erhalten, zwar in Anspruch nehmen können, dass sie sich aber ansonsten in die unternehmensbezogenen Entscheidungsprozesse nicht einmischen, sind die Erwartungen heute andere. Klassischerweise wurden Familienunternehmen patriarchal geführt, von einer das Unternehmen und die Familie repräsentierenden Person vertreten, die alle wichtigen Entscheidungen trifft, mit von ihr ausgewählten Vertrauten diese vielleicht bespricht und vorbereitet, aber ansonsten innerhalb der Familie bzw. des Gesellschafterkreises Gefolgschaft erwartet. Die anderen Gesellschafterinnen und Gesellschafter sollten und durften sich in solchen Strukturen also tendenziell nicht einmischen.


Heute jedoch ist die Situation eine andere, mindestens in zweierlei Hinsicht: Zum einen steigt die Komplexität in der so genannten VUKA-Welt, die hinsichtlich ihrer sozialen Verhältnisse und der darauf bezogenen Entscheidungen volatil, unsicher, komplex und ambivalent ist. Das bedeutet, dass Einzelpersonen mit Entscheidungen überfordert sind, es bestenfalls soziale Prozesse der Entscheidungsfindung gibt, die die kollektive Intelligenz des „Mehrhirndenkens“ (Fritz B. Simon) nutzen und damit bessere Entscheidungen ermöglichen als solche, die Einzelpersonen treffen. Zum anderen haben sich die kulturellen und sozio-moralischen Ansprüche der Menschen verändert; demnach wird partizipatives Verhalten erwartet, das alle Beteiligten und Betroffenen mitnimmt sowie patriarchales Entscheiden und dessen Durchsetzung grundsätzlich befragt.


Wenn es gelingt, dass wachsende Unternehmerfamilien ihren Zuwachs an Gesellschafterinnen und Gesellschaftern in solche Entscheidungsprozesse einzubinden sowie deren Unterschiedlichkeit im Denken, Fühlen und hinsichtlich ihrer Handlungspotentiale konstruktiv zu nutzen, dann kann daraus ein Zuwachs unternehmerfamiliärer Intelligenz, Identität und Durchsetzungsstärke resultieren. Der Familienstrategieprozess selbst kann ein Modell sein, um eine solche, tendenziell postpatriarchale Form des Entscheidens[2] zu erleben und zu etablieren.


Die Aktivität nicht operativ tätiger Gesellschafterinnen und Gesellschafter setzt freilich voraus, dass diese Personen Kompetenzen besitzen, die sie für die Ausgestaltung ihrer Rolle und für ihre Beteiligung an diskursiven Entscheidungsprozessen in der Unternehmerfamilie benötigen. Daher steht Gesellschafterkompetenzentwicklung in solchen aktiven Unternehmerfamilien im Zentrum von Fort- und Weiterbildungsprogrammen.[3] Kompetente Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Familienunternehmen benötigen Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich in drei Fachbereiche differenzieren lassen:[4]


Erstens benötigen Gesellschafterinnen und Gesellschafter Basiswissen zu den Besonderheiten von Familienunternehmen, speziell zur Bedeutung der Familiendynamiken zur Realisierung der Transgenerationalität des Unternehmertums. In diesem Zusammenhang sind zudem methodische Fähigkeiten zur Gestaltung sozialer Kommunikationsprozesse wichtig, die Moderationstechniken umfassen, Techniken zum Gestalten komplexer Entscheidungsprozesse integrieren sowie Verfahren des Konfliktmanagements einbeziehen.


Zweitens sollten auch Gesellschafterinnen und Gesellschafter, die keine wirtschaftswissenschaftlichen oder -praktischen Kenntnisse besitzen, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre kennen, die es ihnen ermöglichen, die basalen Kennzahlen und Bilanzen zu verstehen sowie strategische Perspektiven des eigenen Unternehmens einzuschätzen und mit zu entwickeln.


Drittens geht es um grundlegende rechtliche Kenntnisse, die Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Familienunternehmen sich aneignen sollten. So ist es wichtig, die rechtliche Form der eigenen Unternehmung nicht nur zu kennen, sondern auch zu wissen, was diese für die Corporate und Family Governance bedeutet. Daneben geht es um erb- und familienrechtliches Wissen. Nicht zuletzt ist dieses notwendig, um das in der Regel obligatorische Abschließen von Ehe- oder Partnerschaftsverträgen im Kontext von Paarbeziehungen bzw. Heiraten von Eigentümerinnen und Eigentümer von Familienunternehmen zu verstehen und sich dazu in passender Weise zu positionieren.


Gerade dann, wenn es in einem Familienunternehmen keine geschäftsführenden Gesellschafterinnen und Gesellschafter (mehr) gibt, die aus der Unternehmerfamilie kommen, ist es entscheidend, dass die zur Unternehmerfamilie gehörenden Verantwortungsträger der familienexternen Geschäftsführung mit einem kompetenten Grundverständnis für das eigene Unternehmen und mithin selbstbewusst gegenübertreten können. Sicherlich kann dies auch über die Mitgliedschaft von Kompetenzträgern der Unternehmerfamilie in einem Beirat realisiert werden. Entscheidend dafür ist jedoch, dass Eigentümerinnen und Eigentümer von Familienunternehmen ihre Gesellschafterfunktion als äußerst verantwortliche Rolle verstehen, die mit exklusiven Rechten aber auch mit zahlreichen Pflichten und entsprechenden Kompetenzanforderungen einhergeht.


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[1] Vgl. dazu beispielsweise Tom Rüsen, Heiko Kleve, Arist von Schlippe (2021): Management der dynastischen Unternehmerfamilie. Zwischen Familie, Organisation und Netzwerk. Berlin: Springer.


[2] Vgl. Rudolf Wimmer (2021): Postpatriarchale Führung – Wie Familienunternehmen eine neue Führungskultur entwickeln können. Praxisleitfaden. WIFU: Witten.


[3] Tom Rüsen (2019): Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien. Praxisleitfaden. Witten: WIFU.


[4] Siehe zu einem entsprechenden Angebot an der Universität Witten/Herdecke, Professional Campus, hier: https://professional-campus.de/bildungsangebot/gesellschafterkompetenz-qualifizierungsprogramm [28.06.2023].