Agile Organisationsentwicklung – Methode, Struktur, Haltung oder was?

Agilität ist zu 80% Haltung. Dieser Satz fällt häufig, wenn über Erfolg und Scheitern der agilen Transformation gesprochen wird. Mein erster Impuls dazu ist: Ja, das stimmt! Mein zweiter Impuls: Was heißt das denn dann in der Konsequenz? Was tun Organisationen, um agile Haltung zu entwickeln? Diese Fragen lohnen einen Tiefenblick.


Hohe Marktdynamik und Komplexität der Wertschöpfung sind ein Fakt unserer Welt von heute. Innovationskraft, Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit gewinnen an Bedeutung, um auf die heutigen Marktdynamiken reagieren zu können und zu überleben. Da reichen die altbekannten Methoden der Standardisierung und Prozessoptimierung alleine nicht aus. Agilität ist dementsprechend weder gut noch schlecht, sondern ein Ergebnis, ein Must have für Organisationen, um den Fakten von heute zu begegnen. Wie Organisationen agiler, beweglicher, innovativer werden, das ist die spannende Frage.


Agile Methoden sind nur die eine Seite der Medaille.


Der Einsatz agiler Methoden gehört sicher dazu. Scrum, Design Thinking oder Kanban verbindet in ihrer Unterschiedlichkeit eines: Sie stellen die Kommunikation und den gemeinsamen Dialog in den Fokus. Alle Methoden strukturieren gemeinsames, kollaboratives Entscheiden im Team – bei Scrum und Design Thinking steht eher das Explorieren und Entwickeln im Vordergrund, bei Kanban eher das Management von Aufgaben und damit verbundener Entscheidungen. Alle Methoden erfordern eine hohe Methodensicherheit sowie eine große Prozessdisziplin.


Agile Methodenkompetenz alleine reicht für den Erfolg agiler Transformationen jedoch nicht aus. Auch wenn agile Coachs hilfreich zur Seite stehen, klappt es oft nicht wie gewünscht. Woran liegt das?



  • Agile Coachs werden oft in 6 Wochen ausgebildet und beraten danach als Experten. Das ist beeindruckend, finde ich. Meine Coaching-Ausbildung hat drei Jahre gedauert und ist eigentlich nie zu Ende. Welche Prozessbegleitung, welches Coaching ist nach 6 Wochen Ausbildung seriös? Würden Sie auf die Idee kommen, nach einem 6-Wochen-Crash-Kurs Gitarre Ihr Können als Gitarrenlehrer anzubieten?

  • Immer wieder besuche ich Online-Veranstaltungen und Vorträge zum Thema, und stets ist interessant zu hören, was die verschiedenen Unternehmen alles so unter agil verstehen: Arbeitsmethoden wie Scrum, Design Thinking werden immer genannt. Schnelles Entscheiden und Handeln ebenso. Der Fokus liegt auf dem Output, dem WAS, wie etwa der schnellen, kundenorientierten Produktentwicklung. Weniger bekannt und eingesetzt werden Retrospektiven. Also genau die Bausteine im agilen Werkzeugkasten, die auf die kritische Reflexion von Zusammenarbeit und Entscheidungsprozessen zielen. In denen das WAS zugunsten des WIE ausgeblendet wird. Und wo Haltungsarbeit beginnen kann. Das hat mich doch sehr gewundert.

  • In agilen Strukturen steht das WIR im Fokus, Führen und Entscheiden wird klar als Teamwork gelebt. Lernformate der Personalentwicklung müssen sich dementsprechend auch stärker auf Teams als auf Personen richten. Das findet bis dato noch viel zu selten statt. Reine Führungstrainings haben z.B. immer noch viel mehr Konjunktur als Team-Seminare. Nicht, dass ein Führungstraining keinen Sinn hat. Allerdings wird das „alte“ Mindset – die Führungskraft ist dafür verantwortlich, dass der Laden läuft – gestärkt. Neu und agil bedeutet: Das Team (und da gehört die Führungskraft dazu) reflektiert und lernt, wie seine Mitglieder gemeinsam entscheiden, führen und zusammenarbeiten, so dass der Laden läuft.


Diese Beobachtungen bringen mich wieder auf den Eingangssatz.


Ist denn das, was zurzeit in Organisationen „agil erlebbar“ wird, wirklich Haltungsarbeit? Wie werden agile Prinzipien und Werte wirklich verinnerlicht? Müssten nicht spezielle Lernräume für Teams geschaffen werden, in denen mehr die Zusammenarbeit reflektiert wird? Wie kann die Arbeit an Werten und Grundüberzeugungen mit in die agile Transformation einfließen? Aus meiner Sicht braucht es genau den Blick auf diese Fragen, wenn wir nicht nur agiles Theater spielen wollen.