Zuhören reicht nicht
Zuhören, so höre ich es oftmals, das sei die Kernkompetenz der Sozialen Arbeit. Besonders in Erinnerung bleibt mir die Aussage einer Kollegin: „Ich höre zu, wo andre bereits gegangen sind.“
Der heutige Blogbeitrag widmet sich der Frage, ob Soziale Arbeit eine Profession des Zuhörens sei – und noch viel wichtiger: ob zuhören reiche. Nein, so suggeriert die Überschrift des Blogartikels. Ich begründe dies im Folgenden.
Zuhören ist eine wichtige Kernkompetenz für die Soziale Arbeit. In der Hypnosozialen Systemik ist der herzliche Zugang zu Menschen die Basis für das gemeinsame Vorankommen. Und ich möchte beispielhaft aufzeigen, dass Zuhören nicht ausreiche – dass Soziale Arbeit etwas mehr sei und brauche, um professionell Klientenfelder unterstützen zu können.
Mich interessiert dabei, wie Ihre Erfahrung ist. Und was meine Gedanken zum Thema bei Ihnen bewirken.
Beginnen wir beim Zuhören.
Viele Professionelle äußern sich in der Supervision, dass es wichtig sei, für die Klienten da zu sein. „Da zu sein“ ist hierbei ein sehr schwammiger Begriff, hermeneutisch mehrfach besetzt. Was die einzelnen Sozialarbeiterinnen darunter verstehen bezieht sich dabei oftmals auf das persönliche Werte- und Glaubenssystem, manchmal auch auf Team- und Organisationskulturen, selten (aber doch) auf sozialarbeitstheoretische Aussagen. Summa summarum wird die helfende Beziehung in den Vordergrund gestellt.
Helfend, darunter wird in der Regel eine emotionale Zugewandtheit verstanden. Diese ist wichtig, so wie bereits der letzte Blogbeitrag ausdifferenziert hat. Doch auch hier gibt es eine wichtige Unterscheidung: Ich möchte die helfende amikale von der helfenden professionellen Beziehung differenzieren.
Eine amikale Beziehung fußt auf einer emotionalen Bindung – und zwar rein auf einer emotionalen. Profis der Sozialen Arbeit können sich die Frage stellen, ob ihre helfende Beziehung in Gefahr läuft, eine amikale zu werden – oder besser: eine pseudo-amikale. Denn eine wahre Freundschaft besteht in der Regel nicht. Profis verbringen ihre Freizeit außerhalb der Klientenfelder.
Diese Beziehung beruht hauptsächlich auf einem positiven Beziehungsangebot der Sozialarbeiterin. Ich möchte zwei typische Settings herausgreifen.
Im ersten Setting ist der Sozialarbeiter der Ansprechpartner und Vertrauter des Klienten. Er ist das, was man einen „duften Kumpel“ nennen könnte: verständnisvoll, empathisch und engagiert. Die positive Beziehung verbindet ICH und DU. Das ES allerdings liegt außen vor. Selten steht es im Fokus der Beratung, die Beziehung ist das eigentliche Triebmittel. Ein Kennzeichen dieser Zusammenarbeit kann sein, dass das Problem des Klienten sich eigentlich nicht löst, aber er immerhin nun einen weiteren positiven Kontakt im sozialen Netz vermerken kann.
Diese Form der Sozialen Arbeit läuft in Gefahr zum „Kaffeeklatsch“ zu verkommen, gegebenenfalls zu einer Pseudo-Freundschaft.
Fraglich ist, ob der Auftrag der Sozialen Arbeit „reine“ Beziehung ist. Oder gibt es einen Auftrag, der darunter leidet?
Ich möchte dies an einem zweiten Setting ebenso überlegen: Die Sozialarbeitern ist hier der „der letzte verbleibende Kontakt“, der „letzte Hoffnungsschimmer“, die Rettung von der „völligen sozialen Isolation“. Die Sozialarbeiterin leistet die gesamte Inklusionsarbeit, zu der eine Gesellschaft nicht fähig scheint. Sie ist Ersatz für Familie, Verwandte und Bekannte, in manchen Fällen tatsächlich der letzte Kontakt zur sozialen Außenwelt.
Hier könnte ich in meiner Rolle in Gefahr laufen, mich für einen Menschen aufzuopfern. Die Sozialarbeiterin könnte versuchen, das Fehlen einer soziomateriellen Unterstützung persönlich zu kompensieren. Ist das wünschenswert?
Jeder Mensch braucht eine Station, um anzudocken. Klar. Darum geht es nicht. Hierbei ist die Frage, wie ich meine Rolle verstehe. In der Hypnosozialen Systemik frage ich nach der Auswirkung der Beziehung. Welche Wirkung hat es auf die Sozialarbeiterin? Welche auf die Klientin?
In Supervisionen erfahre ich, dass diese Wirkung oftmals negativ (da stressbehaftet) auf die Sozialarbeiterin wirkt. Dies in der Regel für eine geringe positive Wirkung für die Klientin. Ich scheue mich, eine Kosten-Nutzen-Bilanz zu ziehen. Und ich merke auf: Eine negative Wirkung für die Sozialarbeiterin zeigt Handlungsbedarf auf. Ist es das, was die Sozialarbeiterin möchte? Inwieweit ist das Ergebnis den Preis wert, den sie bezahlt?
Das Ziel der Hypnosozialen Systemik ist immer eine positive, konstruktive und ressourcenvolle Rollengestaltung: ICH bin sicher, gestärkt und handlungsfähig.
Zuhören ist wichtig. Ja. Und es ist methodisch nicht der Weisheit letzter Schluss. Daher möchten wir die andre Seite nun beleuchten.
Eine professionelle helfende Beziehung nimmt das Herz mit in die Sache. Und sie versteht, dass das Zusammentreffen von Sozialarbeiterin und Klientin unter einem gesellschaftlichen Auftrag stattfindet – es ist eine „institutionalisierte“ Beziehung. Das bindende Mittel der Sozialarbeiterin (ICH) und der Klientin (DU) ist das ES, der Auftrag. Diese Beziehung wird als trianguliert oder triadisch bezeichnet, je nach Quellenangabe. Im ES, im Auftrag, wird dies berücksichtigt. Hier fließen die Vorgaben des Fördergebers ein, ebenso organisatorische. Stärken und Kompetenzen aus dem ICH werden ebenso berücksichtigt wie die Spezifika des Klientenfeldes, des DU.
Dies ist eine dreifach kontextualisierte Praxis von Sozialer Arbeit, ein methodischer Zugang. Es geht nicht nur um Zuhören, sondern um die Gestaltung des triadischen bzw. triangulierten Settings. Diese Form der Beziehung läuft nicht in Gefahr, pseudo-amikal zu werden. Sie berücksichtigt die Met(t)a-Ebene; nimmt das Herz in die Sache und zum Menschen. Und sie weiß, dass Zuhören ein Anfang ist, aber bloß einer von vielen Schritten.
Die Vorteile des Zuhörens sind den meisten wohlbekannt, argumentativ gut belegt. Meist wird mit Empathie argumentiert. Doch reicht Empathie? Und was unterscheidet sie von der Met(t)a-Ebene? Empathie ist oftmals, so meine Beobachtung, ein normativer Wert, der bereits Studierenden der Sozialen Arbeit vermittelt wird. In der Regel wird auf die klientenzentrierte Arbeit von Carl Rogers verwiesen. Es werden Handlungsweisen mit dem Wert der Empathie verbunden, die in der Gesprächsführung angezeigt seien. So und so solle man handeln. Dann wäre man (oder Frau) eine professionelle Sozialarbeiterin. In meiner Biografie kann ich mich an viele solche Passagen erinnern. Mir wurde Verhalten vorgezeigt, das ich nachahmen sollte.
Das Werk von Carl Rogers möchte ich an dieser Stelle keineswegs kritisieren. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Carl Rogers Empathie so verstanden hätte, wie diese mir in der FH-Lehre, in Seminaren oder von Kollegen aus der Sozialen Arbeit vermittelt wurde.
Empathie – das Mitgefühl – ist eine Kompetenz, wie der bekannte Hirnforscher Joachim Bauer vermittelt. Eine Kompetenz ist doch etwas anderes als ein Wert. Eine Kompetenz hat eine Seins- und Tuns-Qualität. Es ist eine Frage der Methodik, also performativ, keinesfalls normativ. Im Unterschied zu einem Wert gibt es nicht richtige vordefinierte Antworten, was Erfüllungsbedingungen dafür seien (oder nicht). Eine Kompetenz wird immer im Jetzt aktualisiert. Es handelt sich um situatives Beraten.
Das ist die Kernfunktion der Met(t)-Ebene. Sie ist eine situative Methodik. Sie wird in der Situation rekontextualisiert. Die positive Zuwendung signalisiert der Klientin, dass sie OK sei. Dass sie als Mensch individuell angenommen und akzeptiert sei. Sie ist eine Subjekt-Subjekt-Beziehung, eigentlich die natürlichste Sache der Welt. Es ist das positive und wunderbare Zusammenkommen zweier Menschen. Virginia Satir nennt dies eine Feier, einen zeremoniellen Anlass. Wer nicht versteht, was Mitgefühl sein könnte, dem empfehle ich Virginia Satir bei der Arbeit zu beobachten. Sie spricht von meeting – von der Begegnung.
Und sie ist direkt bei den Menschen, mit Haut und Haar.
Dieser Zugang ist eine grundsätzliche Haltung zum Menschen und zur Welt. Es ist kein rein kognitives Konzept. Natürlich kann es mit kognitiven Begriffen beschrieben werden. Doch das fängt die Sache nicht ganz ein. Dennoch kann jeder Mensch für sich überprüfen, aus welcher Haltung heraus sie handelt.
Dieser Met(t)a-Zugang stellt die essenzielle Grundlage für die Hypnosoziale Systemik dar. Es ist unverhandelbar. Und es handelt sich dabei dennoch um eine professionelle Beziehung.
Virginia Satir ist bei den Menschen direkt anwesend. Sie begegnet ihnen feierlich. Und sie möchte methodisch etwas anbieten. Dafür hat sie ihre Erfahrung systematisiert und bietet hilfreiche Schritte an.
Trinkt Satir Kaffee? Möglicherweise in den Pausen. Und sie arbeitet von der ersten Sekunde bis zur letzten mit den Klienten. Sie hat ein konkretes Angebot. Sie begleitet Menschen herzlich zu Lösungen.
Die Hypnosoziale Systemik nimmt sich das zum Vorbild. Wir begegnen Menschen herzlich. Und wir haben ein methodisches Angebot im Koffer dabei.
Eines davon wird von Gunther Schmidt die Lösungstrance genannt.
Klienten der Sozialen Arbeit kommen in der Regel in einem Problemerleben in die Beratung. Das Problem hat eine sachliche Dimension. Es kann z.B. durch Techniken aus dem Assessement im Case Management, der Sozialen Diagnostik oder durch andere Verfahren dargestellt werden. Das ist die sachliche Seite des Problems.
Jedes Problem hat aber auch eine „hypno“-Komponente, jedes Problem ist auch ein innerer Erlebenszustand.
Meiner Erfahrung nach verfügt die Soziale Arbeit über wenig methodische Kompetenzen, um den inneren Erfahrungswelten von Klienten zu begegnen. Und genau hier möchte die Hypnosoziale Systemik ansetzen.
Knüpfen wir eine auf amikale Emotionen basierende Beziehung zu Klienten, laufen wir nicht nur in Gefahr, den Zweck der Zusammenkunft zu verpassen (also das ES zu ignorieren). Es könnte zudem sich ereignen, dass die Klientin in der Problemtrance gestärkt wird (also im DU auch kein Vorankommen stattfindet) und dass die Sozialarbeiterin irgendwann einmal im Sinne einer Übertragung ebenso in ein negatives inneres Erleben rutscht (also das Problem auch auf das ICH überschwappt).
Diese Darstellung ist nicht so selten. In vielen Supervisionen habe ich erlebt, dass diese oder ähnliche Konstellationen besprochen worden sind.
Ich beschreibe dies, ohne zu bewerten oder zu beurteilen. Ich meine, dass diese Dynamik eines der möglichen Spannungsfelder in der Sozialen Arbeit ist. Darauf möchte ich eine Antwort geben.
Gunther Schmidt nennt das negative innere Erleben die Problemtrance. Manchmal wird dies auch „problem talk“ genannt (etwa bei Steve de Shazer und Insoo Kim Berg in der lösungsorientierten Gesprächsführung), manchmal auch „sustain talk“ (etwa bei William Miller und Stephen Rollnick in der motivierenden Gesprächsführung).
Diese Problemtrance ist ein stuck state, ein innerer Zustand, in dem der Zugang zu (manchen bis zu vielen) inneren Stärken bzw. Kompetenzen „vergessen“ wurde. Soziomaterielle Unterstützung kann den stuck state durchbrechen, muss das aber nicht. Klienten könnten sich auch als selbst gestaltungsunfähig und abhängig von der soziomateriellen Unterstützung erleben.
Das könnte eine Problemtrance intensivieren. Es könnte – mehrmals wiederholt – zu einer erlernten Hilflosigkeit führen. Klienten verlieren damit die innere Stärke und das Vermögen, ihr Leben eigenverantwortlich und aus eigener Kraft zu meistern.
Es könnte also sein: Zuhören reicht nicht. Soziomaterielle Unterstützung reicht nicht. Profis der Hypnosozialen Systemik brauchen mehr: die Lösungstrance.
Dies meint einen inneren Erlebniszustand, der von Selbstsicherheit, Gestaltungsfähigkeit, einem Erleben von Stärke und Kraft, von Zuversicht und Hoffnung, von Freude und Motivation und Hinwendung zu sich selbst, den Mitmenschen und der Welt gekennzeichnet ist.
Diese positiven Eigenschäften bzw. Kräfte sind in jedem Menschen angelegt. Ein jeder Mensch hat diese bereits erlebt und kann es auch wieder tun. Dies muss nicht von außen zugeführt werden. Aber es kann durch eine positive helfende Beziehung (mit-)angeregt werden.
Dieser Dreh von der Problem- zur Lösungssprache, von der Problem- zur Lösungstrance ist in der Hypnosozialen Systemik ein grundsätzlicher methodischer Baustein und Aufgabe für Profis in der Sozialen Arbeit.
Es flankiert alle soziomateriellen Maßnahmen.
Diese Idee möchte ich weiter ausbauen im nächsten Blogartikel zum Thema „Was wirklich hilft“.
Literaturhinweise
De Shazer, S. (2014): Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart (Klett Cotta). 12. Auflage.
Satir, V (2018): Selbstwert. Historische Aufnahmen der berühmten Familientherapeutin. Müllheim / Baden (Auditorium Netzwerk – DVD).
Schmidt, G. (2011b): Wie hypnotisieren wir uns erfolgreich im Alltag – Einführung in das hypnosystemische Empowerment [DVD]. Müllheim/Baden (Auditorium).