Hypnosoziale Systemik

Liest man einen Blog, ist naturgemäß die erste Frage: Warum sollte ich mich damit beschäftigen? Sokratisch würde ich einen Gegenfrage stellen: Was ist Ihr Interesse?


Als Sozialarbeiter war mein vorrangiges Interesse, konkrete Werkzeuge zu finden, die mich in meiner Tätigkeit unterstützen. Und mein sozialarbeiterischer Alltag bestand in der KlientInnenarbeit immer aus Gesprächen, manche davon strukturiert in Form von Beratung, andre wiederum unstrukturiert. Dementsprechend war ich an Methoden zur helfenden Kommunikation interessiert.


Dabei suchte ich nach einem Schlüssel, um die Tür zu einer gelingenderen Sozialen Arbeit aufzuschließen. Einen solchen Schlüssel hab ich gefunden – er mag nicht der einzige sein, aber er funktioniert für mich wunderbar.


Das Ziel der „Hypnosozialen Systemik“ ist der konkrete und praxisrelevante Aufbau und Ablauf einer helfenden Kommunikation, um gelingende Unterstützungssituationen zu gestalten. Die „Hypnosoziale Systemik“ bietet konkrete Vorgehensweisen und Werkzeuge an, um sozialarbeiterische Gespräche und Situationen an Zielen, Stärken und Lösungen zu orientieren. Das Ziel dieses Vorgehens ist der Aufbau einer helfenden Kommunikation, die zieldienlich über Hilfeprozess abläuft – manchmal sogar über Jahre der Begleitung.


Ich bin ein Wieso-Typ. Daher wäre meine zweite Frage: Wieso sollte ich mich ausgerechnet mit der „Hypnosozialen Systemik“ und nicht mit etwas Anderem beschäftigen?


Weil es funktioniert. Es bietet theoriegestützte Praxis – konkrete Verfahrensschritte, um den eigenen beruflichen Alltag zu meistern. Ich möchte dies an einer persönlichen Metapher verdeutlichen.


In meiner Ausbildung und Karriere als Sozialarbeiter lernte ich in fünfzehn Jahren viele Methoden und Interventionsformen kennen. Das waren alles nützliche Rezepte. Doch ich habe niemals zu kochen gelernt.


Was meine ich?


Rezepte zu befolgen bedeutet, Techniken zu lernen, etwa das aktive Zuhören, das auxiliäre Angebot, die Wunderfrage, Ressourcenfragen, das Stärkeninterview oder die Prinzipien der lebensweltorientierten Beratung.


Diese Techniken kann ich alle wiedergeben. Das bedeutet, Rezepte anzuwenden. Das heißt aber nicht zwangsläufig, auch kochen zu können.


Das Kochen ist eine höhere Ebene als Rezeptanwendung. Es umfasst mehr Kompetenzen als das Anwenden und Wiedergeben von Techniken. Es bedeutet, den Sinn und Ursprung der Techniken zu kennen. Und es impliziert ein tiefes Verständnis des dahinterliegenden Konzeptes, aus dem diese Techniken stammen.


Kann ich kochen, vermag ich eigene Rezepte zu kreieren.


Der erste Kochmeister, den ich traf, war Gunther Schmidt. Zu dem Zeitpunkt, als ich meine Ausbildung absolvierte, hatte er bereits jahrzehntelang seine Kochkünste dargeboten und eine eigene Schule begründet: das hypnosystemische Integrationsmodell. Es umfasst auch Rezepte, doch grundsätzlich wird das Kochen erlernt.


Ich habe eben hypnosystemisch kochen gelernt – und nun gebe ich diese Kochkünste sehr gerne weiter.


Was aber ist das HySIK – und was tat Gunther im Seminar?


Ab der ersten Minute der Seminars erzählt mir der „Koch“-Guru Gunther, warum diese Methoden und Techniken entstanden sind. Vielleicht war ich damals ähnlich ungeduldig, wie andre Seminarteilnehmende. Vielleicht wollte ich auch sofort diese „hypno“-Wunderwaffen lernen. Endlich in jeder Beratung bestehen! Jede Zwickmühle meistern! Auch die schwierigsten Situationen überwinden! „Hypno“ … das klang vielversprechend.


Heute bin ich Gunther dankbar, dass er mir über die Entstehung dieser Schule berichtet hat. Erst über die Geschichte des Modells und über die handelnden Personen – über dieses weltweite Netz von AkteurInnen in der Szene – wurde mir klar, dass Kochen nicht das Anwenden von Rezepten ist. Es ist mehr.


Es ist eine Haltung. Es ist ein zugrundeliegendes Verstehen der Dynamik von Menschen in Situationen.


Hypnosystemisch, zieldienlich oder lösungsorientiert zu handeln heißt also nicht, die Wunderfrage zu stellen oder den Dilemma-Talk zu beherrschen. Im Gegenteil. In meiner Praxis als Supervisor als auch als nebenberuflicher Lehrbeauftragter für Soziale Arbeit erlebe ich es ständig, dass diese Techniken angewandt werden, allerdings die Dynamik überhaupt nicht den Grundprämissen des hypnosystemischen Ansatzes entspricht und schon gar nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt.


Ganz einfach. Rezepte reichen nicht aus.


Was aber stattdessen machen?


Gunther zeigt in dem Seminar durch die Geschichte des Modells auf, welche grundlegenden Entwicklungen sein Handeln geprägt haben. Er hat eine Vielzahl von tollen Menschen getroffen, und die meisten davon haben ihrem Leben der Psychotherapie, dem Counseling oder Coaching gewidmet. Diese PionierInnen haben Jahrzehnte an Erfahrung weitergegeben: Zwerge auf den Riesen von Schultern.


Wie geht dies? Wie kann ich hypnosystemisch in der Sozialen Arbeit vorgehen?


Gunther hat mir gezeigt, dass mein innerer Zustand sehr entscheidend ist. Unglaublich entscheidend. Einen inneren Zustand zu wählen – und sei es auch unbewusst – ist eine der stärksten Interventionen, die ich setzen kann.


Der innere Zustand ist wie der Ton, der die Musik macht.


Ich selbst war als Sozialarbeiter oftmals in sehr problematischen, unsicheren und ohnmächtigen Zuständen. Ich habe um meinen Erfolg gerungen, mit Händen und Füßen. Ich hab mich selbst in Situationen gebracht, die mir gar nicht guttaten – den KlientInnen zuliebe. Ich verfolgte das Ziel, DIE einzig wahre und professionelle Soziale Arbeit auszuführen. Eben, wie man es mir beigebracht hatte. Der soziale Held als sich aufopfernder Retter der entrechteten KlientInnen – unermüdlicher Verbesserer der Welt im Kampf gegen Unterdrücker und Ausbeuter, wider der sozialen Ungerechtigkeit und nieder mit der systematischen Exklusion.


Was hat es gebracht?


Nun, ich bin sichtbar gealtert. Kein Scherz. Das hat mich müde gemacht. Erschöpft. Bis an den Rand der Möglichkeiten. Und weder die KlientInnen noch die Welt oder sonst etwas habe ich gerettet. Alles blieb beim Alten. Ich erlebte Ohnmacht, stetigen Stress. Das Modell, das ich gelernt hatte, schien ständig zu versagen – und jeder kurze Erfolg ging langfristig auf meine Kosten.


Noch heute treffe ich als Supervisor regelmäßig SozialarbeiterInnen im Feld, die so vorgehen. Das ist, gelinde ausgedrückt, höchst bedauerlich. Und ich verstehe nicht, warum SozialarbeiterInnen nicht entsprechend auf Ihre Tätigkeit vorbereitet werden. Gibt es nicht diesen Slogan vom „Hilfelosen Helfer“…?


Gunther hat mir gezeigt, dass es OK ist, in einem Flow-Zustand zu arbeiten. Konzentriert. Fokussiert. Aufmerksam. Es ist Arbeit. Arbeit kann erschöpfen. Aber ich darf mich dabei gut fühlen. Etwas zurückbekommen. Also auch schöpfen.


Was hat er mir noch gezeigt?


Mir ist klar geworden, dass jede Sekunde zählt. Wie meine ich das?


Viele beginnen ein Gespräch, indem sie Small Talk machen. Das lernt man so. Small Talk. Dann Aufbau der Arbeitsbeziehung. Problemerläuterung. Aktives Zuhören. W-Fragen stellen. Besonders wichtig. Wer keine W-Fragen stellt ist schwer unprofessionell (außer, er hat von Gunther gelernt, wie man auch anders weiterkommt). Und dann Techniken einsetzen, um eine Lösung finden. Gesprächsabschluss. Das klingt ja alles sehr gut, aber ist ein wenig wie das Zusammensetzen von Legosteinen.


HySIK-Gespräche sind eher wie Plastilin, das gemeinsam mit den KlientInnen in die gewünschte Passform gebracht wird.


Wie gelingt mir das?


Gunther nennt dies das Fokussieren. Ab der ersten Sekunde wird ein Gespräch so aufgebaut, dass es hypnosystemisch abläuft. Die ganze Zeit erlebe ich Gunther hellwach in der Beratung. Jeden Satz und jedes Wort verwendet er zieldienlich auf Lösungen hin fokussiert (wobei er den Problemen mehr Platz gibt als so manche systemischen oder lösungsorientierten KollegInnen).


Er ist hellwach nach innen.


Viele KollegInnen bemerken gar nicht, was mit ihnen passiert, wenn ein Gespräch begonnen wird. Sie konzentrieren sich auch das Ziel, das sie heute erarbeiten möchten. Ich erlebe es sehr oft in den Übungen, dass bereits der zweite oder dritte Satz der KlientInnen reicht, um ein Gespräch umzufokussieren. Plötzlich agieren die Profis nicht mehr: sie reagieren. Na klar. Wir bedienstleisten die Menschen. Wir folgen ihnen dorthin, wo sie sind: abholen, wo sie stehen.


Grundsätzlich mag dies als Slogan richtig und wichtig sein. Aber in der Praxis kann es bedeuten, dass wir KlientInnen in die Problemtrance folgen… und vielleicht sogar in die Zwickmühle, die Ausweglosigkeit oder Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit.


Gunther ist hellwach nach außen.


Gunther fokussiert zurück. Er baut die Antwort der KlientInnen ein, würdigt diese und kehrt zurück zum Thema der Beratung. Er folgt weiterhin seinem Aufbau, damit das Gespräch zieldienlich ablaufen kann. Es gelingt ihm dabei zu gleich, die KlientInnen mit an Bord zu holen – und wie Steve de Shazer es betonte: am Thema der KlientInnen zu bleiben. Weder unzureichende Zielformulierungen noch überdimsionierte Problemschilderungen schocken ihn.


Dort, wo andre KollegInnen bereits in der Problemtrance, sitzt er hoch konzentriert auf dem Stuhl und arbeitet systematisch daran, wie das Geäußerte der KlientInnen im Sinne des Zieles – der Lösung – genutzt werden kann. Und das ziemlich oft ohne W-Fragen. Er redet einfach. Manchmal sogar mehr als die KlientInnen. Ich kann Ihnen versichern: Videos mit Gunther haben oftmals zu Murren unter Studierenden und PraktikerInnen geführt. Der rede so viel… Mehr als die Klientinnen… Wie gehe das denn? Doch es ist so hilfreich. So wirkungsvoll. Da möchte man den Werten und Glaubenssätzen einer Profession treu bleiben, doch das andere wirkt so gut…


Gunther redet nicht, weil er sich so gerne reden hört. Er führt die KlientInnen aus der Problemtrance heraus. Er hilft ihnen die tausendmal gegangenen Wege zu verlassen. Lösungstrance ist das Stichwort dazu.


Was habe ich gelernt dadurch?


In den Übungen habe ich gelernt, mitzukriegen, was in mir geschieht. Wie die Äußerungen von KlientInnen mich bewegen. Wie KlientInnen mich „hypnotisieren“. Ich habe es bemerkt, wenn ich in eine Trance gegangen bin. Und sofort habe ich gehandelt: gesicherte BeraterInnen-Position. Der innere Zustand. Die Haltung. Das sind die ersten Schritte zum Erfolg.


Ich habe gelernt zu fokussieren. Ständig am Ball zu bleiben. Hoch konzentriert. Zieldienlich. Ich hab gelernt, dass eigene Ideen sehr wohl Bestandteil einer Beratung werden können: Stichwort RealitätenkellnerIn.


Ich habe gelernt, dass KlientInnen nicht nur aus Anträgen auf Sozialhilfe, aus erlebter sozialer Ungerechtigkeit oder einem Umfeld bestehen. Ich habe gelernt, dass KlientInnen über einen Körper verfügen. Und obwohl ich kein Mediziner, sondern Sozialarbeiter bin, ist der Körper wichtig in der Beratung. Der Körper tritt in Wechselbeziehung mit der Psyche. Die Psyche tritt in Wechselwirkung mit dem Sozialen. Alle drei Ebenen sind für dieses Modell wichtig und richtig.


Wie geht das?


Gunther hat sich eine Reihe von Interventionen zurechtgelegt, die er in jahrzehntelanger Arbeit als Psychotherapeut, Coach und Organisationsberater zur Anwendung gebracht hat. Das interessante dabei ist: diese Vorgehensweisen beruhen alle auf der Haltung und dem Hintergrundmodell. Und nicht nur das. Diese Vorgehensweisen sind von der Struktur so flexibel, dass sie in jeden Kontext passen: in die Paarberatung ebenso wie in das Firmentraining, in die Soziale Arbeit ebenso wie in die Psychotherapie. Ich habe gelernt, dass das Gestalten von Kommunikation und Interaktion höchst wirkungsvoll ist.


Ich habe viele dieser Vorgehensweisen in meine Seminare transferiert und SozialarbeiterInnen angeboten – mit bombastischen Ergebnissen. Alle wollten plötzlich mehr von mir – und Gunther hat bestimmt durch mich etliche Klicks auf YouTube dazugewonnen. Und nein, ich bekomme keine Provision dafür … wobei … ach, kehren wir zurück zum Inhalt. Wie es ist im Seminar abgelaufen?


Gunther hat uns diese Vorgehensweisen aufgemalt – auf Flipchart. Allein das ist mir in Erinnerung geblieben. Er hat jedes Modell vorgezeigt. Vorgezeigt! Das habe ich an der FH so gut wie nie erlebt. Ich habe dort wissenschaftliche Texte über Beratung gelesen. Aber beraten selbst… Glauben Sie mir: es stimmt. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, als eine höchst kompetente Mediatorin sich dafür entschuldigte, uns ein „unwissenschaftliches“ Skriptum mit konkreten Gesprächstechniken anzubieten – sie entschuldigte sich dafür, dass Sie uns das Handwerk lernte… Ich selbst bin ein Freund wissenschaftlicher Theorien und einer theoriegestützten Praxis… Aber reine Theorie ist blutleer, wie Friedrich Nietzsche schon sagte, Praxis ohne Theorie aber blind.


Das HySIK ist theoriegestützt, aber praxisorientiert.


Im Anschluss daran haben wir selbst geübt und dies mit Gunther nachbesprochen. Er hat uns Tipps und Tricks gegeben. Den Hintergrund herbeigeholt. Verbindungen zu andren Schulen hergestellt. Methodenintegrativ eben.


Da kommt die letzte Überlegung: Was wäre, wenn ich das selbst anwenden würde.


Diese Frage kreist stetig durch den Kopf, als ich nach all den Seminartagen heimfahre.


Nun, einen Teil der Antwort lesen Sie hier. Der Blog ist dadurch entstanden.


Die „Hypnosoziale Systemik“ richtet sich an alle, die im psychosozialen Feld sozialarbeiterisch, beratend, begleitend oder auf andre Art und Weise tätig sind und folgendes erlernen möchten:
Wahlmöglichkeiten
Auftragsklarheit
Handlungsfähigkeit


Ich habe diese Elemente von Gunther übernommen und begonnen es für die Soziale Arbeit zu übersetzen. Ich biete eine Lernerfahrung an: die Chance, gelingende Unterstützungssituationen zu gestalten.


Der methodische Zugang umfasst einige Elemente, z.B.:


Die kybernet(h)ische Lernschleife – single bzw. double loop learning
die Triangulierung (Rolle, Auftrag und KlientIn)
der Wechsel von den hilflosen Helfenden zu den Flow-Kompetenzen
die Fokussierung von Aufmerksamkeit
der Wechsel von der Problem- in die Lösungstrance
das Erlebnisnetz und ähnliche Modelle der Darstellung subjektiver Wirklichkeiten
systemische Aspekte, um Innen-Außen-Beziehungen bzw. Innen-Außen-Wechselwirkungen darzustellen
die Ambivalenzen-Sprache (Problem-Lösungs-Tanz)
die Zieldienlichkeit von Gesprächen
der Aufbau und Ablauf unterstützender Kommunikation
die Koevolution als ein Miteinander-Wachsen


Diese Elemente sind hilfreich, um den sozialarbeiterischen Alltag zu meistern. Nach und nach möchte ich Aspekte davon vorstellen. Viel Vergnügen beim Lesen.