Begegnungen mit Spencer-Brown IX

Eigentlich wollte ich ja irgendwann meine Erinnerungen an George und seinen Aufenthalt in Heidelberg (1994), die ich voriges Jahr begonnen hatte, fortsetzen. Aber jetzt habe ich in den Untiefen meiner Festplatte Tagebuchnotizen von mir gefunden, in denen ich damals meine "Begegnung" mit George bzw. was mir dabei durch den Kopf ging, notiert hatte. Zur Warnung: Das ist alles sehr subjektiv und spiegelt sicher auch meine Enttäuschung wider, angesichts der Tatsache, dass ich die "Laws of Form" ja als einer der ersten in Deutschland promotet hatte (und das ja immer noch tue), und ich dankbar war, weil meine Habilarbeit und meine eigenen Konzepte im wesentlichen auf den LoF beruhten ... Man muss ja zwischen Autor und Werk unterscheiden. In diesem Sinne traue ich mich auch, meine damaligen Notizen, die ja sicher mehr über mich als über GSB aussagen, hier unkorrigiert und unzensiert abzudrucken:

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20./21. Februar 1993


Zwei Tage in London mit George Spencer-Brown;


Er hat mich erwartet und erkennt mich, als ich an seiner Haustür klingele, weil er das Foto auf menem Buch gesehen hat. Seine Souterrainwohnung ist vollkommen verwahrlost, es stinkt, auf dem Boden liegt noch das Laub vom vergangenen Jahr. Ich bin darauf vorbereitet, trotzdem habe ich Schwierigkeiten beim Atmen.


Er ist ca. 70 Jahre alt, stinkt, wirkt verwahrlost, mit braunen, abgebrochenen Zähnen. Nach einer Stunde, in der er mir Tarati erklärt hat, Kricket als statistisches Spiel definiert hat und sonst sehr eifrig war, mir zu gefallen, kommt Anne. Sie ist ca. 40 J. alt, eine ehemalige Lehrerin. Sie folgt unserer Unterhaltung schweigend, kommt mit in ein recht gutes Fischrestaurant (Wheelers), unterbricht George gelegentlich intereesiert fragend. Sie ist die Geduld in Person.


Er tischt schwer zu schluckende Geschichten auf:


George ist der wiedergeborene Buddha, erleuchtet am 7. 9. 1970, um 2 Uhr 23 unter einem Baum in Cambridge, allwissend, Tagamatha. Er ist mit Abstand der intelligenteste Mensch der Welt, der zur Zeit lebt. Seine Erinnerung an frühere Existenzen, die Zeit im Bauch der Mutter, alle seine 1000 Existenzen zuvor, ist klar.

Seine letzte war die einer Frau in San Francisco, die sich das Leben nahm wegen eines Mannes.


Er selbst hatte eine enge, aber qualvolle Beziehung zu seiner Mutter, die ihn seinen vier jüngeren Brüdern vorzog und ihn quälte. Deshalb hatte er auch sexuelle Schwierigkeiten mit Frauen und bevorzugte Männer. Erst als er durch eine Urschrei-Erfahrung gegangen ist, die ihn die Versuche, ihn zu ersticken, an die Brust der Mutter gepreßt, hat wiedererleben lassen, wurde es sexuell möglich, mit Frauen zu schlafen.


Die Beziehung zu seinem Bruder war sehr eng. Sie liebten sich. Er war brilliant, hat versucht, sich umzubringen, hat sich dann später bei einer kleineren Operation sterben lassen. Nie hätte er um Hilfe gebeten.

George ist Buddha, was aus der astrologischen Konstellation bei seiner Geburt abzulesen ist. Daher mußte seine Mutter auch der Anti-Buddha, der Zerstörer, sein. Sie hat ihren Mann nur geheiratet, weil ihre Schwester ihn haben wollte. Nach Afghanistan hat sie ihm unzählige Propaganda-Briefe geschrieben, um ihre Heirat zu erreichen. Über sie ist George mit der Königin verwandt. Der Duke of Kent hatte eine indische Mistress. Die illegitime Tochter wurde aufgezogen mit Queen Victoria, der legitimen Tochter, und später mit einem Gärtner verheiratet. So ist George jetzt Cousin 7. Grades der Königin.


Überhaupt ist er sehr stolz auf sein genetisches Material, so daß es eine Schande wäre, wenn er sich umbringen würde. Das wird er aber sicher tun, wenn er nicht bald Geld auftreibt.


Ich bin offensichtlich der Stern der Hoffnung, der für ihn aufgegangen ist. Er will eine reguläres Gehalt, weil seine Werke, Tarati etc. ja Millionen bringen werden. Und er meint, wir sollten seine Firma übernehmen, um seine Rechte auszuschöpfen etc. Daß er einer der größten Geister aller Zeiten ist, steht für ihn außer Zweifel. England ist ein idiotisches Land mit einem idiotischen Volk, das aber trotzdem Genies wie Newton, Boole und ihn hervorgebracht hat.


Mit Ronnie Laing war er gut bekannt, da er eine Analyse und etliche LSD-Experimente mit ihm gemacht hat. Auch er war an Erinnerungen an die Zeit vor der Geburt interessiert. In einer der Sitzungen hat George erlebt, wie er sich als Baby seine Mutter ausgesucht hat, oder besser: die falsche ihn genommen hat, da er sich als Baby mehr zu einer Finnin hingezogen gefühlt hat.


Nachbemerkung: Die zwei Tage waren sehr anstrengend, da er sehr raumgreifend war und absolut das Zentrum der Aufmerksamkeit beanspruchte. Das Urteil und mein Gefühl ihm gegenüber ist sehr zwiespältig. Rein äußerlich finde ich ihn ziemlich abstoßend, und auch meine kleinbürgerliche Intelligenz rebelliert gegen seine Geschichten. All das, was hier kurz zusammenfassend skizziert ist, ist sehr schräg, ein wenig aus dem Kontext gerissen und frei assoziativ. Und George hätte sicher auch keine Schwierigkeiten, sich als chronischer Schizophrener paranoiden Typs diagnostizeren zu lassen, aber was er erzählt, ist nicht verworren. Wo er auf seine Theorie bezug nimmt, ist es stimmig und konsistent zu seinen Konzepten und buddhistischen Lehren. Er ist eben „erleuchtet“. Trotzdem sollte man ihn wohl besser nicht öffentlich vorführen.