Der Internet-Mob

Da ich seit einiger Zeit mehr oder weniger regelmäßig schaue, was sich mir bei Twitter so auf den Bildschirm spült (die Assoziation zur Toilettenspülung ist nicht von der Hand zu weisen), finde ich alle Ideen der „direkten Demokratie“, wie sie von etlichen Leuten immer wieder vertreten wird, vollkommen idiotisch. Der Filter zwischen den sich schnell wandelnden Affekten und Wünschen von Mobs, ja, schon von ganz gewöhnlichen Massen (siehe Elias Canetti, siehe dazu auch „Formen“) und politischen Entscheidungen, der durch die repräsentative Demokratie gewährleistet ist, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wäre das nicht der Fall, würde die Entwicklung aller Wahrscheinlichkeit nach zur Diktatur führen. (Die Einwände der Schweizer kenne ich; aber deren Volksabstimmungen erfolgen relativ selten, sind in eine lange demokratische Tradition eingebunden und produzieren dennoch ab und zu merkwürdige Ergebnisse.)


Im Blick auf die Funktion des Mobs (und dessen Definition – ich gebe zu, dass „Mob“ eigentlich nicht zu meinem Vokabular gehört) ist wieder einmal Hannah Arendt von bewundernswerter Hellsichtigkeit:


„Der Mob setzt sich zusammen aus allen Deklassierten. In ihm sind alle Klassen der Gesellschaft vertreten. Er ist das Volk in seiner Karikatur und wird deshalb so leicht mit ihm verwechselt. Kämpft das Volk in allen großen Revolutionen um die Führung der Nation, so schreit der Mob in allen Aufständen nach dem starken Mann, der ihn führen kann. Der Mob kann nicht wählen, er kann nur akklamieren oder steinigen. Daher verlangten seine Führer schon damals jene plebiszitäre Republik, mit der moderne Diktatoren so vorzügliche Erfahrungen gemacht haben.“
[Hannah Arendt (1951): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München (Piper) 24. Aufl. 2022, S. 247]


Mein Eindruck ist, dass das Internet offenbar das Medium ist, durch das der Mob sich nicht mehr auf der Straße versammeln muss, sondern vom heimischen Sofa aus steinigen und akklamieren kann.


Misstraut allen Massen, die von sich behaupten, sie seien das Volk!