Inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD? Zwecklos!

Bei meinem Versuch, die Aktualität (!) der Analysen Hannah Arendts zur Entstehung totalitärer Systeme darzustellen, hier der dritte Teil.


In letzter Zeit wird ja immer wieder gefordert, man müsse sich inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen. Dieser Forderung liegt das grundlegende Missverständnis zugrunde, es ginge der AfD um irgendwelche Inhalte. Dahinter liegt wahrschlich auch eine – wie ich finde – problematische (erschütternde) Ignoranz basalen Wissens über die Mechanismen der Kommunikation, hier: die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation. Es geht der AfD allein um eine spezifische Form der Beziehung: die Macht. Das ist nun mal bei faschistischen Organisationen so. Mag sein, dass dies nicht für alle Mitglieder der AfD gilt, aber Herr Höcke, der heimliche Parteiführer ist sicher als Faschist zu bezeichnen, und die Partei passt sich ihm nach und nach an.


Dass Inhalte bei dem Versuch, die Macht zu erlangen, nur hinderlich sind, hat Hannah Arendt am Beispiel Hitlers, Stalins und Mussolinis illustriert:


„Hitlers größte Leistung in der Reorganisation der ihm in die Hände fallenden Nationalsozialistischen Partei, die, bevor er sich ihrer annahm, eine der der vielen Gruppierungen war, in denen sich Welterlöser und Scharlatane aller Sorten zusammenfanden, war, daß er das Parteiprogramm abschaffte, und zwar nicht dadurch, daß er es durch ein anderes ersetzte, sondern einfach indem er sich weigerte, es zu erwähnen oder es einer öffentlichen Diskussion auszusetzen.“ [S. 699]


Analoges gilt für die AfD: „Welterlöser und Scharlatane“ ist wahrscheinlich ja noch schmeichelhaft für diese Gurkentruppe. Was die programmatische Analogie betrifft, hat der AfD-Parteitag z.B. zur Europawahl unendlich viel Zeit mit der Auswahl der Kandidaten verbracht, musste verlängert werden, und erst am Schluss wurde noch eine laue Programmdiskussion geführt, die lediglich dazu diente, die Ziele verbal zu verschleiern. Aber letztlich sind alle Inhalte egal, es geht nur um die Macht. Begonnen hat man mit der Abschaffung des Euro, dann waren die Flüchtlinge dran, dann die Heizung, die EU usw., völlig beliebig, Hauptsache man findet die Aufmerksamkeit schlecht informierter Bevölkerungsteile. Aber zurück zu den Vorvätern:


„Stalin hat das Parteiprogramm, als er erst einmal die Fraktionen innerhalb der kommunistischen Partei liquidiert hatte, einfach durch den Zickzackkurst der Parteilinie abgeschafft, in deren dauernden Schwenkungen und Neuinterpretationen des »Marxismus« alle konkreten, greifbaren Gehalte sich wie von selbst auflösten.“ [S. 699]


Höcke braucht die gegen ihn und seinen Flügel gerichtete Fraktion gar nicht zu liquidieren, denn sie löst sich von selbst in Luft auf. Außer Gauland sind – wenn ich richtig gezählt habe – alle bisherigen Parteivorsitzenden aus ihrer eigenen Partei ausgetreten, da sie nicht in der Lage waren, deren Radikalisierung etwas entgegen zu setzen. Drittes Beispiel Mussolini:


„Die ersten, die Parteiprogramme für überflüssig erklärten, weil sie in ihrer Stabilität sowohl die Gefahr bindender Versprechen wie ein Hindernis für eine Bewegung sahen, waren Mussolini und der faschistische Aktivismus und »Aktualismus«, die alles dem »historischen Moment« und seiner inspirierenden Kraft anheimgeben wollten. Der Drang sich der Gewalt um jeden Preis zu bemächtigen, und der damit zusammenhängende, verständliche Widerwille, öffentlich zu sagen, wozu man nun eigentlich die Gewalt benutzen wolle, ist charakteristisch für alle Mobführer und Demagogen, die daher aus immer so besonders erbittert von dem »Schwatzen« normaler Parteiführer reden.“ [S. 700] [alle Zitate: Hannah Arendt (1951): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München (Piper) 24. Aufl. 2022]


Zurück zur Frage der Inhalte: Wer an der Macht interessiert ist, darf sich einfach inhaltlich nicht zu sehr festlegen. Das gilt natürlich auch Politiker anderer Parteien, aber die AfD ist ein Lehrbuchbeispiel dafür, und deswegen ist sie auch gefährlich. Wer meint, sie werde schon zivilisiert, wenn sie erst mal an der Macht ist, sollte es besser nicht auf den Versuch ankommen lassen, denn es könnte am Ende auch ihn erwischen.


(Zu den Methoden der Machtergreifung, wie sie von der AfD und anderen Populisten angewandt werden, siehe auch meine beiden Publikationen „Anleitung zum Populismus, oder: Ergreifen Sie die Macht!“ und „Stalin und der Apparat!“).