Scholz und Li Keqiang bei der Pressenkonferenz - ein transkultureller Kommentar

Der Kanzlerbesuch in China hat in den letzten Tagen zu einem deutlichen bis heftigen medialen Aufschrei geführt. Er solle nicht fahren. Schon gar nicht zurzeit. Wenn, dann sollte er sich auf jeden an die „empfehlenden“ Worte der deutschen Außenminister Baerbock erinnern. Und im Koalitionsvertrag hätte man doch die gemeinsame Linie verabredet. Und warum sei Scholz nicht zusammen mit Macron gefahren? Scholz würde einen Kotau vor Xi Jinping und China machen. Und so weiter.


Der Ton der medialen Inszenierung war nicht zu überhören und diente als Begleitmusik des Besuchs des Kanzlers in China. Dies spiegelt sich auch in einigen der ersten Kommentare nach der offiziellen Pressekonferenz von Scholz und Li Keqian. Scholz hätte sich vornehmlich und zu lange auf die wirtschaftlichen Beziehungen bezogen. Themen wir Ukrainekrieg, Klima usw hätten viel Raum eingenommen. Die Themen Menschenrechte und Taiwan wären viel zu kurz „hinten drangehängt“. Ich erinnere mich an die Art und Weise, wie in China verhandelt wird, wie Schwierigkeiten angesprochen werden und wie man sich hierüber in der Öffentlichkeit zeigt.


Ich erinnere mich an die besondere Rolle und Funktion dieser ersten Reise von Scholz. Ich erinnere mich an die außergewöhnliche geopolitische Situation. Und ich erinnere mich an ein vielfach vorzufindendes eher kulturell bedingtes Verhaltensmuster. All diesen Aspekten klar, konkret, hinreichend und sensibel genug kommunikativ Rechnung zu tragen, ist schon in Deutschland eine Kunst, erst recht in China. Und vor allem erst recht in Bezug auf China in diesem prekären und explosiven geopolitischen Spannungsfeld.


Es geht also auch um die Relevanz der Betrachtung des Geschehens bei der Pressekonferenz unter der Perspektive der transkulturellen Kommunikation. (Es sei mir hoffentlich verziehen, wenn ich mir hier und jetzt nur kurzfasse)


Blicke ich durch diese Brille, verstehe ich, dass Scholz:
• Mit Aspekten begonnen hat, die auf gemeinsamen Interessen beruhen (Wirtschaft)
• Er hat also nicht mit den hoch konfliktären Themen (Menschrechte, Taiwan) begonnen, was in China, auf offener Bühne, in einer solchen Zeit wie heute, unmöglich gewesen wäre.
• Er hat die Gleichzeitigkeit von Gemeinsamkeiten und wesentlichen Unterschieden angesprochen
• In Bezug auf Biontech betonte er eine konkrete Verabredung / Entscheidung, die, wenn man die bisherige Weigerung Chinas vor Augen hat, offensichtlich in Bezug auf ein wesentliches Spannungsfeld (Pandemie) eine Tür geöffnet hat. Dies ist der Öffentlichkeit mitgeteilt worden. Man wird sehen, wie man in Zukunft durch diese Tür gehen wird.
• In einem solchen Moment eine Tür geöffnet zu haben, ist transkulturell gesehen in China vielleicht (anfangs) wichtiger als schon über das zu reden, was man konkret machen wird, nachdem man durch diese Tür gegangen sein wird.
• Schließlich hat Scholz die heiklen, heißen Themen angesprochen, nämlich Taiwan und Menschenrechte.
• Es scheint als hätte Scholz transkulturell gesehen, wichtige Signale von Gemeinsamkeit gesetzt, was in China grundsätzlich wichtig und man könnte fast sagen, üblich ist. Sei es auf der politischen, sei es auf der wirtschaftlichen, sei es auf der familiären Ebene. Diesen Weg so zu gehen, ist in China kulturell gesehen, eine notwendige Voraussetzung, dass sich überhaupt die Tür öffnen kann.
• Transkulturell gesehen, konfrontiert dies uns im Westen mit unserer eigenen Angst vor der Unsicherheit, nämlich abwarten zu müssen auf das, was da (hoffentlich) kommen wird. Statt uns in der Kunst der Ambiguitätstoleranz zu üben, wollen wir gleich alles: die offene Tür, einen konkreten Schritt, der unseren Interessen weitgehend entsprechen würde und dies in aller Öffentlichkeit durch das Gegenüber deutlich bekundet.
• In China funktioniert das aber nicht so.


Warum erzähle ich das? Was ist die „lesson learnt“, die helfen kann, auch anders auf den Kanzlerbesuch in China zu schauen?


Es könnte als heißen:


Bleib (überzeugt) bei Deiner eigenen Meinung, ohne den anderen offen zu kritisieren, ohne direkten Druck auszuüben, ohne den Gesprächspartner bloßzustellen und ohne provozierende Bedingungen zu stellen. Gehe davon aus, dass Dein chinesisches Gegenüber hiermit vertraut ist. Auch wenn Dein Gegenüber wie eine Black Box wirkt, Du musst nicht unbedingt Angst vor ihm haben. Aber wahrscheinlich bist Du eher mit Deinem eigenen inneren Film konfrontiert, nämlich mit dieser gewiss verunsichernden Situation emotional nicht klar zu kommen. Sie lässt sich nun mal eben nicht einfach so kontrollieren wie Du es bisher gewohnt bist. Und mach Dir klar, dass der Rote Drache hier vielleicht ja gerade wohnt. Der Rote Drache, der Dir Deine eigene Hilflosigkeit, Angst oder Ärger spiegelt. Der rote Drache, der aber nicht immer China heißen muss. Bleib bei Deiner eigenen Meinung, indem Du gleichzeitig noch einmal Deine Beweggründe und Erklärungen gewissenhaft klärst, um dann auch Deine eigene „Schmerzgrenze“ findest.


Chinesen können nicht Konflikt, Problem oder Krise, so wie wir im Westen. Problem heißt, nach einem anderen Weg zu suchen oder den richtigen Weg noch nicht gefunden zu haben. Also ist es zwecklos, sogar kontraproduktiv, die Positionen als konflikt- oder gar krisenhaft darzustellen (auch wenn wir sie hier im Westen vielleicht so bezeichnen würden). Zeige auf, wie Du in Deinem eigenen Lebensbereich damit umgehst, aber belehre Chinesen nie, wie sie es zu tun hätten. Wehre Dich nicht gegen Chinesen, auch wenn Du Dich am Limit fühlst. Auch wenn es für Dich sehr unkomfortabel ist, vertraue drauf, dass es Deinem Gegenüber auch so ergehen könnte.


Dann gibt`s ne Chance, aber keine Sicherheit oder gar Garantie.