Zum Tod von Jochen Schweitzer oder: Wenn einer die Band verlässt

Jochen Schweitzer ist gestorben. Das ist die traurige Wahrheit. Wir wussten, dass es wohl noch dieses Jahr geschehen würde. Er selbst wusste es auch. Nun ist es so.
Als ich Jochen Schweitzer das letzte Mal persönlich traf, vor einigen Wochen in den Räumen des Helm-Stierlin-Instituts, begegnete ich einem gefassten Menschen und Augen, die so wach, humorvoll und tatsächlich neugierig waren wie eh und je. Sein Blick schweifte über die im 2. Obergeschoß ausgelegten Bücher, und er sagte – sinngemäß: "Angesichts der mir verbleibenden Aussicht auf Zukünftiges ...", legte die rechte Hand ans Kinn und schaute. Er hatte sein jüngstes Buch mit persönlichen Geschichten aus 45 Jahren Systemischer Therapie und Beratung gerade fertig geschrieben. Titel: „Ich hätte da noch eine Idee ...“ – Das sagt (fast) alles.


Über Jochen Schweitzers Bedeutung für Systemische Therapie und Beratung (und weit darüber hinaus) zu schreiben, birgt für mich das Risiko (eher die Sicherheit), etwas zu vergessen oder erst gar nicht zu wissen. Was er geleistet hat, ist durchaus weithin bekannt und erfährt an vielen Orten und in vielen Texten die verdiente Würdigung. Bevor ich deshalb zu meinem persönlichen Raum gehen will, sei hier eingefügt, von dem Gunthard Weber wünschte, dass es hier besonders erwähnt sei und wofür ich ihm herzlich danke:
„Man sollte hier doch auch, pars pro toto, die außergewöhnliche Breite seines beruflichen Tuns und den Reichtum seiner Beiträge zur Entwicklung besonders der systemischen Praxis sowie auch seine besondere Persönlichkeit aufleuchten lassen. Zum Beispiel das, was er als Mitgründer des Carl-Auer Verlages, als langjähriger Vorsitzender der DGSF für das Gedeihen der Gesellschaft und die Systemische Therapie erreicht hat, was er als Mitgründer und Vorstand des Helm-Stierlin-Instituts, hinsichtlich der wissenschaftlichen und sozialrechtlichen Anerkennung der Systemischen Therapie und mit von ihm mitverfassten erfolgreichen Lehrbüchern schaffte. Nicht zu vergessen die Entwicklung und die erfolgreiche Durchführung der multizentrischen SYMPA-Studie zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung an mehreren Kliniken in Deutschland, und viele anderer Projekte. Er war auch Mitgründer der Heidelberger Systemischen Forschungstagungen und der Zeitschrift Psychotherapie im Dialog. Ihn kennzeichnete seine immer freundliche Zugewandtheit und sein Interesse, sich mit Anderen auszutauschen, sie mit einzubeziehen und am Erfolg zu beteiligen. Sich in den Vordergrund zu rücken, war nicht seine Sache. Er war ein begnadeter und verlässlicher Teamplayer und Netzwerker, der besonders während seiner Zeit als Hochschullehrer und Weiterbildner sehr viele jüngere Kolleg:innen in ihrem beruflichen Werdegang wohlwollend begleitete, anerkannte und förderte, und der oft die Verantwortung übernahm. Für mich wurde er, obwohl wir über längere Zeit auch einmal weniger Kontakt hatten, vor allem zu einem Freund, den ich schon jetzt schmerzlich vermisse.“
Was ich noch für Jochen Schweitzer schreiben kann, ist eher ein persönliches Nachwort als ein Nachruf zu einer dankenswerten Lebensgeschichte, das vielleicht für die eine oder den andern auch ein bisschen etwas Repräsentatives haben könnte und das auch ins Carl-Auer Haus passt, für das Jochen Schweitzer vor 33 Jahren einmal mit den Grundstein gelegt hat.


Mir fällt – ihn dürfte es nicht wundern – Musik ein. Wir haben gemeinsam immer wieder mal die Gitarren ausgepackt, aufeinander gestimmt, und dann miteinander musiziert, gesungen, gerockt, und gelacht. Bei öffentlichen Anlässen, wie es zum Beispiel die legendären Sommerfeste des Helm-Stierlin-Instituts waren, spielten und sangen andere mit.


Wir suchten zum einen Lieder und Stücke, die für the two of us besondere Bedeutung hatten, und wir stellten auch welche vor, die der andere noch nicht kannte oder bislang nicht so wichtig oder passend für sich selbst gefunden hatte. Das eine oder andere Mal änderte sich die Einschätzung dann, und etwas Neues ging ins Repertoire ein. Vielleicht ist auch das ein Bildangebot, das ein wenig übers Persönliche hinausreichen und ahnen lassen kann, was Jochen Schweitzer (unter anderem) auszeichnete und was sicher viele an und mit ihm erlebt und erfahren haben. In Sätzen: „Das kenne ich noch nicht, zeig mal. Wie geht das?“ – Oder: „Kennst du das hier schon? Darf ich es dir (euch) mal zeigen?“ – Oder: „Ich hätte da noch eine Idee ...“
Jochen Schweitzer hat die Band verlassen. Spielen wir weiter. Ihn wird´s freuen.


Matthias Ohler mit den Kolleg:innen im Carl-Auer Verlag