Selbstwirksamkeit: Gehört den Mutigen die Welt?

Welches Risikoverhalten führt zum Erfolg einer Organisation? Sind es eher die Bedenkenträger oder die Zocker, die gute und kluge Entscheidungen in Organisationen treffen? Die Antwort ist wie so oft nicht eindimensional, sondern ein Sowohl-als-auch.


Selbstwirksamkeitsüberzeugte wählen die schwierigeren Aufgaben und überwinden Krisen leichter.


Der Sozialpsychologe Albert Bandura hat in den 70er Jahren das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) entwickelt. Menschen haben unterschiedliche Überzeugungen, inwieweit sie neue oder schwierige Anforderungen erfolgreich aufgrund der eigenen Kompetenzen bewältigen können. Je überzeugter Personen von der Wirksamkeit ihrer Fähigkeiten sind, desto eher suchen sie sich schwierige, unbekannte Aufgaben, desto mehr strengen sie sich an, das Ziel zu erreichen und desto höher ist die Ausdauer, Barrieren zu überwinden. Die zentrale Rolle der Selbstwirksamkeitserwartung für die Bewältigung von Krisen und Veränderungen ist empirisch belegt. Eine hohe SWE führt z.B. erwiesenermaßen schneller zur Erreichung von Therapiezielen. Die Forschung um Over- und Underachiever bestätigt, dass die tatsächlich erbrachte Leistung manchmal in Diskrepanz zum Leistungspotenzial steht. So zeigen Hochbegabte z.T. viel schlechtere schulische und berufliche Leistungen als aufgrund ihres Intelligenzquotienten zu erwarten wäre. Eine Erklärung (von vielen anderen) dafür ist die gering ausgeprägte SWE von Underachievern.


Je höher die Selbstwirksamkeitserwartung, desto risikofreudiger und innovativer wird entschieden.


Fürs Entscheiden heißt das: Je höher die SWE, desto risikofreudiger, innovativer, energetischer und schneller wird entschieden. Für Organisationen ergeben sich daraus bedeutsame Schlussfolgerungen, wie sie die individuelle und kollektive Selbstwirksamkeitserwartung stärken können. Am effektivsten ist es, möglichst sicherzustellen, dass Mitarbeiter und Teams schwierige neue Aufgaben und Veränderungssituationen erfolgreich bewältigen. Erfolgserfahrungen sind die wichtigste Quelle für hohe SWE. Auch stellvertretende Erfahrungen durch die Beobachtung von Modellpersonen wirken sich aus. Für beide Fälle ist die Passung zwischen Mensch und Aufgabe entscheidend. Die wahrgenommene Ermutigung, das gefühlte Zu- und Vertrauen wirkt sich ebenfalls positiv auf die SWE von Mitarbeitern und Teams aus. Die hypnotische Wirkung von Sprache ist auch hier zu beachten. „Wir schaffen das schon!“ macht einen Unterschied zu „Das schaffen wir nie!“.


Qualität und Güte einer Leistung hängen damit aber nicht unbedingt zusammen.


Eine hohe SWE oder Erfolgsmotivation muss nicht unweigerlich zu einer hohen Qualität der Leistung führen. John Atkinson stellt in seinem Risikowahl-Modell fest, dass auch eine zu hohe Erfolgsmotivation ein Grund für Leistungseinbußen sein kann. Leichtsinn und naive Überschätzung führen zu tollkühnen, wenig überlegten Entscheidungen und Handlungen, die dann schnell scheitern. Der Volksmund sagt dazu „Übermut tut selten gut“. Auf unserem Decisio-Kontinent haben wir dafür einen Ort kreiert: „Quick-fix – Shit-Back-Guarantee“.


Selbstkritische Bedenkenträger sind das Rückgrat von Organisationen.


Laut Angstforscher Borwin Bandelow, Prof. für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen, ist es ein Glücksfall für die Wirtschaft, dass 60% der Deutschen schüchtern, vorsichtig und zurückhaltend sind: Sozialängstliche Persönlichkeiten halten ihr Hab und Gut zusammen, sorgen für Vorrat und Rücklagen und planen langfristig voraus. Sie sind eher selbstkritisch, suchen Gründe für Misserfolge zunächst bei sich selbst, sind immer bemüht ihre Leistung zu verbessern, übererfüllen Ziele aus dieser „Versagensangst“ heraus und sind äußerst bescheiden. Sie geben mehr als sie fordern. Damit bilden sie das Rückgrat der Organisation und sichern ein Überleben in schlechten Zeiten.


Selbstüberzeugte Wagemutige sind das Herz von Organisationen.


Um Geschäfte ins Leben zu rufen, Unternehmen zu gründen und zu erneuern, braucht es gleichzeitig die mutigen, selbstbewussten Gewinnertypen. Diejenigen, die Risiken gerne eingehen. Sie sind nach Bandelow das Herz der Organisation. Damit ein Start-up in die Welt kommt, braucht es Leidenschaft, Erfolgsüberzeugung und Wagemut. Skepsis und Ängstlichkeit sind zumindest zu Beginn fehl am Platz. Forschungsergebnisse zeigen, dass sich Mut auch ökonomisch mehr auszahlt als Zurückhaltung oder Ängstlichkeit.


Für den nachhaltigen Erfolg einer Organisation braucht es beides.


Weltweit gibt es rund 400 Millionen Gründer, davon scheitern 90% mit ihren Geschäftsideen. Am Arbeitswillen scheint es nicht zu liegen, die Gründer arbeiten durchschnittlich 66 Stunden in der Woche. Die Gründe für das Scheitern liegen hauptsächlich in der Zusammensetzung der Geschäftspartner und der Geschäftsidee. 70% aller gescheiterten Start-ups scheitern an einem Problem mit dem Team, so Christoph Räthke, Leiter der Berliner Start-up Akademie. Menschliche Passung ist ebenso wichtig wie komplementäre fachliche und persönliche Kompetenzen.


Eine durchschlagende Idee mit einem ausgereiften Geschäftsmodell ist der zweite Erfolgsfaktor. Fazit: Auch Gründer brauchen ein gesundes Maß an Besonnenheit und Prüfung. Und genau das lernen erfolgreiche Unternehmer aus ihren Misserfolgen. Dabei geht es nicht um eine Kehrtwende vom mutigen Draufgänger hin zum ängstlichen Skeptiker oder umgekehrt. Die Angstforschung zeigt, dass die beiden Persönlichkeitsmerkmale unter Menschen normalverteilt sind. Die Motive, die das jeweilige Risikoverhalten prägen, sind grundlegend unterschiedlicher Natur und relativ stabil. Die Chance liegt daher in der Ergänzung und im gegenseitigen Lernen: Beide Muster im Umgang mit Risiko werden in Organisationen gebraucht. Gute Entscheidungen entstehen in Organisationen dann, wenn beide Charakteristika zusammengebracht und damit die unterschiedlichen Risikoverhalten wertgeschätzt und genutzt werden.


Es geht um mehr als die „richtige Mischung“ und das Voneinander lernen.


Othmar Sutrich hat in seinem Beitrag zur Beidhändigkeit geschildert, wie bedeutsam die Verknüpfung der beiden Fähigkeiten „Operational Excellence“ und „Neues wagen“ zur Sicherung des künftigen Geschäfts von Organisationen wird. Neu daran ist die Anforderung, die beiden Kompetenzen nicht nur sequentiell und strukturell zu integrieren, sondern sie auch kontextuell in Teams zu integrieren. Damit dies gelingt, reicht es nicht alleine aus, eine ausgewogene, funktions- und aufgabenadäquate Mischung von Vorsichtigen und Mutigen im Team zu haben. Das gemeinsame Teamlernen in der Kollaboration muss gefördert und unterstützt werden, damit das Potenzial gehoben werden kann. Anders gesagt, es geht darum, die Unterschiede im Entscheidungs- und Arbeitsverhalten zu beleuchten, zu verstehen, zu integrieren und Reibungen wie Konflikte zu lösen.