Carl Chandas Edaphon

 


Carl Chanda und das Edaphon


Ich möchte euch eine kleine Geschichte von einem ganz besonderen jungen Mann erzählen.
Vor einiger Zeit hatte ich in meinem Gästehaus „Zweite Heimat“ Herrenbesuch aus der Schweiz. Franz-Xaver und sein 8-jähriger Sohn Carl Chanda hatten einen Anlass, für einige Tage in Landsberg zu sein. Ich kannte beide schon aus früheren Aufenthalten in der Schweiz und hatte bereits bemerkt, dass Carl Chanda sehr viel und gerne im Garten, und oft auch ganz still und kontemplativ mit der Erde beschäftigt war. Während ihres Besuches war die Zeit gekommen, meine Setzlinge – Tomaten, Zucchini, Kapuzinerkresse, Ringelblumen – aus ihren kleinen Töpfchen nach draußen zu verpflanzen.


An einem warmen, sonnigen Maivormittag, als sein Vater für eine Stunde beschäftigt war, fragte ich Carl Chanda, ob er Lust hätte, mir zu helfen. Das wollte er sehr gerne tun. Also gingen wir hinaus und besprachen, wo welche Pflanzen Platz finden könnten und legten los. Mit großer Ernsthaftigkeit ging mir mein kleiner Gärtnerkollege zur Hand, füllte Erde in Pflanzlöcher, hielt Setzlinge, drückte Erde an. Ich habe Zinkwannen, die wir bepflanzten und auch Beete, in denen einige Pflänzchen ihr neues Zuhause fanden. Als wir in einem Beet gleich mehrere Regenwürmer entdeckten, erklärte mir Carl Chanda, wie wichtig diese Würmer für den Boden seien. Ohne sie wäre die Erde nicht so gut mit Sauerstoff versorgt und auch nicht so locker und die Pflanzen könnten nicht gut wachsen. Ich höre seine Stimme, während ich das schreibe und mir geht noch nach, wie schön und gewissenhaft er formuliert. Seine Mutter stammt aus Sambia und spricht Englisch oder Bemba mit ihm. Sein Vater ist gebürtiger Schweizer und sie kommunizieren hin und wieder auch auf Französisch. So wächst er mit verschiedenen Sprachen auf und hat offenbar einen besonderen Bezug auch zu dem Raum zwischen diesen Sprachen, denn er übersetzte mir manche Begriffe, die ich beim Pflanzen verwendete auch in Schwyzerdütsch.


Die Regenwürmer waren also sehr wichtig für meine Pflänzchen und so sammelte er ganz behutsam einige von ihnen ein und grub sie neben meinen frisch an die Erde übergebenen Setzlinge, damit diese es besonders gut hätten. Im weiteren Verlauf der Bepflanzung suchte sich Carl Chanda zunehmend seine eigenen Aufgabe, die vor allem in der genauen Beobachtung des Bodens bestand. Dabei wirkte er vollkommen konzentriert, wie ein Forscher, der etwas entdeckt und die Welt um sich vergisst. Als er den Inhalt einer meiner Zinkwannen betrachtete sagte er: „Diese Erde sieht komisch aus.“ Er hatte mit dieser einfachen, klaren Aussage ins Schwarze, bzw. ins Braune getroffen. In diesen Kübel hatte ich einmal Asche aus meinem Kamin gekippt, denn ich wusste, dass Asche für manche Pflanzen ein guter Dünger sein kann. Ich hatte es allerdings mit der Dosis übertrieben, denn die Himbeere überlebte die Sonderbehandlung leider nicht. Auch wenn diese misslungene Bodentherapie schon einige Zeit zurücklag, sieht diese Erde immer noch ein wenig anders aus und der junge Bodenexperte hatte dies sofort bemerkt. Ich hätte mir für die Bepflanzung außer der Sonne, die vom blauen Himmel schien keine schönere und segensreichere Präsenz wünschen können als die Carl Chandas.


Am nächsten Morgen, als ich den beiden das Frühstück brachte, sah ich einige Zeichnungen auf dem Tisch liegen und fragte, ob ich sie betrachten dürfe. Es waren Bilder, die Carl Chanda für seinen Vater gemalt hatte und ich staunte Bild für Bild über die Schönheit und Detailgenauigkeit, mit der der Künstler das Edaphon, die Welt der Organismen in der Erde, dargestellt hatte. Es war ein komplexes System von Gängen eines Ameisenbaus mitsamt den Bewohnern und deren Beutekäfern zu sehen, die Wurzeln, die Würmer. Aber auch die Welt über der Erde hatte er bedacht und konnte nun viel besser verstehen, warum die Blumen auf seinem Bild so schöne Blüten hatten und warum es auch einige Bienen und Vögel geben konnte, war doch die Grundlage all dessen so reich und intakt. Es gab auch ein Bild mit dem Inneren eines Berges und eines mit der Unterwasserwelt des Meeres. Ich habe noch nie zuvor ein Kind getroffen, das sich mit solch ernsthafter Hingabe und Aufmerksamkeit dieser für uns zunächst unsichtbaren Seite der Welt widmet. Es ist als würde Carl Chanda zutiefst verstehen und erfassen, wie wichtig dieses Reich für unser Leben ist. Für einen Menschen, dessen Ahnen aus verschiedenen Welten stammen, mag die Welt in der Erde ein geborgener Raum sein. Sie ist allen Wurzeln liebevolle Heimat.


Zu meiner großen Freude erfüllte mir Carl Chanda den Wunsch, auch mir ein Bild zu malen. Da er mir ja vor allem von den Regenwürmern erzählt hatte, schenkte er mir unter anderen das Bild, das diesen Beitrag ziert. Er hatte es bei einer gemeinsamen Freundin gemalt und durch einen Schauer zu mir getragen. Die kleinen Spuren zeugen also von dem himmlischen Segen. Möge es noch viele Menschen geben wie ihn, die uns helfen, auch das Unsichtbare zu sehen, das Vergessene zu erinnern und die Erde zu lieben.


PS: für alle, die sich vielleicht grad nicht dran erinnern oder es im Text nur flüchtig gesehen haben: Als Edaphon (von griechisch edaphos „Erdboden“) wird die Gesamtheit der im lebenden Organismen und Mikroorganismen bezeichnet.


 


Michael Heim
Susanne Doebel

seit März 2020 Start-Up-Unternehmerin mit Wertstoff-Couture, einem Upcycling-Label, seit 2012 Betreiberin eines B&B in Landsberg am Lech, neuerdings Gesang- und Akkordeonlernende, Studium der Tiefenpsychologie nach C.G. Jung und systemische Naturtherapeutin nach Kreszmeier/Hufenus




Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.