Fischen, nicht Fische

Ein kleines Gedankenexperiment: Gehen wir davon aus, dass die Soziale Arbeit für das Soziale zuständig sei: dementsprechend „besozialarbeitert“ ein:e Sozialarbeiter:in ein:e Klient:in. Sie klärt die soziomateriellen Ansprüche ab und sozialinkludiert diese Frau, indem Sie Ihr Gelder, Wohnraum oder Unterstützer:innen – oder was auch immer – zur Verfügung stellt.
Ende gut, alles gut.
Nun, glauben Sie.
Was aber, wenn diese Klientin die Gelder versauft? Wenn sie die Wohnung abfackelt. Wenn sie die Unterstützer:innen vertreibt?


Das sind alles reale Beispiele aus meinem Supervisionsalltag. Sehr oft erlebe ich Sozialarbeiter:innen bzw. Fachkundige des Sozialen Bereichs (auch aus angrenzenden Berufsgruppen), die eben dies 1a-mäßig tun: soziomaterielle Ansprüche abklären, sozial inkludieren… und dann…?


Es stimmt (irgendwie schon aber nicht zur Gänze), wenn Peter Lüssi eine Sozialberatung fordert – in Abgrenzung zur Psychotherapie oder andren Beratungen. Es stimmt (irgendwie schon aber nicht zur Gänze), wenn Wolf Rainer Wendt (und andre) betonen, dass die Beratung im Case Management bzw. in der Sozialen Arbeit anders sei – im Unterschied zu etwa psychologischer oder psychotherapeutischer Beratung.
Doch die Erfahrung zeigt: Sie können den Case noch so gut managen … Ihnen sitzt ein individuelles, interaktives und eigenwilliges Wesen gegenüber. Und das muss irgendwie miteinbezogen werden.


Nun lautet – meine gewagte These – dass die Soziale Arbeit ein wenig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Indem sie so sehr bemüht war, sich von Psychotherapie oder auch Coaching abzugrenzen, hat Sie übersehen – oder vergessen –, dass auch Sie nicht ohne Inhalte oder Zugängen auskommt, die eben in diesen Disziplinen beschrieben werden.


Kehren wir zurück zum Ausgangsbeispiel.
Es ist vereinfacht und plakativ formuliert. Viele Kolleg:innen – Praktiker:innen – wissen aber genau, wovon ich schreibe. Menschen lassen sich nicht einfach nur „besozialarbeitern“ (außer in Kontexten von Ohnmacht, Zwang und Handlungsunmöglichkeit); vielmehr sind sie mit an Bord zu holen.
Wolfgang Hinte betont das in dessen sozialraumorientierten Ansatz durchgehend seit mindestens drei, wenn nicht vier Dekaden.


Wenn wir „einfach nur“ soziomaterielle Ansprüche abklären und sozial inkludieren, dann tun wir so, als wäre unser Gegenüber ein:e passive:r Empfänger:in einer Dienstleistung. Das mag – verzeihen Sie – für das eigene Ego großartig sein, jemand helfen zu können (vielleicht würde Eric Berne dies eine Eltern-Kind-Transaktion nennen): Ich, die – oder der – „große“ Sozialarbeiter:in – helfe der – oder dem – „kleine:n“ Klient:in. Ich setze mein Wissen ein, erstrahle in Handlungskompetenz. Hier hast Du’s! Bin ich nicht großartig?
Diese Form des „Besozialarbeiterns“ ist keinesfalls die hier angestrebte. Handlungskompetenz heißt nicht, dass ich hier ein:e Klient:in wie eine Waschmaschine repariere. Und ich muss mich schon gar nicht großartig fühlen oder sonst irgendwie das eigene Ego aufpeppen.
Käme diese Form vor, dann wären wir beim Fisch.
Nicht beim Fischen.
Ich suche also nach einem methodischen Zugang.


Sie kennen ja das berühmte Zitat von Laotse, in etwa so wiedergegeben: Willst Du eine:n Hungernde:n unterstützen, so gib Ihr/Ihm nicht Fische, sondern bring Ihr/Ihm das Fischen bei.
Also gib nicht etwas, etwa ein Nahrungsmittel, (Eltern-Kind-Transaktion), sondern lehre etwas (etwa eine Fähigkeit – Erwachsenen-Erwachsenen-Transaktion).
Die erste Lesart ist nur dann angebracht, wenn akutes Verhungern bevorsteht, also zur Abwendung einer unaufschiebbaren Kausalität und damit eine Form von Krisenintervention. In diesem Fall ist Verantwortungsübernahme hilfreich, wenn man Laotses Spruch weiterdenkt.
In allen andren Fällen ist der potentialorientierte bzw. kompetenzaktivierende Zugang der bessere, so Laotse. Ich würde ihn gerne fragen, ob er damals auch schon hypnosystemisch gearbeitet habe…


Auch Hungernde können erlernen, wie man/frau fischt. Sie können diese Fähigkeit erwerben, um sich selbst zu helfen.
Soziale Arbeit ist gefordert dies zu ermöglichen – so wird sie zur Ermöglichungsprofession, wie Heiko Kleve und Jan Wirth es ausformulieren würden.
Wir kämen vom Fisch zum Fischen.


Immer dann, wenn die Eigeninitiative, Eigenleistung und Eigenverantwortung von Klient:innen betont wird, höre ich den Chor sogenannter (verzeihen Sie falls ich den Terminus falsch oder unangemessen verwende) „links-kritischer“ Sozialarbeitskolleg:innen schreien: „neoliberal“ … übersetzt heißt dies dann „verachtenswert“, „furchtbar“ oder schlimmeres…
Deshalb eine kurze Ergänzung:
Anwaltschaftliches Handeln ist auch dann angebracht, wenn die Möglichkeit zum Fischen ungleich verteilt ist. Strukturelle Schlechterbehandlung ist Teil unsrer Gesellschaft. Doch auch hier wäre die Ermöglichung von Rechten eher der Fisch, die Ermöglichung, selbst zu Rechten zu kommen, das Fischen.
Mir ist bewusst, dass dies nicht in allen Fällen womöglich machbar ist – das wäre dann eine (sozial-ethische) Frage oder auch gerne unter dem Aspekt der stellvertretenden Inklusion oder auch andrer Gesichtspunkte eine lohnenswerte Diskussion.
Grundsätzlich bleibe ich dabei: Wie kann möglichst Eigeninitiative, Eigenleistung und Eigenverantwortung gefördert/gefordert werden? Damit eben nicht die Gelder versoffen, die Wohnung abfackelt, und die Unterstützer:innen vertrieben werden.


Die Prämisse des heutigen Beitrages ist recht einfach: Ich gehe davon aus, dass es neben einer äußeren (soziomateriellen) auch immer eine innere Veränderung braucht.


Manchmal mag durch die äußere auch die innere kommen – oder umgekehrt. Das wäre eine fraktale Wirkung und jedenfalls sehr erwünscht. Die Erfahrung zeigt mir auch, dass es durchaus sinnvoll ist, beides zu adressieren: Innen und Außen.


Bevor manche Kolleg:innen wieder Luft holen. Nein, das bedeutet nicht, dass man zur sozialarbeiterischen Psychotherapie werden muss oder zum Sozialcoaching.


Die hypnosoziale Systemik, um die Metapher aufzugreifen, möchte das Kind ins Bade zurückholen. Sozialarbeiter:innen (und Fachkundige angrenzender Berufsgruppen im Sozialen Feld) benötigen nicht nur Werkzeuge der Abklärung und Vermittlung soziomaterieller Ansprüche. Sie benötigen auch Werkzeuge, um Menschen zu aktivieren, zu beteiligen, zu motivieren, manchmal auch zu konfrontieren und dann wiederum zu moderieren, zu vermitteln und auch zu inkludieren.
Deshalb ist der hier vorgestellte Zugang ein komplementärer: er möchte andre Theorien und Praktiken nicht als Kind aus der Badewanne ausschütten. Er möchte vielmehr Möglichkeiten aufzeigen, wie Soziale Arbeit – also alle darin Tätige – den eigenen Zweck, die eigene Funktion, das eigene Anliegen zieldienlicher umsetzen kann.
Dazu braucht es, meiner Meinung nach, eine Abkehr von der Abgrenzungspolitik, die ich in manchen Bereichen der Sozialen Arbeit verorten würde, und eine Hinwendung zu einer Inklusionspolitik: Wie können, z.B., hypnosystemische Aspekte von Coaching und Counselling zieldienlich in der Sozialen Arbeit unterstützen?
Techniken zu inkludieren, heißt nicht, die eigene Identität zu verlieren. Bestimmt würde sich aber so manches bewegen. Und ich hoffe: zum Guten.


Damit dies möglich wird, werden wich im nächsten Blog nochmals auf das Makro-Mikro-Thema eingehen. Bis dahin viel Freude beim Denken über diesen Beitrag!


 


LITERATUR


Peter Lüssi: Systemische Sozialarbeit. Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung.

Wolf Rainer Wendt: Beratung und Case Management: Konzepte und Kompetenzen.

Wolfgang Hinte: Non-direktive Pädagogik. Eine Einführung in Grundlagen und Praxis des selbstbestimmten Lernens.


Heiko Kleve u. Jan Wirth: Die Ermöglichungsprofession: 69 Leuchtfeuer für systemisches Arbeiten.

Eric Berne: Spiele der Erwachsenen: Psychologie der menschlichen Beziehungen.


 


BEITRAGSBILD


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