Die Hypnosoziale Systemik als lebendige Soziale Arbeit
Als ich Fachkollegen von der aktuellen Blog-Idee erzähle, ernte ich überraschte Blicke. Die Soziale Arbeit … lebendig…? Kritisch – ja, das darf sie sein. Eine „kritische Disziplin“ und ein wichtiges „Funktionssystem“ der Gesellschaft. Aber lebendig?
Es ist natürlich total abwegig, dass das Lebendige oder das Leben etwas mit Sozialer Arbeit zu tun haben könnte, nicht wahr? Verzeihen Sie mir den verschmitzten Kommentar.
Ich denke jedenfalls, dass dies sogar ein wichtiger Kernbestandteil der Sozialen Arbeit sein kann.
Hinweise dazu finden sich u.a. bei Hans Thiersch: Dieser spricht vom gelingenden Alltag: Die Dienstleistung der Sozialen Arbeit richtet sich lebensweltorientiert danach aus. Das Leben wird hier soziologisch im Sinne des Alltags aufgefasst und auf Seiten des Klienten festgemacht.
Doch ich möchte darüber hinausgehen.
Das Lebendige kann Bestandteil der Sozialen Arbeit in allen Sphären sein, sowohl in der Praxis, in der Theorie und – beides verbindend – in der Methodik. Diese Aussage richtet sich nicht gegen eine „Kritische Soziale Arbeit“ oder gegen die Theorie des „Funktionssystem“. Ich werfe eine andere Perspektive auf die Soziale Arbeit.
Viele meiner Studierenden, Supervisanden und Seminarteilnehmenden verbringen einen Großteil ihres Lebens im beruflichen Sektor der Sozialen Arbeit. Sie sind sehr oft bestrebt, „fachlich“, „kritisch“ und „unterstützend“ im Sinne der Fachlichkeit zu sein. Und ich frage mich: Darf das nicht auch lebendig sein? Ist es Sozialarbeitern verboten, lebendig zu sein? Ist Lebendigkeit gar durch fachliche Standards ausgeschlossen? Ich frage das deshalb, da dies in vielen Diskursen keine Rolle zu spielen scheint. Und dadurch droht die Soziale Arbeit etwas verknöchert zu wirken.
In Anlehnung an das bekannte Buch von Friedrich Nietzsche möchte ich weiterdies fragen: Darf die Soziale Arbeit eine fröhliche Wissenschaft sein?
Das ist doch eine berechtigte Frage, oder? Darf es mich erfreuen, in Forschung oder Praxis Sozialer Arbeit tätig zu sein? Darf ich daran Freude empfinden, Menschen in deren gelingen Alltag zu begleiten. Darf ich mich sogar dabei lebendig fühlen? Ist das, angesichts des Leids der Klienten und der Missstände in der Gesellschaft, eine berechtigte Perspektive? Ein wohltuendes Erleben?
Ich meine: Ja! Denn die zentrale Frage lautet: Was kommt durch mein Denken, Wollen und Tun in die Welt?
Eine kurze Gegenfrage kann dies erörtern:
Kann ein Missstand durch „Unfröhlichkeit“ beseitigt werden? Kann Leid durch „Unlebendigkeit“ getröstet werden? Die Antwortet lautet: nicht unbedingt. Also warum dies in die Welt bringen? Es geht mir hier nicht um reine verstandesbezogene Denkmodelle: um hohe Theorien, riesige Ansprüche oder fachliche Erwartungen einer scientific community. Ich möchte lediglich ansprechen, dass Soziale Arbeit sowohl lebendig als auch fröhlich sein darf. Und damit meine ich jede einzelne Sozialarbeiterin und jede Fachkraft, die im Feld tätig ist.
Diese „kritische Disziplin“, dieses „Funktionssystem“ hat etwas zu bieten für einen jeden Menschen, der damit in Verbindung kommt. Es kann sich immer Lebendiges ereignen. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen, ist Entwicklung möglich. Wachstum ist der Ausdruck des Lebens.
Viele meiner Studierenden, Supervisanden und Seminarteilnehmenden stellen die Frage nach dem korrekten fachlichen Vorgehen in der Sozialen Arbeit. Wenige stellen die Frage nach dem eigenen Potential an Entwicklung und Wachstum. Wenige suchen nach der eigenen Lebendigkeit in Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit.
Darf ich das denn überhaupt? Als Sozialarbeiterin mein Potential entfalten?
Was für eine Frage! Soll das den Menschen in der Sozialen Arbeit verboten sein?
Wir alle haben ein großartiges Potential in uns angelegt, das entfaltet werden kann. Dafür gibt es genügend Belege, sei es etwa bei Gerald Hüther. Lebendigkeit und Fröhlichkeit ist hierfür bestimmt eine gute Zutat.
Ich denke, dass die Soziale Arbeit kritisch UND fröhlich sein kann. Sie kann ein Funktionssystem UND ein Hort des Lebens sein.
Von dieser Idee können alle Menschen profitieren, die in irgendeiner Weise mit Sozialer Arbeit in Berührung kommen – gleichwohl wo und in welcher Form diese stattfindet.
Die Hypnosoziale Systemik kann dazu einen Impuls geben, indem sie zunächst das Thema aufzeigt. Sie weist auf die Innenseite davon hin, angesprochen durch die Wortsilbe „hypno“, und meint damit das Potential, das in jedem
Menschen ruht. Sie weist auf die Außenseite hin, angesprochen durch die Wortsilbe „sozial“, und meint damit das Feld, das jeden Menschen dabei unterstützen kann.
Davon ausgehend können wir in zwei weitere Richtungen fragen.
Innen:
Welches Potential ruht in mir?
Zu welcher Entwicklung bin ich fähig?
Was bedeutet für mich Lebendigkeit in der Sozialen Arbeit?
Inwieweit kann ich die Soziale Arbeit als „Fröhliche Wissenschaft“ betreiben?
Was möchte ich für mich aus meiner Tätigkeit im Feld mitnehmen?
Wie kann diese mich als Mensch bereichern?
Außen:
Welche Werte und Glaubenssätze wurden mir im Studium der Sozialen Arbeit vermittelt? Welche gelten in der mir dienstgebenden Einrichtung?
Welche Rahmenbedingungen unterstützen mich in der Entfaltung meines Potentials? Welche meine Führungskräfte? Meine Fachkräfte an der Basis? Meine Kooperationspartner? Meine Klienten?
Was braucht es, damit die Soziale Arbeit eine „fröhliche Wissenschaft“ und sogar eine „fröhliche Methode“ werden kann?
Welche Wege können gefunden werden, so dass dies möglich wird?
Was aus meinem Umfeld kann mich bei der Unterstützung meiner innigen Ziele unterstützen?
Was an Fröhlichkeit und Lebendigkeit kann ich dem Umfeld zurückgeben? Und wie möchte ich dies konkret tun?
Das könnten einige ausgewählte Leitfragen sein, um das Thema zu eröffnen.
Die Hypnosoziale Systemik ist weniger an bloßen Verstandeskonstruktionen oder abstrakten Ideen interessiert. Sie ist interessiert an dem, was lebt: an dem, was ins Leben kommt bzw. kommen könnte.
Damit fröhliche Lebendigkeit um sich greifen kann, scheint das Wort UND hilfreich zu sein. Und es kann sinnvoll sein, sich einige Leitfragen zu stellen, um dafür Ideen und dann auch konkrete Taten zu entwickeln.
Dieser Beitrag versteht sich nicht als Kritik an dem Bestehenden, sondern als Mutmacher für etwas Neues. Er beleuchtet eine unterbeleuchtete Perspektive. Er vertieft das Realisationsprinzip aus dem letzten Blogbeitrag (17 – Was die Soziale Arbeit vom Buddhismus lernen kann).
Hoffentlich bereitet er Freude beim Lesen und gibt einige Impulse für eine fröhliche Lebendigkeit für alle Menschen in der Sphäre der Sozialen Arbeit.
Im nächsten Blogbeitrag möchte ich eine weitere neue Perspektive für Fachkundige der Sozialen Arbeit anbieten: „Bewusstsein – das unentdeckte Land“.
Literatur
Hüther, Gerald (2013): Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. Bern: Fischer.
Maaß, Olaf (2009): Die Soziale Arbeit als Funktionssystem der Gesellschaft. Heidelberg: Carl-Auer
Nietzsche, Friedrich (2021): Die fröhliche Wissenschaft. Hamburg: Nikol.
Thiersch, Hans (2020): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit – revisited. Weinheim: Beltz Juventa.