Was die Soziale Arbeit vom Buddhismus lernen kann

Wissen Sie, was ein Dharma-Lehrer ist? Mein Kollege ist nicht nur Supervisor und Philosoph sondern auch Dharma-Lehrer. Er lehrt Menschen die buddhistische Methode zur praktischen Anwendung im eigenen Leben. Dharma ist also, kurz definiert, die buddhistische Methode und deren Anwendung im alltäglichen Leben.
Im Zuge unserer Gespräche habe ich mir insbesondere das Prinzip der Realisation mitgenommen. Damit ist folgendes gemeint: Im Buddhismus wird nicht derjenige zum Dharma-Lehrer, der am meisten Wissen über den Buddhismus verfügt. Zum Dharma-Lehrer ist insbesondere der berechtigt, der den Buddhismus realisiert hat – oder, um es mit den Worten von Vera Birkenbihl zu sagen, der es eben nicht nur gepaukt hat, sondern auch anwenden kann.
Im Buddhismus ist es natürlich auch wichtig Schriften und Texten (also Theorie) zu kennen. Aber als reines Wissens-Wissen ist dies nicht gedacht. Vielmehr dient Theorie der konkreten Anwendung, also der Praxis. Und das ist eben das, was ich mit dem letzten Blog-Beitrag „16 – Der Ton macht die Musik“ zum Ausdruck bringen wollte: eine lebendige Praxis Sozialer Arbeit.


Wenn Sie sich nun die folgende Szene vergegenwärtigen, so werden Sie rasch feststellen, worauf der heutige Beitrag abzielen mag.


Denken Sie sich ein funktionales Konferenzzimmer in einer x-beliebigen Fachhochschule oder Universität für Soziale Arbeit. Die Professoren und Lektoren für Soziale Arbeit sind zu einer Konferenz zusammengekommen, um den Aufbau und Ablauf des Studiums zu reflektieren. Im Zuge dessen wird der Lehrplan besprochen. Darunter auch die Methoden der Gesprächsführung. Zum Thema gemacht wird die „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg.
Ein Kollege schildert eben dessen Erfahrungen mit den Studierenden zur GFK. Dabei beschreibt er, auf Nachfrage einer Kollegin, die vier Schritte der GFK. Leider verspricht er sich. Er benennt diese vier Schritte falsch. Sofort wird er – in einem durchaus rüden Ton – von einer andren Kollegin unterbrochen. Diese teilt ihm mit, dass er doch, bitte schön, das richtig sagen solle. Das stimme ja keineswegs. So ein Blödsinn (verziehen Sie das wörtliche Zitat)! Korrekt seien die vier Schritte: Wahrnehmung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. So und nicht anders. Basta! Zudem sei man hier in einem akademischen Kontext. Da könne man (oder hier: frau) ja wohl erwarten, dass Fachkonzepte richtig wiedergegeben werden.
Der Kollege räumt seinen Irrtum etwas kleinlaut ein. Die Konferenz läuft weiter.
Ich sitze am Rande des Geschehens, das ich interessiert beobachtet habe. Und tatsächlich scheint niemanden das aufzufallen, was mir auffällt.


Sie denken jetzt vielleicht: „Lieber Herr Kluschatzka-Valera, das ist eine ganz alltägliche Situation. Ganz normal. Eben eine Lehrkonferenz.“ Oder vielleicht meinen Sie auch: „Also, etwas wertschätzender hätte die Kollegin das schon rückmelden können.“
Das stimmt. Wertschätzung ist die Basis jeder Kommunikation, ob diese im alltäglichen oder im akademischen Kontext stattfindet. Die Hypnosoziale Systemik sieht das so. Und sie schaut noch darüber hinaus auf das, was die Kollegin hätte vom Buddhismus lernen können.


Sie erinnern sich bestimmt an das Realisations-Prinzip, das ich eingangs erläutert habe. Wenn das nun auf diese Situation angewendet wird, so kann erkannt werden, dass die Kollegin zwar das Wissens-Wissen über die GFK erworben hätte. Sie kennt das Konzept abstrakt-theoretisch und kann dies bestimmt entsprechend lehren. Aber leider macht auch hier der Ton die Musik, diesmal wortbildlich gemeint. Sehr leicht ist zu erkennen, dass das Anwendungswissen der GFK fehlt. Sie hätte nämlich die GFK anwenden können, um diese Rückmeldung zu geben. Dafür hätte sie sich lediglich des Prinzipes bedienen müssen, das sie so energisch referiert hat: die vier Schritte der GFK.


Die GFK ist kein abstraktes Konzept, so ich diese kennengelernt habe. Sie möchte tatsächlich realisiert werden – direkt im Gespräch! Insofern können wir festhalten: das eine ist es zu wissen, das andre ist es zu tun. Es gibt einen Unterschied zwischen einem so genannten „intellektuellen“ oder „akademischen“ Wissen, das rein abstrakt existiert. Und daneben gibt es ein Bewusstsein für dieses Wissen, ein Anwendungswissen, eine Art Lebens- und Handlungsweisheit. Darin ist das vormals abstrakte Wissen in der Praxis realisiert worden. Es wird direkt umgesetzt. In diesem Fall macht auch der Ton die Musik.


Ich denke, dass das Realisations-Prinzip mit diesem Beispiel sehr gut verständlich gemacht wurde. Jetzt stellen sich weitere sehr interessante Fragen: Wie kann das Realisations-Prinzip auf die Methoden der Sozialen Arbeit angewandt werden? Wie können Theoretiker, Praktiker und Lehrkräfte der Sozialen Arbeit sich aus dem abstrakten Wissen ein realisiertes Anwenden ableiten?


In diesem Fall ist es, wie immer, simple but not easy (um hier eine Hommage an Steve de Shazer zu wagen, der für dieses Zitat berühmt geworden ist). Der erste Schritt ist, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Dann kann ich aus Erkenntnis handeln und zu jemand werden, der die Soziale Arbeit nicht nur kennt und abstrakt referieren kann, sondern der dies auch im Beruf und Leben realisiert.
Durch dieses Beispiel mag dazu ein Impuls gegeben sein, so dass im weiteren Blogbeitrag dann das Thema „Die Hypnosoziale Systemik als lebendige Soziale Arbeit“ vertieft werden kann.


Literatur


Rosenberg, Marshall (2016): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Paderborn: Junfermann.