Schwere Waffen für die Ukraine?

Die im Moment kontrovers diskutierte Frage, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern sollte, lässt sich m.E. (mal abgesehen von dem, was die anderen westlichen Länder tun und ob wir uns da als Sonderlinge zeigen) am besten beantworten, wenn man die Logik von Kriegen zugrunde legt.
Wann und wie enden üblicherweise Kriege?
Es gibt eigentlich nur drei Szenarien:


1. Die eine Kriegspartei wird vernichtet.
Es mag ja in einer Schlacht funktionieren, dass man alle Gegner tötet, aber es funktioniert nicht in Bezug auf Nationen, Ethnien, Kulturen und andere, größere soziale Systeme; es bleiben immer irgendwelche Leute übrig, die entweder weiterkämpfen oder aber – nachdem sie Luft geholt haben – auf Revanche sinnen und den Krieg fortsetzen. Die Kriege „frieren“ ein, um nach einiger Zeit nicht nur aufzutauen, sondern wieder heiß zu werden.


2. Eine Kriegspartei gibt auf, zieht die weiße Fahne und kapituliert.
Diese Möglichkeit steht hinter der Idee, man könne einen Krieg gewinnen. Den anderen totrüsten, so dass er die Hoffnung aufgibt und sich der größeren Macht unterwirft. Das hat in der Geschichte schon öfter funktioniert. So wurden Imperien geschaffen, vom römischen Weltreich bis zur amerikanischen Dominanz in der westlichen Hemisphäre. Der zweite Weltkrieg wurde auf diese Weise beendet. Allerdings gilt auch hier: Der Verlierer entscheidet, ob bzw. wann der Krieg beendet ist. Wenn er nämlich nicht wirklich akzeptiert, dass er keine Chance hat, dann gilt, was unter Punkt 1 schon erwähnt wurde: Er wartet nur auf die Chance zur Revanche (s. die Folgen des „Versailler Vertrags“). Dass Westdeutschland relativ wenig derartige revanchistische Tendenzen nach dem Krieg gezeigt hat, dürfte auch mit der Demoralisierung und Selbstzweifel der (west-) deutschen Bevölkerung durch die nicht mehr zu leugnenden Gräuel, die im deutschen Namen begangen wurden, zusammenhängen (Stichwort: Auschwitz). Außerdem hat sich in den 50er Jahren dank Marshall-Plan der American Way Of Life für die bundesdeutsche Bevölkerung ungeachtet der Nostalgie von Schlesier-, Sudetendeutschen- oder anderer Flüchtlings-Treffen als sehr attraktiv erwiesen...


3.Es kommt zu einer Verhandlungslösung.
Dies dürfte der beste Weg zu einem nachhaltigen Frieden sein. Allerdings nur dann, wenn wirklich alle Kriegsparteien ja zu dem Vertrag sagen können und nicht unter Zwang irgendwelche Verträge unterschreiben (anders als beim „Minsker Abkommen“).
Das geschieht aber nur, wenn keine der Parteien mehr denkt, sie könne doch noch irgendwie oder -wann gewinnen. Bzw. – äquivalent dazu und meist kombiniert – wenn jede Seite weiß, dass sie dauerhaft verhindern kann zu verlieren.


Ich weiß nicht, wie das unter Militärs im Moment diskutiert wird, aber wenn man sich aus einer systemtheoretischen Perspektive damit beschäftigt (siehe ausführlich: „Tödliche Konflikte. Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege“ und „Einführung in die Systemtheorie des Konflikts“) und sein Leben lang sein Geld mit fremder Leute Konflikte verdient hat, dann ist das ziemlich klar...
Was heißt das nun für die Frage der schweren Waffen. Mir scheint, man sollte die Ukraine mit allen zur Verfügung stehende schweren Waffen beliefern. Denn auch mit westlichen Haubitzen etc. wird die Ukraine nie Russland besiegen und unterwerfen können. Das ist nicht zu befürchten. Aber sie kann dann wahrscheinlich verhindern, dass Russland die Ukraine besetzt und eine Marionettenregierung einsetzt. Ziel muss sein, den Russen die Idee des Sieges auszutreiben.
Das Tragische an dieser Dynamik von Kriegen ist, dass man schließlich dort landet, wo man eigentlich vor dem Krieg schon stand: Man muss ein Arrangement finden, mit dem alle Beteiligte leben können, ohne sich (d.h. ihre Identität, Selbstachtung etc.) aufzugeben. Aber wahrscheinlich bedarf es erst des gescheiterten Versuchs zu siegen, ehe man zu dem Schluss kommt, dass es nicht funktioniert. Und das macht im Blick auf die Dauer des Krieges in der Ukraine nicht sonderlich optimistisch. Das Risiko, dass dies eine unendlich langer, und unendlich viele Kräfte und Menschenleben verschleißender Konflikt wird (bleibt, denn er hat ja schon 2014 begonnen) ist groß.