Warum Eroberungskriege (wie z.B. in der Ukraine) irrational sind und sich nicht lohnen…

Da ich mich im Moment intensiver mit Diktatoren und Diktaturen bzw. der Beziehung zwischen Herrschern und den von ihnen beherrschten sozialen Systemen beschäftige (Stalin war nur der erste, s. mein Buch), führt kein Weg an den luziden Gedanken von Hannah Arendt zum Thema vorbei. Sie erläutert – was aus systemtheoretischer Perspektive als antizipatorisches Plagiat erscheint – warum Eroberungskriege langfristig nicht erfolgreich sind und sein können. Das dürfte auch für die Versuche Putins, die Ukraine zu erobern, zu gelten. Hannah Arendts Analyse legt auch nahe, dass das Russische Reich sich aller Wahrscheinlichkeit in nicht allzu entfernter Zukunft auflösen wird, und warum auch das chinesische Großreich nicht auf Dauer bestehen wird. Das alles scheint mir auch systemtheoretisch logisch und stimmig.


„In der neueren Geschichte waren Eroberungen und das Gründen von Weltreichen aus guten Gründen in Verruf gekommen. Nicht Nationalstaaten, sondern Staatsformen, die wie die Römische Republik wesentlich auf dem Gesetz beruhten, konnten Weltreiche gründen, die Bestand hatten, weil in ihnen der Prozeß der Eroberung eine wirkliche Integration der verschiedenen Volksgruppen durch die Autorität einer für alle gültigen Gesetzgebung folgte, in der sich die tragende politische Institution des Gesamtreiches verkörperte. Der Nationalstaat besaß kein derart einigendes Prinzip, weil er von vornherein mit einer homogenen Bevölkerung rechnete und eine Zustimmung zu der Regierung (Renans »plébiscite de tous les jours«) zur Voraussetzung hat. Die Nation kann keine Reiche gründen, weil ihre politische Konzeption auf einer historischen Zusammengehörigkeit von Territorium, Volk und Staat beruht. Im Falle der Eroberung bleibt dem Nationalstaat nichts übrig, als fremde Bevölkerungen zu assimilieren und ihre »Zustimmung« zu erzwingen: er kann sie nicht integrieren, und er kann ihnen nicht seinen eigenen Maßstab für Recht und Gesetz auferlegen. Daher besteht, wenn er Eroberungen macht, stets die Gefahr der Tyrannis. Dies wußte schon Robespierre, als er ausrief: »Périssent les colonies si elles nous en coûtent l’honneur, la liberté«.“
[Hannah Arendt (1951): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München (Piper) 24. Aufl. 2022, S. 289f.]


Dass dennoch immer wieder Eroberungen versucht werden und mit Gewalt der aufkommende Widerstand der Unterworfenen unterdrückt wird und dies auch geraume Zeit funktionieren kann, ist davon unbenommen. Aber langfristig ist eine Situation, in der Repression und Kontrolle der Unterworfenen nötig sind, ökonomisch nicht haltbar. Es geht nicht nur die Ehre verloren, sondern die Lage des Eroberers wird wirtschaftlich prekär, da die Kontrolle zu teuer wird, d.h. sich nicht rechnet. Das ist auch einer der Gründe, warum im 20. Jahrhundert die meisten imperialistischen Nationen (wie z.B. GB oder Frankreich) ihre Kolonien aufgegeben haben. Schlicht ein Rechenexempel.


Das alles spricht dafür, dass langfristig (und diese Frist sollte nicht zu lange dauern), die Ukraine nicht mehr um ihre Unabhängigkeit kämpfen muss. Denn es wird immer deutlicher, dass Putins Weltbild aus der Zeit gefallen ist. Iwan der Schreckliche (und seine sowjetischen Nachfolger), die Territorien „gesammelt“ haben, sind seine Vorbilder – das ist nicht nur antiquiert, sondern schrecklich irrational.