Der organisierte Familienwille - oder: Gremien als Entscheidungsgeneratoren
Der sechste Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung
Ein zentraler Effekt der Familienstrategieentwicklung ist, dass sich aus dem System der Familie des Familienunternehmens die Unternehmerfamilie als eigenständiges System herausdifferenziert. Bereits mit dem zweiten Schritt des Prozesses, in dem die Zugehörigkeiten festgelegt werden, also insbesondere bestimmt wird, wer zur Familie und wer zum Entscheidungskreis der Unternehmerfamilie gehört, wird diese systemische Ausdifferenzierung bzw. Neubildung augenscheinlich.
Mit diesem sechsten Schritt wird nun etwas eingeführt, was deutlich macht, dass das neu gebildete System der Unternehmerfamilie (im Unterschied zur Familie des Familienunternehmens) eine Organisationsform erhält. Denn die Etablierung von Gremien, in denen zentrale Entscheidungen bezüglich des Unternehmenseigentums, des Familienunternehmens und der Pflege der Familienbeziehungen besprochen, vorbereitet und durchgesetzt werden, ist das offensichtlichste Zeichen dafür, dass wir es hier mit einer Organisationsbildung zu tun haben. Denn Organisationen folgen definierten Zwecken, für die sie differenzierte, insbesondere arbeitsteilige Strukturen ausbilden, die hierarchisch angelegt sind, bestimmte Funktionen erfüllen sollen, denen konkrete Rollen zugeordnet werden, die von dafür auszuwählenden Personen temporär oder dauerhaft besetzt werden.
Der Zweck der zu bildenden Gremien liegt darin, den Familienwillen hinsichtlich der Eigentums- und Unternehmensverantwortung zu repräsentieren und diesbezüglich Entscheidungen zu treffen bzw. im Kontext der Familie getroffene Entscheidungen auch durchzusetzen. Ganz grundsätzlich ist dieser Wille freilich durch die familiäre Intention der Transgenerationalität geprägt, also durch die Motivation der Familie, das Unternehmen erfolgreich in die nächsten Generationen zu führen.
Entscheidend dafür ist nicht so sehr, dass Familienmitglieder die operative Führung im Unternehmen innehaben. Wichtiger ist, dass die Eigentümerschaft in Familienhand bleibt und dass die Unternehmerfamilie dafür sorgt, dass passende Führungskräfte für die operativen Aufgaben zur erfolgreichen Unternehmerführung gefunden, eingestellt und gehalten werden, die mit der Familie bzw. dem Familienwillen matchen. Wenn aber die Familie selbst nicht mehr operativ im Unternehmen durch dort arbeitende Familienmitglieder präsent ist, verstärkt sich die Wichtigkeit, den Familienwillen, seine Generierung und Durchsetzung durch formal eingerichtete Gremien zu gestalten.
Daher stellt sich zunächst die Frage, welche Art von Gremien eingerichtet werden sollen. Damit einhergehend ist daran zu denken, dass die hier relevanten Gremien zweierlei realisieren sollen: Zum einen haben sie das Ziel, den Familienwillen an der Schnittstelle von Familie, Eigentümerkreis und Unternehmen zu entwickeln sowie in Richtung des Familienunternehmens zu kommunizieren und durchzusetzen. Zum anderen geht es darum, die Unternehmerfamilie zu führen, ihr also eine sichtbare Repräsentanz zu geben, und zwar durch Familienmitglieder, die auf der einen Seite in der Unternehmerfamilie entsprechend anerkannt sind und die auf der anderen Seite die Kompetenz und das Selbstbewusstsein besitzen, um auf Augenhöhe mit dem Unternehmen bzw. seinen möglicherweise familienexternen Führungskräften zu kommunizieren. Das heißt, dass die Gremien mit Personen besetzt sein sollten, die sich ausgeprägte Gesellschafterkompetenzen angeeignet bzw. entsprechende Qualifikationen erworben haben, sei es durch eigene berufliche Karrieren oder durch die Absolvierung entsprechender Programme, wie im fünften Schritt besprochen.
Wenn wir nun ganz konkret fragen, welche Gremien, die beiden genannten Ziele, eben einerseits die eigentums- und unternehmensbezogenen sowie andererseits die familienbezogenen Ausrichtungen zu verfolgen haben, dann könnten wir in der einen Hinsicht an einen Beirat und in der anderen Perspektive an eine Art Familienrat denken.
Der Beirat hat die Aufgabe, die Geschäftsführung des Unternehmens zu begleiten und sowohl mit wichtigen unternehmens- bzw. marktbezogenen Fragen und Anregungen zu konfrontieren als auch den Familienwillen zu kommunizieren. Daher sollte dies ein Gremium sein, in dem zweifelsfrei die Familie repräsentiert sein muss, in dem es aber auch familienexterne Personen mit ausgeprägtem Sachverstand zu geben hat, die mit strategischer und branchenspezifischer Expertise ausgestattet sind, damit sie der Geschäftsführung anregende und herausfordernde Sparringspartner sein können.
Der davon zu differenzierende Familienrat hat die Aufgabe, dauerhaft am Familienzusammenhalt zu arbeiten. Denn auch dieser versteht sich nicht von selbst, sondern muss immer wieder aktiv realisiert werden. Gerade dann, wenn die Unternehmerfamilie aufgrund egalitärer Erbschaftsprinzipien immer größer wird, die Anzahl der Gesellschafter/innen also von Generation zu Generation steigt, ist aktiv etwas für den Zusammenhalt zu tun, damit in jeder Generation die Identifikation mit dem Unternehmen und der Familie re-aktualisiert sowie die Bindung zwischen den Familienmitgliedern bzw. den Gesellschaftern gepflegt wird.
Die Details der Bildung, der Differenzierung sowie der konkreten Ausgestaltung der Funktionen, Rollen und der Besetzung der Gremien sind in jeder Unternehmerfamilie, also während des Familienstrategieprozesses jeweils ganz spezifisch zu klären, zu diskutieren und schließlich zu entscheiden. Auch hier gibt es keine Konfektionsware, sondern jede Unternehmerfamilie ist gut beraten, wenn sie hinsichtlich ihrer Gremien ihre eigenen Maßanfertigungen kreiert, gestaltet und nutzt.