Ohne weitere Tools. Aufstellen im Online-Format als körperliche Aufmerksamkeitsfokussierung

Seit ca. einem Jahr, also seit Ausbruch der Pandemie arbeite ich in unterschiedlichsten Settings mit Online-Aufstellungen, etwa in der systemischen Weiterbildung, der universitären Lehre sowie in Coaching und Beratung. In dieser Weise praktizieren inzwischen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen. Genau wie ich haben viele damit sehr positive Erfahrungen gemacht.


Das Aufstellen über Videochats lässt sich vortrefflich nutzen, um Menschen zu nachhaltig wirksamen kognitiven, emotionalen und aktionalen Veränderungsprozessen anzuregen. Wenn ich jedoch gefragt werde, wie ich das denn genau tue und meine Vorgehensweise erläutere, ernte ich nicht selten ein ungläubiges Erstaunen. Denn ich arbeite ohne weitere Online-Tools. Ich nutze also bis auf das Videochat-System keine weiteren Applikationen, keine digitalen Aufstellungsbretter oder Avatare. Meine Erfahrung, die sich in zahlreichen Sitzungen bestätigt hat, ist, dass es in Aufstellungen vor allem auf die körperliche Achtsamkeit und die Artikulation der wahrgenommenen Unterschiede während des Aufstellungsprozesses ankommt.


Ich arbeite also mit einer starken Körperorientierung der Repräsentant:innen, die insbesondere in verdeckten Aufstellungen die zentrale Informationsbasis für die Artikulationen während des Aufstellungsprozesses ist. Die Räumlichkeit muss nicht über drei- oder zweidimensionale Anordnungen simuliert werden. Denn diese ist bereits vor unserer Wahrnehmung gegeben. Neben Zeit und Kausalität ist der Raum (nach Immanuel Kant) eine Beobachtungskategorie a priori immer schon da, wenn wir denken, fühlen und handeln. Der Körper, der all unseren Denk-, Fühl- und Handlungsprozessen vorausgeht und untrennbar mit diesen verbunden ist, kann als Raumsensorium verstanden werden; er ist räumlich lokalisiert, jederzeit mit dem Raum verklammert. Jeder Sinn, den wir im Denken oder Kommunizieren konstruieren, ist daher räumlich kodiert, wie Peter Fuchs dies sehr prägnant beschreibt:


„Es ist der lebende und wahrnehmungsfähige Körper, der Verräumlichung betreibt, oder besser: der alle Sinngewirke versorgt mit jenen ‚Abständigkeiten‘, ohne die es kein Differenzieren, kein Unterscheiden gäbe und auch nicht: die psychische Phänomenalisierung von Sinn. Der Körper bietet, wenn man so will, einen multimodalen sensomotorischen Komplex an, der exterozeptive, interozeptive, haptische, viszerozeptive, propriozeptive Wahrnehmungen zusammenstellt und damit Welt projiziert, in der der Projektor enthalten ist.“ (P. Fuchs, 2015, DAS Sinnsystem. Prospekt einer sehr allgemeinen Theorie. Weilerswist: Velbrück, S. 57.)


Meine Art des Online-Aufstellens betrachte ich schließlich deshalb als ausgesprochen tiefgehend und wirksam, weil sie dabei hilft, dass wir auch im körperlich distanzierten Setting mit Computer-Applikationen das schaffen, was das Aufstellen vor allem ausmacht: das Erleben von intensiven Gefühlen und die Nutzung dieser für die ko-kreative Konstruktion eines gemeinsamen Sinns. Körperliche Sinnlichkeit ist Voraussetzung für lösungsorientierte Sinneskreationen. Die Online-Arbeit zeigt mir noch deutlicher als die Praxis im Präsenzsetting, mit welcher Kraft Aufstellungen diesbezüglich wirksam werden können.