Transgenerationalität als familiäres Grundprinzip von Familienunternehmen

Die Weitergabe von Leben und Eigentum


Unabhängig von der Rechtsform, der Unternehmensgröße oder der Governance können Familienunternehmen durch eine Gemeinsamkeit gekennzeichnet werden, nämlich durch das Prinzip der Transgenerationalität. Das bedeutet, dass diese Unternehmen ein Familienprinzip implementiert haben, das für Familien zunächst bedeutet, dass das Leben von der einen an die nächste Generation weitergegeben wird. In Unternehmerfamilien wird diese Weitergabe zudem auf das Unternehmenseigentum übertragen. Neben dem Leben geben Unternehmerfamilien Unternehmenseigentum von der einen an die nächste Generation weiter und sorgen damit bestenfalls für soziale, wirtschaftliche und auch ökologische Nachhaltigkeit: Auch für die Enkel und Urenkel soll das erhalten bleiben, was die aktuelle Generation verantwortet. Das ist das Kernmerkmal von Familienunternehmen. Damit kommt das Thema der Nachfolge in den Blick und ist eine zentrale Herausforderung für die Realisierung der Transgenerationalität.


Das Nadelöhr der Nachfolge


Dass die Nachfolge als die Voraussetzung für die unternehmerische Transgenerationalität, gewissermaßen als deren Nadelöhr regelmäßig so viele Fragen aufwirft und Probleme bereitet, hat mit sehr vielen unterschiedlichen Aspekten zu tun, die auf gesellschaftliche wie auf familiäre Bedingungen verweisen. Ich will hier lediglich die familiäre Dimension fokussieren.


Unternehmerfamilien sind ambivalente Sozialsysteme: Sie sind keine „normalen“ Familien, sondern solche mit ganz speziellen Herausforderungen. Diese Herausforderungen werden oft noch nicht professionell betrachtet. Während sich Familien gemeinhin nicht professionalisieren müssen, ist genau das von Unternehmerfamilien gefordert: Unternehmereltern müssen sich beispielsweise fragen, wie sie ihre Kinder im Kontext des Unternehmens erziehen, ob sie sie an das Unternehmen früh heranführen sollten oder genau dies nicht tun dürfen. Sie müssen die Kommunikation über das Unternehmen und die damit einhergehende Verantwortung in passender Weise in die Familie tragen, dafür Kontexte schaffen, und andere Kontexte genau davon befreien. Eine professionelle Unternehmerfamilie trennt und verbindet in kontextsensibler Form Familien- und Unternehmensfragen. Und damit einher geht die Frage der Nachfolge: Wie soll diese in der Familie realisiert werden? Ist es eventuell möglich, sozial wie ökonomisch, die Nachfolge in operativen Rollen und in den Eigentumsrollen zu trennen?


Die Professionalität in der Gesellschafter-Rolle


Bereits die Übernahme der Eigentümer-Rolle, also die Nachfolge als Gesellschafter/in erfordert Professionalität. Ein Problem ist, dass die Erwartungen bezüglich der mit dieser Rolle notwendigen Kompetenzen oft nicht expliziert werden. Wichtig ist das Reden darüber. Bestenfalls schaffen es zukünftige Eigentümer/innen, über diese Themen mit ihren Eltern, aber auch mit anderen zukünftigen Eigentümer/innen, also mit ihren Peers in einen Austausch zu treten. Es ist zu beobachten, dass dies in vielen Unternehmerfamilien inzwischen tatsächlich geschieht. So werden beispielsweise entsprechende Weiterbildungen zur Ausbildung bzw. Entwicklung von Gesellschafter-Kompetenz in Anspruch genommen.


Die unternehmensbezogene Kommunikation des Familienwillens


Sollte sich die Unternehmerfamilie ganz auf ihre Eigentumsrolle konzentrieren und beispielsweise familienexterne Geschäftsführer/innen engagieren, ist eine wichtige Frage, inwieweit es die Eigentümerfamilie schafft, ihren Familienwillen weiterhin in das Unternehmen hinein zu kommunizieren. Gerade dann, wenn die Familie nicht mehr über im Unternehmen operativ tätige Familienmitglieder verfügt, benötigt sie kompetente Gesellschafter/innen, die die Familie wie das Unternehmen repräsentieren und den familienexternen Unternehmensmanagern auf Augenhöhe gegenübertreten können. Bestenfalls haben diese Familienrepräsentanten die gesamte Unternehmerfamilie hinter sich. Gerade für wachsende Unternehmerfamilien ist das wichtig, also für Eigentümerfamilien, die das Unternehmenseigentum zunehmend an alle ihre Nachkommen egalitär vererben. Diese großen Unternehmerfamilien benötigen eine starke professionell strukturierte Family Governance, die das Unternehmen prägt, dafür sorgt, dass der so genannte Familiness-Faktor des Unternehmens erhalten bleibt.


Die Unternehmerfamilie 3.0


Zu diesen Themen forschen wir am Wittener Institut für Familienunternehmen seit 25 Jahren. Ein Ergebnis dieser Forschung ist z.B. unser Buch „Management dynastischer Unternehmerfamilien“[i]. Hier werden die Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojektes mit sowohl sehr alten wie auch sehr großen Unternehmerfamilien präsentiert. Ein Ergebnis dieser Forschung ist das Konzept der Unternehmerfamilie 3.0. Demnach müssen wachsende Unternehmerfamilien für drei soziale Strukturen gleichermaßen sorgen: Erstens müssen sie ihre Familiarität sichern; dies geschieht vor allem in den Kleinfamilien. Zweitens benötigen sie eine professionelle Familienorganisation. Und drittens müssen sie das permanent wachsende soziale Netzwerk der vielen entfernt miteinander verwandten Familiengesellschafter/innen pflegen. Kurz gesagt, Wachsende Unternehmerfamilien, die erfolgreich sind, schaffen es, professionelle Sachlichkeit, emotionale Bindung und strategische Umsetzungskraft gekonnt miteinander zu balancieren – und dies auf zahlreichen Ebenen.


Die Balance zwischen Tradition und Innovation


Gerade angesichts sehr alter und großer Unternehmerfamilien können wir sagen, dass die mit jeder Generation neu zu realisierende Transformation gelingt, wenn sie sowohl Tradition wahrt, also Bewährtes anerkennt, pflegt und behütet, als auch Innovation realisiert, mithin dort Veränderungen umsetzt, wo diese angemessen, passend und überlebenswichtig sind. Von ihrer Grundkonstitution haben Familienunternehmen alle Voraussetzungen, um diese Balance aus Tradition und Innovation in passender Weise zu realisieren. In der Regel sorgt die Familie für die Verwurzelung in der Tradition, wovon ausgehend innoviert werden kann. Wer sich immer wieder erneut weiterentwickeln will, kann dies besonders dann, wenn er eine Basis hat, die soziale und emotionale Sicherheit vermittelt. Das ist bestenfalls die Familie.


Bei einer Learning Journey, die wir als Institut im Jahre 2019 in Japan machten, weil es dort die meisten sehr alten Familienunternehmen gibt, war dies ein zentrales Takeaway.[ii] Wir hörten von vielen Unternehmern, dass die traditionelle Verwurzelung in Sicherheit gebenden sozialen Beziehungen Voraussetzung für die Bereitschaft ist, sich hinsichtlich des Unternehmens, des Geschäftsmodells etc. (wenn notwendig) immer wieder zu verändern.


Der sichere ordnungspolitische Rahmen


Damit dies gelingt sind neben den innerfamiliären Bedingungen, die ich angesprochen habe, gesellschaftliche Rahmenbedingungen notwendig. Der Adressat für diesbezügliche Erwartungen ist natürlich die Politik: Ich plädiere an dieser Stelle für weniger davon. Familienunternehmen brauchen Freiräume, damit sie sich entwickeln können – und in der Regel wirken die politischen Rahmenbedingungen, etwa Regulierungen, Steuern etc., hemmend auf diese Entwicklungen. Das Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft ist bestenfalls ein überschaubarer und berechenbarer Ordnungsrahmen für Unternehmen. Wenn dieser gegeben ist und gehalten wird, dann ist viel gewonnen.


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[i] Tom Rüsen, Heiko Kleve, Arist v. Schlippe (2021): Management der dynastischen Unternehmerfamilie. Zwischen Familie, Organisation und Netzwerk. Wiesbaden: Springer.


[ii] Sigrun Caspary, Tom Rüsen, Heiko Kleve, Tobias Köllner (Hrsg.) (2023): Erfolgsmuster langlebiger Familienunternehmen in Japan. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.