Zwischen Treuhänderschaft und Investment: Die vermögensstrategische Haltung in Unternehmerfamilien

Der neunte Schritt der WIFU-Strategieentwicklung


Unternehmerfamilien, deren Mitglieder Eigentümer erfolgreicher, vielleicht bereits mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alter Familienunternehmen sind, können in der Regel auf eine beachtliche Vermögenssituation blicken. Neben dem im Unternehmen gebundenen Vermögen, das dem Unternehmenswachstum dient, hat sich auch ein beachtliches Sekundärvermögen akkumuliert, das den Familienmitgliedern eine exklusive Lebensführung ermöglicht. Dennoch können wir Gesellschafter von Familienunternehmen als eher bescheidene Eigentümer beobachten, für die der Satz geprägt wurde: „Rich on paper, poor on cash.“


Das zeigt sich jedenfalls, wenn wir sehr alte und erfolgreiche Familienunternehmen betrachten, die zudem noch egalitäre Vererbungsmuster der Unternehmensanteile an die jeweils nachfolgenden Generationen etabliert haben. In solchen Eigentümerfamilien erhalten jeweils alle Nachkommen Unternehmensanteile, so dass die jeweiligen Anteile immer kleiner werden, aber die Anzahl der Gesellschafter stetig steigt. Solche Gesellschafter beziehen jährliche Gewinnausschüttungen, die aber im Vergleich zu den Dividenden von börsennotierten Publikumsgesellschaften ähnlicher Größe wie das heimische Familienunternehmen weitaus geringer ausfallen. Wie ist dies zu erklären?


Gesellschafter von Familienunternehmen verstehen sich nicht in erster Linie als Investoren, die vor allem auf ihren Ertrag blicken, sondern als Treuhänder von ererbten Unternehmensanteilen und Vermögenswerten, die sie von ihren Eltern, Großeltern, ja Ahnen erhalten haben und für ihre Nachkommen hüten, bestenfalls vermehren wollen. Damit tradieren sie zudem das Unternehmen bzw. das Unternehmertum ihrer Familie, haben das Gedeihen und die langfristige Existenz des Familienunternehmens im Blick, das in der betreffenden Region womöglich ein großer Arbeitgeber ist, Kundenvertrauen genießt und eine bedeutende nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesamtgesellschaftliche Relevanz hat.


Die vermögensstrategische Haltung in Unternehmerfamilien ist vor diesem Hintergrund zu betrachten. Und so wird auch in familienstrategischen Prozessen die Ausschüttungspolitik und der Aufbau von Sekundärvermögen von Familienmitgliedern in diesem größeren Kontext diskutiert.


Familienunternehmertum wird traditionell als transgenerationales Unternehmertum betrachtet, das auf Langfristigkeit hin angelegt ist, so dass es darum geht, das Unternehmertum für und mit den nächsten Generationen zu erhalten. Individuelle Ansprüche der Gesellschafter nach hohen Gewinnausschüttungen werden in den betreffenden Familien daher oft moralisch sanktioniert. Vielmehr wird diesbezüglich Bescheidenheit erwartet. Der Erhalt, das Wachsen und Gedeihen des Familienunternehmens bzw. des entsprechenden Unternehmertums wird primär gesetzt.


In der Familienstrategieentwicklung wird in diesem Zusammenhang möglicherweise die Frage diskutiert, was es moralisch überhaupt rechtfertigt, dass Gesellschafter Ausschüttungen erhalten – insbesondere dann, wenn diese selbst nicht operativ im Unternehmen tätig sind und auch keine aktiven Gesellschafter sind, die sich etwa für den Zusammenhalt des Gesellschafterkreises oder der Unternehmerfamilie engagieren. Dahinter steckt die soziale Erwartung, dass Rechte (etwa Ausschüttungen zu erhalten) zumindest sozio-moralisch mit Pflichten einhergehen, was bedeuteten würde, etwas für das Erhaltene zurückzugeben. Was als Rückgabe in der reziproken Logik von Geben und Nehmen jeweils anerkannt wird, versteht sich freilich nicht von selbst, sondern muss transparent gemacht oder auch verhandelt werden.


Interessant ist in diesem Zusammenhang überdies, dass Ausschüttungen, die Gesellschafter von Familienunternehmen auch dann erhalten, wenn sie selbst nicht operativ tätig sind und auch kein aktives Engagement im Gesellschafterkreis der Unternehmerfamilie zeigen, loyalitätsstärkend wirken. Das heißt, dass die Gesellschafter für das Erhaltene das Gefühl der dankbaren Loyalität zurückgeben, dass also finanzielle Ausschüttungen, so bescheiden sie im Vergleich zu anonymen Börsenunternehmen auch immer sind, den emotionalen Zusammenhalt innerhalb der Unternehmerfamilien stützen und stärken.


Schließlich haben Familienunternehmen einen ökonomischen Vorteil von dieser Art der Gesellschafter- und damit finanziellen Ausschüttungsstruktur: Je bescheidener die Gesellschafter sind, desto stärker ist die finanzielle Kraft des Unternehmens. Gerade in Krisenzeiten ist dies ein wichtiger Wettbewerbsvorteil von Familienunternehmen gegenüber anderen Unternehmens- und Eigentumsformen, der auf die Resilienz transgenerationalen Unternehmertums einzahlt. Die Familie als sozialer Kontextfaktor führt daher zu einer Haltung, in der Kollektivinteressen vor Einzelinteressen stehen, was klassische kapitalismuskritische Perspektiven auf den Egoismus des privaten Wirtschaftens grundsätzlich relativiert. Daher können wir wohl behaupten, dass kaum etwas sozialer ist als der mittelständische Familienkapitalismus, von dem freilich die Eigentümerfamilien der Unternehmen profitieren, aber ebenso die Mitarbeiter der Betriebe, deren Familien und regionale Gemeinden, die Kunden, die Zulieferer sowie zahlreiche weitere gesellschaftliche Institutionen bis hin zur Politik, die umso mehr Steuergelder einnehmen wird, desto erfolgreicher und langlebiger mittelständische Familienunternehmen agieren.