Konflikte und Krisen in Unternehmerfamilien und Familienunternehmen – vom Defizit- zum Ressourcenblick

Der achte Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung


Konflikte und Krisen sind wiederkehrende Phänomene. Bestenfalls sind sie nicht nur belastend und anstrengend für alle Beteiligten, sondern bieten auch Chancen zur konstruktiven Weiterentwicklung. Es ist anzunehmen, dass bezüglich mehrgenerationaler Familienunternehmen bzw. Unternehmerfamilien, die schon mehrere Generationsübergange durchlebt haben und daher ein Alter von mindestens mehreren Jahrzehnten auf dem Buckel haben, bereits einige Konflikte und Krisen durchlebt sowie offensichtlich erfolgreich bewältigt wurden. Daher können wir jedenfalls im Kontext solcher Familien bzw. Unternehmen, aber auch grundsätzlich einen positiven Fokus im Familienstrategieprozess einnehmen und fragen, wie bisherige Krisen überstanden wurden und Konfliktlösungen gelungen sind:


Was haben Sie als Unternehmerfamilie und Familienunternehmen in den letzten Jahrzehnten in passender Weise realisiert, so dass Sie es geschafft haben, die Konflikte und Krisen, die Sie erlebt haben, erfolgreich zu bewältigen?


Mit dieser Frageperspektive verlassen wir den defizitorientierten Blick und nehmen einen ressourcen- sowie stärkeorientierten Beobachtungsstandpunkt ein. In den Gesundheitswissenschaften wird diesbezüglich davon gesprochen, dass von der Pathogenese, also vom Blick auf die Entstehung von Krankheiten, die Beobachtungsrichtung zur Salutogenese gewendet wird, also der Frage zu, was die Menschen gesund erhält und was sie genau dafür – ungeplant wie geplant – tun.


Was also lässt die Unternehmerfamilie gesund bleiben – oder drastischer: Wie bleibt sie am Leben, auch angesichts von Krisen und Konflikten?


Krisen sind einmalige oder andauernde Ereignisse, die durch interne Geschehnisse (im Unternehmen, der Familie, dem Gesellschafterkreis) oder durch externe Phänomene (insbesondere in Natur und Gesellschaft) ausgelöst werden. Sie führen zu grundsätzlichen Unterschieden im bisherigen Prozessablauf bzw. hinsichtlich der routinierten Strukturen, auf die in anderer Weise reagiert werden muss als die alltägliche Praxis bisher erforderte. Krisen konfrontieren Systeme also mit einem Stopp-Signal: So wie bisher kann es nicht weitergehen; es muss ab jetzt anders entschieden und gehandelt werden.


Freilich können auch Konflikte Krisen auslösen. Wenn bisher immer alles einvernehmlich entschieden wurde und plötzlich, etwa im Gesellschafterkreis, eine Uneinigkeit auftritt, also ein „Nein“ mit einem „Nein“ beantwortet wird, dann ist das ein Konflikt, der eine Entwicklungskrise auslösen könnte. In solchen Situationen besteht ein Ziel darin, entscheidungsfähig zu bleiben. Nichts ist in Konflikt- und Krisensituationen dramatischer als Entscheidungsstillstand. Organisationen, Unternehmen wie mehrgenerationale Unternehmerfamilien in ihrer eigentums- und unternehmensbezogenen Verantwortung, haben Strukturen und Prozesse zu definieren, die dafür sorgen, dass die Entscheidungsfähigkeit auch in konflikt- und krisenhaften Situationen gesichert bleibt. Im Rahmen der Familienstrategieentwicklung ist darüber zu sprechen, um Verfahren zu finden und zu kreieren, um dafür passende Regelungen zu implementieren.


Um solche Regelungen zu finden, wird hier vorgeschlagen, die eigenen bisherigen Strategien der Krisen- und Konfliktbewältigung zu erinnern, intensiv zu beforschen, um daraus für die Gegenwart, speziell: für die Familienstrategieentwicklung zu lernen. Dabei kann so vorgegangen werden, dass beispielsweise drei bis fünf Krisen und Konflikte aus der Geschichte des Familienunternehmens und der Unternehmerfamilie hinsichtlich folgender sieben Fragen intensiv betrachtet werden:


1. Welche überstandene Krise bzw. welcher bewältigte Konflikt soll betrachtet werden?


2. Was war der Auslöser dieser Krise bzw. dieses Konflikts?


3. Wer war von der Krise bzw. vom Konflikt in welcher Weise betroffen?


4. Wie haben die Beteiligten auf die Krise bzw. auf den Konflikt reagiert?


5. Welche Effekte hatten diese Reaktionen?


6. Welche Reaktionsweisen waren für die letztlich erfolgreiche Bewältigung der Krise bzw. des Konflikts besonders förderlich?


7. Was kann für die Gegenwart daraus gelernt werden und was bedeutet das für die Kreation und Implementierung von Regelungen zur Krisen- und Konfliktbewältigung im Rahmen der Familienstrategieentwicklung?


Diese Art der Findung passender Strategien zur Krisen- und Konfliktbewältigung folgt nicht nur der oben bereits erwähnten salutogenetischen Perspektive, sondern auch der Lösungsorientierung, wie sie von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg in den 1980er und 90er Jahren entwickelt wurde. Demnach werden wir beispielsweise hinsichtlich unserer Vergangenheit eingeladen, nicht Defizite, Schwierigkeiten und Probleme an sich zu erinnern, sondern die Art und Weise, wie wir diese bewältigen konnten, wie wir es geschafft haben, trotz der Herausforderungen unser Überleben zu sichern. Diese Perspektive kann grundsätzlich auch auf Organisationen bezogen werden, um zu entwickelnde und zu etablierende formale Prozesse, etwa der Krisen- und Konfliktbewältigung als Regeln der Verfassung der Unternehmerfamilie, von bereits praktizierten und am Ende erfolgreich gemeisterten Herausforderungen abzuleiten.