Zapchen-Gedanken zur Corona-Situation

In diesen Zeiten ...


Die grundlegende Unsicherheit, die Bedrohlichkeit und das Unwägbare der Pandemie-Situation betrifft uns alle. Ängstliche Menschen sind ängstlicher, depressive Menschen reagieren depressiver, traumatisierte Menschen sind leichter getriggert, in Bindung Verunsicherte verlieren leichter den Halt, impulsgesteuerte Menschen werden impulsiver.


Nach einem halben Jahr Corona-Situation sind das meine Beobachtungen in der psychotherapeutischen Praxis. Und nicht nur da. Unser aller Grundmuster im Umgang mit den Herausforderungen des Lebens sind deutlicher, sichtbarer und oft weniger regulierbar für uns selbst. Manche Menschen kommen in Corona-Zeiten in eine Situation, die besser zu Ihnen „passt“ – mehr Ruhe, mehr Rückzug, weniger sozialer Druck. Andere Menschen erleben aber größeren Druck und mehr Stress, bis hin zu existentiellen Ängsten, sie erleben zu viel Isolation oder Einsamkeit, zu viele spannungsgeladene Situationen, um gut mit ihnen umgehen zu können. Uneinigkeiten in der Einschätzung der Lage führen zu Konflikten in Freundschaften und Beziehungen.


Die Reaktionen darauf lassen sich auf verschiedenen Ebenen erklären und einordnen - z.B. politisch, soziologisch, systemisch oder psychodynamisch.


Ich wage hier einen Blick auf die Reaktionen im KörperSein (in uns als Körper-Geist-Einheit), mit der Betonung des Körpers, und versuche daraus Schlüsse zu ziehen, was uns (jedem und jeder Einzelnen) alltäglich Unterstützung geben kann.


Die Herausforderungen unseres Lebens beantworten wir alle lebenslang ganzheitlich mit Reaktionen in Körper und Geist. Bleiben die Herausforderungen in einem gewissen Spektrum, wird unser KörperSein herausgefordert, mit Flexibilität und mit seinen angeborenen Selbstregulationsmechanismen darauf zu reagieren. Wird das Spektrum der individuellen flexiblen Plastizität überschritten, entsteht ein „Lernen“ im KörperSein, das zunächst der Anpassung an die jeweiligen Umstände dient, zugleich aber die Reaktion festschreibt. Dies geschieht vor allem in den Phasen von Kindheit und Jugend, aber auch immer dann, wenn Erfahrungen überwältigend und unsteuerbar erlebt werden. Wenn ich z.B. erlebt habe, dass die Welt ein unsicherer Ort ist und ich mir selbst allen Halt geben muss, dann bedeutet das auf körperlicher Ebene, dass ich immer in Anspannung bleibe, wenngleich manchmal nur in subtiler, und mich nie dem Leben anvertraue.


Diese Reaktionsweisen spiegeln sich dann darin wider, wie unser Körper „funktioniert“, welche Information über eine Situation von uns aufgenommen wird, wie unser Körper mit der Information umgeht oder z.B. wie unser Gewebe sich verhält. Damit findet eine überdauernde Anpassung statt, mit der wir den wiederkehrenden Gefühlen von Frustration unserer Bedürfnisse durch eine Veränderung unserer eigenen körperlichen Funktionsweise begegnen. Wie alle Anpassungsmechanismen dient und schadet uns das zugleich. Erleben wir, dass gegenwärtige Situationen früheren Situationen ähneln, in denen wir die Anpassung gelernt haben, werden diese Reaktionsweisen verstärkt und bestimmen unser Seinsgefühl, ohne immer bewusst zu werden.


Hier einige Beispiele:


Wir reagieren auf die Wahrnehmung von Angst und Gefahr mit einem subtilen Rückzug unserer Präsenz von der Körperoberfläche weg ins Körperinnere. Flüssigkeiten ziehen sich zurück, unsere Energie verschwindet von der Körperoberfläche. Julie Henderson sagt: „Dahinter steckt die sinnvolle Idee, die Lebenssäfte außer Reichweite der Gefahrenquelle, der Tigerkralle, zu bewegen.“ (Henderson, „Das Buch vom Summen“, S.32). Mit diesem Rückzug werden aber gleichzeitig unsere Grenzen geschwächt und allgemein werden wir „schwächer“ in unserem Auftreten. Oder wir reagieren womöglich mit Aggression auf die wahrgenommene Gefahr und spannen uns in der gesamten motorischen Muskulatur an.


Wir reagieren auf die Wahrnehmung von Mangel, zunächst ebenfalls mit einem Rückzug nach innen und dann aber mit einem Festhalten von dem, was wir haben und zugleich einem Zusammenbruch unserer Fähigkeiten uns nach außen zu wenden für befriedigende Erlebnisse. Der Körper kann schließlich Fülle nicht mehr wahrnehmen, selbst wenn sie da ist. (Henderson, s.o., S.33)


Missachtung lässt uns wütend werden (ein Impuls des Körpers, sich sichtbar zu machen), wenn dies keine positiven Folgen hat im Sinne von Kontakterleben, kollabieren wir und ziehen uns aus dem Kontakt ins Körperinnere zurück. Ähnlich wie bei Reaktionen auf Angst und Gefahr ziehen wir energetische Präsenz und Flüssigkeiten von der Körperoberfläche weg, „drücken“ sie aber –zusammen mit der Energie der Wut – ins Körperinnere. Die Körperoberfläche ist dabei weich und die Grenzen sind wenig fühlbar, das Körperinnere wird eher starr und unflexibel.


Schon an diesen kleinen Beispielen lässt sich erahnen, wie leicht die momentane Lebenssituation in Corona-Zeiten gelernte Reaktionsmuster hervorrufen und verstärken kann.


Der Mangel an körperlichem Kontakt, existentielle Ängste und Unsicherheiten, Begegnungen mit Spannungen, die auch als Missachtung erlebt werden (für manche Menschen können selbst maskentragende Gegenüber Trigger für die Erfahrung von Missachtung sein), die Erfahrung, dass gewohnte soziale Netzwerke nicht funktionieren oder sogar auseinanderfallen – all das sind tägliche Erlebnisse, die oft nicht einmal ganz bewusst wahrgenommen werden. Dazu kommen Stresserfahrungen, weil gewohnte und Sicherheit gebende Routinen nicht funktionieren und natürlich all die Begegnungen mit Menschen, die auch gestresst sind und auf die unser Körper-Geist intuitiv reagiert.


Wenn wir anerkennen können, dass die Situation uns herausfordert und nicht so tun müssen, als wären wir immun dagegen, können wir beginnen, immer und immer wieder kleine Übungen zur Beruhigung, zur Wahrnehmung von Sicherheit, zur Stressregulation, zur Wahrnehmung von Fülle zu machen. All das bietet Zapchen!


Damit geben wir unserem KörperSein die Möglichkeit, wieder andere Reaktionsweisen zu erkunden und aus der Unflexibilität herauszufinden. Schon wenn wir beginnen uns zu bewegen und bewusst einen Ausdruck finden für unsere innere Verfassung, können wir aus der ersten Ebene des Festhaltens herauskommen. Kleine Übungen für die Wahrnehmung von Sicherheit und „Boden unter den Füßen“ bestärken uns. Das „Jiggeln“ und „in den Körper Summen“ unterstützen u.a. den Flüssigkeitsdurchlauf. So laden wir unser KörperSein ein, aus den “angetriggerten“ alten Reaktionsweisen wieder herauszufinden.


Glücklicherweise wohnt unserem KörperSein eine Begeisterung für Wohlgefühl, für Ganzheit und Präsenz inne. Auf kleine Einladungen dazu und Hinweise, wie das möglich ist, gibt es eine deutliche Reaktion in uns.


Selbstfürsorge in diesen Zeiten bedeutet beständige Hinwendung zu uns in unserem KörperSein. Und es muss nicht extra betont werden, dass unsere jeweilige „Verfassung“ große Auswirkungen auf die nächsten Begegnungssituationen haben wird.


Sie finden viele Anregungen für kleine Übungen in den „Übungen der Woche“ im Magazin des Carl-Auer-Verlags und im Buch von Cornelia Hammer „Im Körper zu Hause sein“, erschienen 2019 im Carl-Auer-Verlag. Die Zitate von Julie Henderson stammen aus „Dem Buch vom Summen“, 2007 im AJZ-Verlag erschienen.