Mein erfundenes Leben


Vor kurzem bekam ich ein schönes kleines Buch geschenkt. Es trägt den Titel «Mein erfundenes Leben» und wurde von Katalin Hepp, einer 24-jährigen Frau geschrieben. Systemisch (aus)gebildete Menschen werden womöglich an den ähnlich klingenden Titel der von Paul Watzlawick 1981 herausgegebenen Aufsatzsammlung «Die erfundene Wirklichkeit» denken und vielleicht konstruktivistisch-biografische Reflexionen erwarten. Das ist gar nicht so daneben, obgleich die Autorin sicherlich nichts in diese Richtung geplant hatte. «Vielleicht sollte ich auch ein Buch schreiben? Ein Buch über mein Leben? Das kann doch heilsam sein für mich, mal alles Wichtige aufschreiben?», fragte sie mich bei einer Gelegenheit und hatte eigentlich schon entschieden, dieses Projekt (therapeutischen Schreibens?) anzugehen.
Ich kenne Kati seit fast 20 Jahren, sie ist ein bemerkenswerter, eigensinniger, liebevoller, willensstarker und lebensmutiger Mensch. Dieser besonderen Mischung ist es wohl auch zu verdanken, dass sie ab dem Frühjahr 2021 neun Monate lang konsequent an ihrem Buch gearbeitet hat, ehe es im Januar 2022 tatsächlich erscheinen konnte. Das Werk wird wohl nie in den öffentlichen Handel kommen. Ebenso wird es - ausser hier – wohl kaum zitiert werden und schon gar nicht rezipiert. Dennoch scheint es mir wert, dieses Buch hier vorzustellen. Nicht weil ich einer jungen Frau mit einer seltenen, genetisch bedingten Behinderung einen Gefallen tun will, sondern weil es ein lesenswertes Buch ist, über das es sich zu sprechen lohnt. Eine Rezension also:


Das vorliegende Buch «Mein erfundenes Leben» von Katalin Hepp wurde im Eigenverlag herausgegeben. Es war der Autorin ein Anliegen, dass es nicht lektoriert wird. So schreibt sie am Buchrücken:



In dieser autobiografischen Textsammlung lässt uns die Ich-Erzählerin auf 47 Seiten, mit 24 Abbildungen, in 44 Kurzkapiteln und fünf grösseren Abschnitten an ihrem Schicksal, Denken und Fühlen einprägsam authentisch teilhaben.
Es beginnt mit knappen - doch von Anekdoten angereicherten – Blitzlichtern, in denen uns die Autorin auf wenigen Seiten Einblick in ihr bisheriges Leben gewährt. Sie erzählt von ihrer verfrühten Kaiserschnittgeburt in Wien, ihrer Namensgeschichte, den ersten beiden Lebensjahren, die sie mehrheitlich in Krankenhäusern verbracht hat, dem Umzug nach Bayern, wo sie den Kindergarten und Schule besuchen konnte und nun auch ihrer Arbeit nachgeht. Als Leserinnen nehmen wir an einem gelungenen und kraftvollen Leben teil und doch ist es, als ob die Schicksalsjahre, die, wie wir anfangs erfahren, für Katalin Hepp im zarten Alter von 20 Tagen begonnen haben, sich atmosphärisch wie ein roter Faden durch diesen Buchteil ziehen.


Mit folgendem Satz leitet uns Katalin Hepp zum nächsten grossen Abschnitt: «Nun jezt habe ich schon genug über mich geschrieben nun kommen meine Lebensbegleiter und seelenverwandte und Freunde voralem auch famielie.» (S. 14) In Folge werden uns all jene Menschen vorgestellt, die für die Autorin wesentlich waren und sind, allen voran ihre Mama, ihr (verstorbener) Papa, ihre Omas, (Opas kannte sie nicht), Tanten und Firmpatinnen. Sie stellt den Leser:innen mit Wertschätzung und immer auch im Bewusstsein ihrer wechselseitigen Verwiesenheit ihre nahe menschliche Mitwelt vor. In diesen Kreis von «Sicherheit» eingebettet, konfrontiert die Autorin auf Seite 27 sich selbst und die Leserinnen mit erinnerbaren schmerzhaften Ereignissen.
Da ist der Tod ihres so sehr geliebten, wenngleich meist fernen Vaters. Der Tod ihrer wichtigen Taufpatin und ein Nachruf auf einen zu früh verstorbenen Halbbruder. Auf diesen wenigen Seiten macht Hepp ihre Verbundenheit mit den Verstorbenen deutlich und ihren Zugang zu ihrer Wahrnehmung seelischer Räume.


Aus diesem Ahnenfeld bewegt sich die Autorin mit dem nächsten Abschnitt entschieden hinaus. Sie wendet sich der Erde zu und den Helfern und Mitbewohner:innen, ihren Freunden, zweiten Papas, Hunden und Pferden, Nachbarn, Seelenfreunden, spirituellen Liedern und den Ländern, die sie liebt: Ich bin dankbar, ich freue mich sehr, ich bin sehr froh klingt durch all jene Begegnungen durch. Sie führt uns schlicht, aber bestimmt in eine Haltung der Dankbarkeit.
Erst nach all dem lässt uns Katalin Hepp an ihrem besonderen Schicksal teilhaben, ehe sie mit einem Nachwort des Dankes noch einmal auf die vielen helfenden Kräfte und besonders ihre Mama verweist.

Das Buch spannt einen gelungenen autobiografischen Bogen - eine pendelnde Choreografie zwischen Begrenzungen und Ressourcen, stets angebunden an etwas, das man tiefes Vertrauen und Lebensliebe nennen könnten. Ich wünsche der jungen Frau, dass sich ihr Leben reich und weise weiterspinnen (erfinden;-)) kann und dem Buch einen schönen Lauf mit der Welt.


Abschliessend möchte ich sie selbst zu Wort kommen lassen:
«Ich habe die diagnose kabukisyndrom das wurde im jahr 1999 festgestellt und dadurch gehört auch meine Taubheit dazu habe ich durch meine behinderung eine sehr besondere seele und spüre es genau wenn es jemand nicht gut gehts oder wenn jemand traurig ist aber manchmal ärgere ich mich auch darüber dass ich leider nicht so bin wie die anderen Menschen die wo gesund sind aber es hat keinen sinn sich darüber zu ärgern weil wir alle zusamen gehören ob gesunde menschen oder kranke sonst währe es ja viel zu langweilig und somit kann sich ein bunter lebenskreis schliessen. «
Katalin Hepp, Mein erfundenes Leben, Berlin, 2022, S. 43


 


Astrid Habiba Kreszmeier
Astrid Habiba Kreszmeier

ist gerne Gastgeberin, auch hier in der Rubrik Wildes Weben. Sonst Begleiterin und Lehrtherapeutin in Systemischer Naturtherapie, Tiefenmythologie und Aufstellungsarbeit. Autorin, Gärtnerin und Aktivistin für Sympoietisches.
Wirkt und schreibt in nature&healing und seinem Journal für Erd- und Menschenverstand.