Eine andere Gesellschaft ist (un-)möglich

Eine andere Gesellschaft ist (un-)möglich


von Heiko Kleve


 


Ich möchte auf eine Eingangsfrage unseres Blogs zurückkommen: Bieten sich durch das Abbremsen, Anhalten und allmähliche wieder Anfahren der sozialen Welt neue, gar ungeahnte Möglichkeiten der Gesellschaftsveränderung?


Fritz Simon hofft auf eine passendere Balance zwischen staatlicher Politik bzw. demokratischer Entscheidungsfindung und der marktwirtschaftlichen Finanzierungslogik gesellschaftlicher Aufgaben. Die Marktlogik soll nur dort greifen, wo sie geeignet ist, die jeweiligen Aufgaben in gewünschte Bahnen zu lenken. Politische bzw. demokratische Gestaltungsformen müssten deshalb in jenen Systemen dominieren, in welchen es nicht um das profitable Geldverdienen bzw. um Gewinnmaximierung gehen dürfte, sondern etwa um die Prävention und die Heilung von Krankheiten, um nur das Gesundheitssystem als ein Beispiel aufzuführen.


Außerdem diskutierten wir über die Grenzen und Begrenzungen des wirtschaftlichen Wachstums. Eine nachhaltigere Gesellschaft scheint plötzlich am Horizont des Möglichen auf. Die Durchführung und weitgehende Akzeptanz des Lockdown zeigte, dass die Politik und die Mehrheit der Bevölkerung bereit und in der Lage sind, die wirtschaftliche Dynamik höheren Zielen als der ökonomischen Freiheit unterzuordnen, insbesondere dem Gesundheitsschutz und der Sicherstellung der Gesundheitsversorgung von Covid-19-Patienten. Der massive Eingriff in die Gesellschaft scheint somit realistisch. Warum sollte also ähnliches nicht wiederholt werden, wenn es um andere prioritär gesetzte Ziele geht? Der Klimaschutz wurde in diesem Zusammenhang bereits mehrfach erwähnt.


Steffen Roth äußerte allerdings große Zweifel, weil möglicherweise bereits die Beschreibungen und Erklärungen, die diesen Veränderungs- und Steuerungsansinnen zugrunde liegen, zu wenig komplex sind. Diese gehen womöglich von unpassenden oder zu einfachen Differenzierungen aus, etwa von der Gleichsetzung des Umwelt- und Naturbegriffs. Außerdem sei mit Blick auf die Geschichte der funktional differenzierten Gesellschaft keineswegs sichtbar, dass das Wirtschaftssystem die Dominanz im Reigen der Funktionssysteme innehabe, sondern traditionsgemäß die Politik.


An zahlreichen Beispielen der politischen Gesellschaftsgestaltung des 20. Jahrhunderts haben wir gesehen, welche nicht intendierten Folgen ausgesprochen gut gemeinte sowie zielgerichtete und planvolle Veränderungsbestrebungen hatten. So war etwa die sozialistische Bewegung mit dem Ziel angetreten, die Menschen aus ihren kapitalistischen Entfremdungen und Abhängigkeiten zu befreien. Ausgehend von der sozialistischen Oktoberrevolution in Russland von 1917, die die Sowjetunion hervorbrachte, konnten wir nach dem 2. Weltkrieg bis Ende der 1980er Jahre eine Reihe von so genannten real-sozialistischen Ländern beobachten, die alles andere erreichten als die Befreiung der Menschen. Die in den bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhundert erkämpften Rechte wurden extrem begrenzt oder gänzlich aufgehoben. In China, Nordkorea und Kuba sind Rudimente dieser sozialistischen Gesellschaftspolitik weiterhin Realität.


Mit der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns im Rücken sind wir hinsichtlich der Möglichkeiten aktiver Gesellschaftsgestaltung tendenziell zurückhaltend. Wir können vielleicht, wie Fritz Simon dies getan hat und damit (sicherlich ungewollt) an die Kritische Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno erinnert, sagen, was wir nicht wollen, angeben, wo wir nicht mehr mitspielen werden. Aber positive Gestaltungsvisionen erscheinen problematisch. Luhmann selbst war diesbezüglich noch vorsichtiger: Er war nicht einmal kritisch, hat also nicht sagen wollen, was er problematisch findet und schon gar nicht, was er gesellschaftspolitisch für erstrebenswert hielt. Das Beschreiben und Erklären sozialer Dynamiken war sein einziges Theorieziel. Aktionalen Fragen, was mithin zu tun sei, wich er aus – wenngleich mit seinem Konzept der Theorie funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung die normative Hoffnung einhergehen könnte, dass in einer solchen gesellschaftlichen Struktur faschistische oder kommunistische Entwicklungen kaum Chancen haben, weil die differenten Sozialsysteme nicht von einem politischen Supersystem umfasst sind, keine Spitze und kein Zentrum die gesamte Sozialwelt aus den Angeln heben könnten.


Trotz Luhmanns Zurückhaltung hinsichtlich sozialer Interventionsstrategien gibt es vereinzelte Verlautbarungen von ihm, die vermuten lassen, dass er dem klassisch liberalen Laisse-faire-Prinzip anhing. So stolperte ich auf Facebook über einen dort geposteten Brief, den Luhmann am 30.10.1989 Jan-Pol Martin von der Universität Eichstätt schrieb. Martin wollte von ihm wissen, wie er in einem vor der „Explosion“, d.h. vor einem extremen Ansturm von Studierenden stehenden Projekt reagieren sollte. Luhmann antwortete: „[…] für Ihr Problem weiß ich keinen Rat. Am besten warten Sie vielleicht einfach ab, um wenigstens erleben zu können, wenn es explodiert. Oder anders gesagt: bei hoher Komplexität stellen sich ja im allgemeinen wie von selbst Selektionsmuster ein“



Luhmann verweist also auf Selbstorganisation, auf spontane Ordnungsbildung im Kontext komplexer Zusammenhänge. Eine ähnliche Laissez-faire-Haltung soll ein anderer Systemtheoretiker spätestens zum Ende seines Lebens gezeigt haben, und zwar Gregory Bateson. Dieser lehnte offenbar jedwede medizinische Intervention ab, verweigerte etwa den Gang zum Zahnarzt. Der Soziologe und Philosoph Dietmar Kamper pointiert eine solche Haltung, wenn er in Abwandlung der bekannten 11. Feuerbachthese von Karl Marx postuliert: „Die Philosophen, d.h. die Sinnkonstrukteure und Weltbildagenten haben die Welt nur verschieden verändert. Es kommt darauf an, sie zu schonen“ (Ders., Ästhetik der Abwesenheit. Die Entfernung der Körper, München 1999, S. 29).


Ich bin gespannt, welche Selektionsmuster durch den Anschluss oder Nicht-Anschluss der beiden Diskutanten an meine heutige Eröffnung entstehen.


 


 


Lauter kleine Staatskopien?


von Steffen Roth


 


Heiko Kleve zufolge hofft Fritz Simon «auf eine passendere Balance zwischen staatlicher Politik bzw. demokratischer Entscheidungsfindung und der marktwirtschaftlichen Finanzierungslogik gesellschaftlicher Aufgaben. Die Marktlogik soll nur dort greifen, wo sie geeignet ist, die jeweiligen Aufgaben in gewünschte Bahnen zu lenken.» Auch ich habe Fritz Simon in etwa so verstanden, und mit dieser Hoffnung, den Markt zu bändigen und sein Wirken in gewünschte Bahnen zu lenken, steht er beileibe nicht allein.


Nun halte ich diesen ebenso populären wie emotionsgeladenen Gedanken allerdings in der Tat für problematisch. Der Theorie sozialer Systeme zufolge ist der Markt kein System, sondern eine Umwelt, bei Niklas Luhmann konkret die Umwelt von wirtschaftlichen Entscheidungssystemen oder schlicht ein Horizont von wirtschaftlichen Alternativen. Zwar lässt sich der Horizont wirtschaftlicher Alternativen durch politische Entscheidungen einschränken. Politische Entscheidungen verweisen allerdings ihrerseits auf einen Horizont von politischen Alternativen, der seinerseits von wirtschaftlichen Entscheidungen eingeschränkt werden kann, und gleiches gilt für alle Funktionssysteme.


Insofern spiele ich seit meiner 2010 tatsächlich im Carl Auer Verlag erschienenen ersten Doktorarbeit immer wieder mit dem Gedanken, dass es sich beim Markt um die Umwelt nicht nur «der Wirtschaft» sondern aller Entscheidungssysteme handelt. Nun kann man im Folgenden entweder einen transökonomischen Marktbegriff auf die Entscheidungshorizonte aller Funktionssysteme ausweiten oder den Markt weiterhin ganz sprachkonventionell für wirtschaftliche Entscheidungshorizonte reservieren (wobei man im zweiten Fall für die Entscheidungshorizonte der anderen Funktionssysteme andere Begriffe verwenden und dem wirtschaftlichen Markt dann etwa die politische Arena gegenüberstellen muss. Auch bräuchte es dann vielleicht noch einen Begriff für die Sphäre, in der sich Markt, Arena und andere Umwelten von Organisationen wechselseitig beeinflussen).


Unterm Strich steht in beiden Fällen aber die Einsicht, dass politische und andere Entscheidungen den Horizont wirtschaftlicher Alternativen ebenso beeinflussen wie wirtschaftliche Entscheidungen den Horizont politischer und anderer Alternativen. Wenn man vor diesem Hintergrund nun fordert, dass die wirtschaftliche Marktlogik nur dort greifen soll, «wo sie geeignet ist, die jeweiligen Aufgaben in gewünschte Bahnen zu lenken», und nicht auch dort, wo sie es frecher Weise sonst noch tut, dann hat man wenig mehr als einen frommen Wunsch getan. Auch stellt sich gleich die Frage, wessen Wunsch hier das Mass der Frömmigkeit sein soll.


Wenn wir uns auf die Frage eine Antwort erhoffen, indem wir das wirtschaftliche Markttreiben aus der Perspektive eines Staates betrachten, der das Gewaltmonopol über ein bestimmtes Territorium in der Regel mehr behauptet als tatsächlich innehat (Stichworte: Kriminalität, Bürgerwehren, private Sicherheitsfirmen, etc.), dann haben wir es in der Regel mit zwei verschiedenen Begriffen von Märkten zu tun.


Zum einen ist da ein Markt, der so beobachtet wird, als stimmten seine Grenzen mit den Staatsgrenzen überein. Von diesem dann ebenso gerne wie fälschlicher Weise als System gedachten Binnenmarkt wird erwartet, dass er so organisiert ist, dass er dem Gemeinwohl dient, wobei sich wirtschaftliche Gemeinwohlorientierung aus Staatsperspektive vornehmlich in Steuereinnahmen bemisst, die man dann in Sold für Soldaten und Beamte sowie in eine ganze Reihe weiterer Anreiz-, Beruhigungs- oder auch mal Begrüssungsgelder ummünzen kann.


Zum anderen ist da noch der internationale oder Weltmarkt, der nicht nur nie so will, wie man wohl will, sondern auf dem der Staat seine Grenzen und sich selbst als Alternative erlebt, da Waren, Kapital und Arbeit attraktive Standorte bevorzugen, und ein abgeschotteter Standort in der Regel kein attraktiver ist. In diesem Sinne erinnert uns der internationale ungleich deutlicher als der Binnenmarkt daran, dass Märkte mit den Worten Max Webers immer Formen der «Vergesellschaftung mit Ungenossen» sind. Damit entpuppt sich der Wunsch vom eingegrenzten, eingebetteten oder anderweitig politisch korrekten Weltmarkt als intellektuell hoffnungslos und nicht einmal mehr als fromm, sondern einfach nur als gruppenegoistisch. Wie könnte und warum sollte der Weltmarkt unseren Gemeinwohlvorstellungen entsprechen, und nicht auch denen der anderen Marktteilnehmer?


Aus all dem würde eigentlich folgen, dass sich auch der Staat als ausgesprochen mächtige Organisation als eine Alternative unter vielen beobachtet. Tatsächlich ist aktuell aber eher das Gegenteil der Fall. Statt strategisch mit Multifunktionalität zu arbeiten träumt sich der Staat per Gesetz, Verordnung oder Zukunftsprogramm eine Welt herbei, in der sich alle Organisationen in kleine Kopien seiner selbst verwandeln. Nichts anderes würde passieren, wenn all die vordergründig propagierten Corporate Social Responsiblity-Massnahmen und andere Initiativen zur betrieblichen Gemeinwohlorientierung 1:1 umgesetzt und somit tatsächlich auch hintergründig wirksam werden würden.


Insofern schützt uns nicht zuletzt ein moralisch angeblich fragwürdiges Konzept wie Heuchelei gerade vor einer Situation, in der sich die Staaten der Welt die Organisationen der Welt in selbstverständlich ohnmächtige Staatskopien zurechtstutzen: Denn auf die Idee, dass es in einer Welt voller politisch korrekter Staatskopien kein Gewaltmonopol mehr bräuchte, darf man als Staat selbstverständlich nicht kommen.


Vor diesem Hintergrund wird einmal mehr deutlich: Eine andere Gesellschaft wird möglich, wenn sich auch und gerade die mächtigsten Organisationen der Welt konsequent als Alternativen begreifen, indem sich Staaten also ohne Wenn und Aber als Teil des Weltmarktes betrachten, statt sich weiterhin im hoffnungslosen Versuch, das Marktspiel gruppenegoistisch zu begrenzen, immer tiefer in jene Wettbewerbsmechanismen zu verstricken, die sie angeblich beherrschen wollen.


 


 


Das Gebet der AS


von Fritz B. Simon


Ist „Laissez-faire“ die Konsequenz, wenn man mit einem systemtheoretischen Blick auf die (Welt-)Gesellschaft und ihren Zustand schaut? Meine Antwort lautet: Nein.


Die von Heiko Kleve angeführten Beispiele aus der Geschichte belegen, dass wohlgemeinte politische Interventionen und Strategien zu manchmal katastrophalen Folgen geführt haben (die Liste ließe sich um etliche andere Beispiele erweitern). Paul Watzlawick und seine Kollegen aus Palo Alto haben dieses Handlungsmuster bzw. die zugrundeliegenden Motivationen und Denkmuster als „Utopie-Syndrom“ bezeichnet, d.h. gut gemeintes Handeln hat paradoxerweise schlechte Folgen.


Doch die Tatsache, dass soziale Systeme im Allgemeinen ihre jeweils aktuelle Struktur selbstorganisiert bilden und man sie nicht auf ein ideales Ziel hin formen kann, bedeutet nicht, dass es beliebig ist, was man tut. Dies wäre m.E. ein epistemologischer Irrtum, der auch durch den Verweis auf Bateson nicht geheilt wird. Ja, es ist wohl wahr – wie von Zeitzeugen (z.B. Helm Stierlin) berichtet wird –, dass Gregory Bateson nicht zum Zahnarzt ging (George Spencer-Brown – um hier etwas Klatsch unterzubringen – auch nicht; seine Zähne waren solche Ruinen, dass jeder ihm gegenüber auch ohne jede staatliche Anordnung aus olfaktorischen Gründen die Distanz von 2 Metern einhielt; befragt, warum er nicht zum Zahnarzt gehe, antwortete er mir: „Die sind so moralistisch!“ – womit hoffentlich der Bogen zu unserer Moraldiskussion geschlagen ist). Dass Niklas Luhmann keinen Rat für Herrn Martin hatte, ist nicht verwunderlich. Schließlich war er Soziologe, und Soziologen sind in ihrer Kompetenz als Berater genauso „hoch“ einzuschätzen, wie Physiologen und Anatomen oder Pathologen, die versuchen als Ärzte im Notarztwagen Unfallopfer am Leben zu halten.


Wenn aus der Systemtheorie, wie Heiko Kleve andeutet, irgendeine normative Erwartung oder Hoffnung abgeleitet wird, scheint mir das abwegig und eher zu einer anderen Theoriearchitektur zu gehören, die mit der Idee des „Fortschritts der Geschichte“ spielt.


All das heißt keinesfalls, dass die Systemtheorie für die Praxis untauglich wäre, ganz im Gegenteil. Systemische Beratung und systemisches Management orientieren sich in ihren Interventionen und Entscheidungen zwar an der Systemtheorie, aber ihre Ziele unterscheiden sich radikal von denen der Soziologen, die Gesellschaft erklären wollen; ein Unterschied wie der zwischen dem unbeteiligten Fernsehkommentator auf der Tribüne und dem Fußballspieler auf dem Feld, wie zwischen Ameisenforscher und Ameise.


Um es noch einmal zu betonen: Auch zur Etablierung einer Diktatur oder zu deren Erhaltung lassen sich Systemtheorie und Konstruktivismus nutzen (siehe „Anleitung zum Populismus“) – oder auch zu deren Abwehr.


Was ist die Konsequenz für uns „Ameisen“, die ihr tägliches Handeln an der Systemtheorie orientieren wollen und mit der Tatsache umgehen müssen, dass wir uns an paradox organisierten Systemen beteiligen, wo der Gegensatz von „gut“ nur oft genug „gut gemeint“ ist? Wir haben keine Kontrolle über die sozialen Systeme, deren Mitglieder wir sind: weder über die Paarbeziehung, die Familie, die Gemeinde, eine Organisation, den Markt, einen Staat usw., oder gar die Weltgesellschaft. Aber dennoch ist es nicht beliebig, was wir tun, auch wenn wir dessen Konsequenzen nicht berechnen können. Um das Beispiel von Batesons (und Spencer-Browns) Zahnarzt aufzunehmen: Wenn ein Zahnarzt uns das perfekte Gebiss, blendend weiße Zähne, das verführerischste Lächeln der Welt o. Ä. verspricht (und zu diesem Zweck versucht, irgendwelche Geräte in unserer Mundhöhle zu installieren, um die Backenzähne zu Schneidezähne zu machen), dann sollten wir einen großen Bogen um ihn machen. Aber, wenn wir Zahnschmerzen haben, dann kann der Besuch bei ihm durchaus hilfreich sein.


Wir haben keine Kontrolle über die Welt, und daher sind alle orthopädischen gesellschaftlichen Utopien riskant. Es geht nicht darum ein neues Gesellschaftsmodell am Reißbrett zu entwickeln, denn die Selektion gesellschaftlicher Strukturen folgt einer evolutionären Logik. Auch wenn ich mich wiederhole: Statt Visionen einer idealen Gesellschaft zu folgen, sollten wir uns darüber auseinandersetzen, wie die (Welt-) Gesellschaft nicht aussehen sollte. Wir können – mag sein, dass die Frankfurter Schule da teilweise ein antizipatorisches Plagiat systemtheoretischer Konzepte produziert hat – nein zum Status quo sagen (oder besser noch: zu bestimmten seiner Aspekte). Denn, wenn wir das nicht tun, sagen wir de facto ja zu ihm, und wir – jeder von uns – haben nun einmal, wie Humberto Maturana in der ihm eigenen Radikalität zu formulieren beliebt, die Verantwortung für die ganze Welt (was natürlich insofern blöd ist, weil wir sie nicht – keiner allein und auch nicht alle gemeinsam – unter Kontrolle haben).


Mein Rat ist daher, das folgende Gebet meiner Selbsthilfegruppe der AS („Anonyme Systemiker“®) zu befolgen:


Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.


Dieses Gebet ist aus systemtheoretischer Sicht sogar dann passend, wenn man nicht an Gott glaubt oder nur sich selbst anbetet ...


 


 


Autoren


 


Heiko Kleve, Univ.-Prof., Dr. phil.; Sozialpädagoge und Soziologe sowie Systemischer Berater (DGSF), Supervisor/Coach (DGSv), Systemischer und Lehrender Supervisor (SG), Case-Manager (DGCC) und Konflikt-Mediator (ASFH); Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Organisation und Entwicklung von Unternehmerfamilien am WIFU – Wittener Institut für Familienunternehmen, Wirtschaftsfakultät, Universität Witten/Herdecke. Autor zahlreicher Bücher und einschlägiger Fachbeiträge zur systemisch-konstruktivistischen, systemtheoretischen und post- modernen Theorie und Praxis in den Sozialwissenschaften u. a.: Lexikon des systemischen Arbeitens (2012, zus. mit Jan V. Wirth) Die Ermöglichungsprofession. 69 Leuchtfeuer systemischen Arbeitens (2019, zus. mit Jan V. Wirth), Komplexität gestalten. Soziale Arbeit und Case-Management mit unsicheren Systemen (2016).


Steffen Roth, Prof. Dr. ist Full Professor für Management an der La Rochelle Business School, Frankreich, und Adjunct Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Turku, Finnland. Seine Arbeiten wurden in Zeitschriften wie Technological Forecasting and Social Change, Journal of Business Ethics, Administration and Society, Journal of Organizational Change Management, European Management Journal, Journal of Cleaner Production oder Futures publiziert.


Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon, Weber and Friends, Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 32 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie (2009), Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2018) und Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht! (2019).