Die Unausweichlichkeit der Kommunikation – oder: Wissen, Handeln und Verhalten in der Unternehmerfamilie

Der siebte Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung


Dass wir nicht nicht kommunizieren können, hat sich mit Paul Watzlawick herumgesprochen.[1] Denn alles Verhalten von Personen, ob es nun von diesen als Kommunikation gemeint ist oder auch nicht, kann von den Beobachtern dieses Verhaltens, also von anderen Personen als Kommunikation, mithin als Mitteilung von Informationen verstanden werden. Mit Niklas Luhmann kennzeichnet genau diese Dreiheit, nämlich die Auswahl eines Mitteilungsverhaltens, die Auswahl einer Information und die Auswahl eines Verstehens das Spezifische der Kommunikation.[2] Sobald wir zwischen Mitteilungsverhalten und mitgeteilter Information unterscheiden, beginnt der Verstehensprozess, wir fangen also an zu interpretieren, was eine Person gemeint hat, welche Information sie also mit ihrer Mitteilung transportieren möchte.


Und das ist freilich in Unternehmerfamilien genauso wie in allen anderen Familien auch. Die Herausforderung in diesen Familien ist allerdings, dass die Kommunikation hier nicht nur als privat-familiär eingeordnet werden kann, sondern dass die Beteiligten immer mitreflektieren sollten, welcher Kontext gerade adressiert wird: Geht es um eine private Kommunikation? Oder ist das, was gerade gesagt wurde, vor dem Hintergrund der Eigentümerrolle zu verstehen? Ist es vielleicht auch als unternehmensbezogene Kommunikation gemeint?


Die Unternehmerfamilie als besonderes soziales System ist bestenfalls der Kontext, in dem die diesbezügliche Sortierung korrigiert werden kann, wenn sich entsprechende Probleme, etwa so genannte „schräge Anschlüsse“[3]einstellen, wie solche Schwierigkeiten von Arist von Schlippe genannt werden.


Um dies an einem Beispiel zu erläutern, möchte ich eine Familie anführen, die sich gerade in der ersten klärenden Sitzung eines Familienstrategieprozesses befindet:


Der aus dem Unternehmen ausscheidende Vater und die ebenfalls dort mitarbeitende Mutter sind mit ihren fünf erwachsenen Kindern versammelt. Die älteste Tochter, das zweitälteste Kind des Paares, ist mit 29 Jahren auf dem Weg in die Nachfolge des Vaters. Es ist entschieden, dass sie die Geschäftsführung übernehmen wird. Das drittälteste Kind, ein Sohn des Paares (27 Jahre alt), möchte nach dem Ende seines Masterstudiums und einigen Jahren Auslandserfahrung in anderen Unternehmen ebenfalls in das Familienunternehmen einsteigen. Die drei übrigen Geschwister haben andere berufliche Entwicklungen eingeschlagen und können sich derzeit nicht vorstellen, in das Familienunternehmen einzutreten.


Das Unternehmerpaar hat den Familienstrategieprozess begonnen, weil es mit seinen erwachsenen Kindern überlegen möchte, ob alle Geschwister – und nicht lediglich die Nachfolgerin im operativen Geschäft sowie der eventuell noch eintretende Sohn – Gesellschafteranteile bekommen sollen. Denn das Unternehmen ist den letzten Jahren, etwa hinsichtlich des Umsatzes und der Mitarbeiterzahl, enorm gewachsen. Es handelt sich um ein expandierendes und sehr erfolgreiches mittelständisches Unternehmen. So würde es für die Eltern Sinn machen, dass sie ihre Unternehmensanteile egalitär an alle ihre erwachsenen Kinder weitergeben, weil sich die fünf Geschwister so die gewachsene Verantwortung professionell teilen könnten, einige als operativ Tätige und einige als aktive Eigentümer/innen.


 Als sie dieses Thema jedoch ansprachen, reagierte die bereits operativ tätige Tochter irritiert. Sie äußerte, dass sie ja in die Verantwortung gehe, die derzeit noch der Vater innehat und dass sich dies auch in ihrer Entscheidungsmacht sowie finanziell widerspiegeln müsse. Sie könne noch nicht sehen, wie dies gelingen kann, wenn auch ihre Geschwister als Gesellschafter/innen mitreden würden, die vielleicht niemals im oder für das Unternehmen arbeiten werden. Die Tochter sprach diese Bedenken sehr bestimmt, klar und sachlich aus. Darauf reagierte ihr Bruder sehr irritiert und äußerte, dass er seine Schwester nicht wiederkenne, dass er sehr verärgert und traurig sei, wie sie und was sie da rede.


Wir könnten jetzt positiv hervorheben, dass in dieser Familie offenbar sehr klar kommuniziert wird. Die Tochter äußert deutlich ihre Position, und ihr Bruder reagiert darauf, und zwar in einer Weise, in der er seine emotionale Befindlichkeit schildert, diese also der weiteren Kommunikation zur Verfügung stellt. Jedoch reichte diese vermeintlich offene Kommunikation nicht aus, um hier eine Klärung herbeizuführen. Denn die Tochter reagierte so, dass sie deutlich machte, dass ihr Bruder offenbar nicht verstehe, worum es hier gehe, nämlich um Verantwortung für das Unternehmen, um Entscheidungsmöglichkeiten und Anerkennung der Person, die diesbezüglich operativ tätig ist. Daraufhin sagte der Bruder, dass er seine Schwester nicht wiedererkenne, die offenbar die Familienbeziehungen grundsätzlich infrage stelle.


Was war hier geschehen? Wie lässt sich dieser Konflikt verstehen und bestenfalls klären? Wenn wir uns die drei miteinander verbundenen Kontexte Familie, Unternehmen und Gesellschafterkreis vergegenwärtigen, dann können wir uns fragen, ob dieser Konflikt eventuell daher rührt, dass Schwester und Bruder aus unterschiedlichen Kontextpositionen heraus sprechen, die sich als „schräge Anschlüsse“ nicht „verstehen“ können: Die Schwester redet aus der Position der Nachfolgerin bzw. der jungen Unternehmerin und ihr Bruder spricht als Familienmitglied.


Als ich während des Familienstrategieprozesses diese Hypothese in den Raum stellte und anhand des Dreikreismodells veranschaulichte, wie dies erklärbar ist, entspannte sich die Situation: Schwester und Bruder nahmen sich in den Arm, versicherten sich damit ihrer geschwisterlichen Zuneigung und konnten danach in neuer Weise auch die Fragen um die Eigentumsnachfolge und die operative Unternehmensverantwortung besprechen.


Dieses Beispiel verdeutlicht, wie voraussetzungsreich konstruktive Kommunikation in Unternehmerfamilien sein kann und dass gerade ein Familienstrategieprozess Anlass dazu bietet, dass sich die Unternehmerfamilie als lernendes System entwickelt.[4] Das heißt, dass die Mitglieder der Unternehmerfamilie gewahr werden, wie komplex ihre kommunikativen Prozesse sind und dass sie ausgeprägte Reflexionskompetenzen benötigen, um diese Prozesse in konstruktiver Weise zu gestalten. Diesbezüglich können auch „goldene Regeln der Kommunikation“ helfen, die sich die Unternehmerfamilie selbst gibt. Allerdings müssen diese der Spezifik einer Unternehmerfamilie gerecht werden, also insbesondere der dreidimensionalen Kontextstruktur aus Familie, Unternehmen und Eigentümerschaft Rechnung tragen.


Zur Gestaltung der Kommunikation gehört freilich auch die Einführung von Regeln, wie die Informationsweitergabe hinsichtlich relevanter Eigentums- und Unternehmensfragen realisiert wird: Wer soll in welchen zeitlichen Abständen welche Informationen erhalten? Wie soll mit diesen umgegangen werden? Gibt es Austauschrunden, um die Informationen gemeinsam zu besprechen, zu bewerten sowie davon ausgehend notwendige Entscheidungen zu treffen? Freilich stellt sich hier auch die Frage, in welcher Form diese Informationsweitergabe, z.B. über digitale Medien, erfolgen soll: Welche Plattformen sollen dafür genutzt werden, und wer richtet diese ein, pflegt und managt sie?


 Schließlich ist eine Unternehmerfamilie, die ein Unternehmen verantwortet, gewissermaßen eine regional bekannte Institution, ein Kreis von Menschen, der in der Öffentlichkeit beobachtet wird, weil beispielsweise das Unternehmen denselben Namen trägt wie die Familienmitglieder. Das bedeutet, dass auch das öffentliche Auftreten sowie die Präsenz in sozialen Medien des Internets hinsichtlich kommunikativer Verhaltensregeln zur Disposition steht, reflektiert und für alle verbindlich geregelt werden sollte.


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[1] Watzlawick, P. u.a. (1969): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Huber.


[2] Luhmann, N. (1987): Was ist Kommunikation, in: ders.: Soziologische Aufklärung 6: Die Soziologie und der Mensch. Opladen: Westdeutscher Verlag (1995), S. 113-124.


[3] Schlippe, A. v. (2013): Kein „Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spiel: Ein kritischer Blick auf das „Drei-Kreis-Modell“ zum Verständnis von Familienunternehmen, in: Thomas Schumacher (Hrsg.): Professionalisierung als Passion. Aktualität und Zukunftsperspektiven der systemischen Organisationsberatung. Heidelberg: Carl Auer, S. 143-164.


[4] Kleve, H. (2020): Sozialisation, Erziehung und Lernen in Unternehmerfamilien – Das Kea-Modell für „Kopf“, „Herz“ und „Hand“, in: Rüsen, T.; Heider, A. (Hrsg.): Aktive Eigentümerschaft in Familienunternehmen. Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien entwickeln und anwenden. Berlin: Erich Schmidt, S. 247 – 259.