Sounds of Science / Herbert Grassmann - Sich sicher sein
Unser heutiger Gast Dr. Herbert Grassmann ist Direktor des Instituts für Strukturelle Körpertherapie, Chair beim Research Committee der European Association for Body Psychotherapy EABP und im Scientific Advisory Board, Faculty Member am Parkmore Institute, Johannesburg und der Maltepe University, Istanbul, sowie im Editorial Board des American Journal of Applied Psychology.
Im Gespräch geht es um Körpertherapie und Körperpsychotherapie, die Bedeutung des Körpers in psychotherapeutischen und Beratungs-Prozessen und darüber, welche wichtige Rolle unter anderem die Polyvagaltheorie von Stephen Porges und Somatic Experiencing nach Peter Levine hier spielen.
Und wir sprechen über den Start des neuen Podcasts mit Herbert Grassmann bei Carl-Auer unter dem Titel "Sich sicher sein". In der ersten Staffel, mit sechs Interviews ab 1. September 2022, hat Herbert Grassmann spannende Gäste aus Psychotherapie, Sport und Forschung zum Gespräch über ihre praktischen Erfahrungen, aus erster Hand.
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Transkription des Interviews
Ohler Hallo und herzlich willkommen, lieber Dr. Herbert Grassmann, bei Sounds of Science. Ich freue mich sehr, dass du bereit bist, bei uns ein Gespräch zu führen. Hallo!
Grassmann Hallo! Servus und vielen Dank für die Einladung.
Ohler Sehr gerne. Ich gehe davon aus, dass nicht alle, die Sounds of Science hören, wissen, wer Herbert Grassmann ist. Wir haben uns kennengelernt, vor anderthalb, zwei Jahren im Kontext der Polyvagal-Gesellschaft und Polyvagal-Akademie, also der Beschäftigung mit Polyvagaltheorie. Unter anderem als Körpertherapeut bist du sehr vertraut mit der Polyvagaltheorie. Und da gibt es einige Projekte, die wir miteinander haben, da kommen wir sicher noch drauf. Vielleicht einfach ein paar Worte zu dir als Herbert Grassmann und als jemand, für den die Polyvagaltheorie auch eine Rolle spielt.
Grassmann Vielleicht so zu mir, weil du sagst „Körpertherapeut“. Ich würde es ein bisschen erweitern und auf Körperpsychotherapeut beziehen. Das wird oft auch verwechselt, das eine ist Körpertherapie, das andere ist Körperpsychotherapie. Im Grunde genommen mache ich in meiner Praxis beides, also arbeite sehr körperorientiert, habe vor Jahren die Rolfing-Methode gelernt und deswegen arbeite ich viel mit dem Fasziengewebe und habe mich intensiv damit beschäftigt. Aber schon sehr früh aufgrund meines Psychologiestudium habe ich immer wieder die Psyche aufgesucht, und das ganze nennt sich dann dementsprechend auch Körperpsychotherapie. Habe mich da organisiert und bin auch eine Zeit lang im Vorstand der EABP (European Association für Body Psychotherapy) gewesen und leite dort jetzt den Wissenschaftsbereich, seit etwa zehn Jahren. Also ich kümmere mich um die Forschung und Wissenschaft.
Ohler Das wird ja oft unterschätzt, dieses Backup durch Forschung. Vielleicht willst du da noch was zu sagen, wie wichtig das ist, dass man immer in Begleitforschung ist.
Grassmann Also ich denke, das ist wahnsinnig wichtig, gerade in so einem Bereich wie Körperpsychotherapie. A, weil es offensichtlich viele auch noch nicht kennen, B, aber immer mehr nachgefragt wird. Also wenn ich so in die Praxis gucke, dann kommt oft so die erste Frage: „Arbeiten Sie denn auch mit dem Körper? Spielt der Körper eine Rolle? Geredet habe ich eigentlich genug und die ganzen Dinge sind mir kognitiv alle sehr klar. Aber ich habe den Eindruck, die Lösung findet irgendwie über den Körper statt oder das muss irgendwie mit einbezogen werden.“ Und da ist dieser Mensch natürlich genau richtig bei mir, weil Körperpsychotherapie ja letztendlich heißt, dass wir unsere Seele oder unsere Psyche immer auch in Verbindung mit dem Körper sehen. Das heißt, der Körper drückt quasi all das aus, was wir empfinden, wahrnehmen, spüren, was wir uns denken, bis hin zu irgendwelchen Erinnerungen, zum Beispiel emotionalen Erinnerungen, die wir auch körperlich spüren und ausdrücken. Deswegen Körperpsychotherapie. Und die Wissenschaft beschäftigt sich damit schon seit längerem, hat sehr lang so ein Nischendasein gehabt innerhalb der Psychologie. Aber ich habe den Eindruck, es wird in den letzten Jahren immer deutlicher und stärker auch nachgefragt. Wir sind überaus glücklich, auch einen universitären Ausbildungsgang entwickelt zu haben, wo ich auch dran beteiligt bin, in Istanbul an der Universität in Maltepe, wo wir den ersten Aufbaukurs für Psychologen im Bereich Körperpsychotherapie anbieten. Also es tut sich einiges auf dem Gebiet. Und ich bin überaus glücklich dabei zu sein.
Ohler Ja, genau so glücklich wie wir sind jetzt, dass wir den Kontakt mit dir gefunden haben und weitere Projekte machen. Wir kommen dann noch dazu. Ich bin dir dankbar für diesen Hinweis auf den Unterschied Körperpsychotherapie und Körpertherapie, also das Verhältnis von Organismus oder Körper und Psyche, das sich da ganz anders ausdrückt. Du hast in einem Gespräch, das wir mal miteinander hatten, auch davon gesprochen, dass man eine gewisse Wahrnehmung hat dafür, was, wenn Klientinnen und Klienten da sind, an körperlichen Ausdrücken und kleinsten minimalen Regungen da ist. Und dann stelle ich mir vor – du hast jetzt von diesem Studiengang gesprochen – dass man da gewisse Kompetenzen entwickeln muss. Wie liest man da?
Grassmann Nun, die Kompetenzen schauen so aus, dass man das auf der einen Seite untersucht, indem man sich die Fragen stellt: Was nehme ich eigentlich so wahr von dem Klienten, nicht nur diese Geschichte, sondern eben auch über den Körperausdruck zu gehen. Der ganze Hintergrund der Embodiment-Forschung spielt eine Rolle, d. h. inwieweit wir bestimmte Vorstellungen, Inhalte auch verkörpern und wie wir die quasi in diese Therapie hineinbringen können. Bei vielen Klienten ist es ja oft so, dass, wenn man sie fragt „Was fühlen Sie denn gerade?“ oder „Wie geht's denn Ihrem Körper?“, dass da ein großes Fragezeichen entsteht, nach dem Motto „Ich hab da eigentlich keine Ahnung, deswegen bin ich ja da ...“ Und unsere Aufgabe wäre dann, neben diesem Eingehen auf die Psyche, immer stärker und immer mehr so den Körper sich daran beteiligen zu lassen in diesem Therapieprozess. Das sieht unterschiedlich aus. Also wenn ich jetzt zum Beispiel traumaorientiert arbeite, dann geht es natürlich sehr stark auch um unser emotionales Gedächtnis, um das Verdrängen von bestimmten Ereignissen, die einfach zu intensiv sind. Und da spielt der Körper eine ganz wichtige Rolle, weil wir in diesem Prozess immer wieder bemerken, dass auf der einen Seite natürlich dieser Wunsch da ist, etwas zu lösen, Traumasymptome zu lösen, auf der anderen Seite sehr große Hürden sind, da hinzukommen. Und meine Erfahrung oder die Erfahrung vieler Körperpsychotherapeuten ist die, dass es über den Körper viele, viele Lösungsmöglichkeiten gibt, zu arbeiten. Und da gibt es dann auch diese Verbindung zur Polyvagaltheorie, die da wunderbar reinspielt. Wobei diese Idee nicht ganz neu ist, sondern ich kann mich erinnern, dass Peter Levine in den 80er und 90er Jahren so was schon mal formuliert hatte, bei Somatic Experiencing. Aber das wurde dann in dieser Polyvagaltheorie noch mal wunderbar ausformuliert. Also diese Möglichkeit, über den Körper auch Symptome zu lösen, und dann wiederum kognitiv zur Verfügung zu stellen. Es geht ja nicht nur um ein Körperprozess, sondern auch, sagen wir mal, einzuordnen und dann kognitiv zu verarbeiten.
Ohler Du hast bereits die Brücke gegeben, ich hätte tatsächlich jetzt nach der Polyvagaltheorie gefragt. Danke auch für den Hinweis auf Peter Levine. Auch die Polyvagaltheorie steht ja in einer Tradition oder in Bezügen zu anderem. Ich denke jetzt an Silvia Zanotta zum Beispiel, die auch Peter Levine, Somatic Experiencing und Polyvagaltheorie verknüpft. Mir fällt als erstes der Begriff der Ko-Regulation ein, nach dem was du gesagt hast, was man an Kompetenzen braucht mit den Klienten. Es geht um so was wie Sicherheit, die ja auch in der therapeutischen Begegnung oder im gemeinsamen Raum geschaffen werden muss. Was ist bei dem, was du jetzt angedeutet hast für die Möglichkeiten, körperpsychotherapeutisch zu arbeiten, ein besonderer Beitrag der Polyvagaltheorie, so eine Art Plot. Was macht einen Unterschied, ob man das auf dem Schirm hat oder nicht?
Grassmann Ganz einfach, weil wir merken, wenn wir uns mit dieser Polyvagaltheorie beschäftigen und dieses Bedürfnis nach Sicherheit wirklich ernst nehmen – so wie Stephen Porges das ja auch in diesem Modell der Neurozeption wunderbar erklärt – geht es ja darum zu erkennen, dass unser Organismus eigentlich ständig sich dahingehend orientiert, ob er sich sicher fühlt oder eben bedroht. Also diese beiden Möglichkeiten haben wir auf einer sehr tiefen evolutionsbiologischen Ebene. Das ist quasi etwas, was wir in uns tragen, schon sehr lang, und das abgerufen wird auf einer instinkthaften Reflexebene. Unterhalb unserer Wahrnehmung entscheidet unser Organismus, ob er sich sicher fühlt oder nicht. Das spielt in der Körperpsychotherapie eine sehr große Rolle. Und deswegen sind wir auch dankbar, zum Beispiel, dass Peter Levine oder Steven Porges regelmäßig zu unseren Kongressen kommen und unterrichten. Es spielt deswegen eine große Rolle, weil, wenn wir das beachten und, ich sage mal, Klienten auch dahin führen können, zum eigenen Nervensystem und zur Beschäftigung mit dem eigenen Nervensystem, uns das eine neue Optionen liefert, mit der – ich nenne es mal so – Sensomotorik zu arbeiten. Es wird einfacher, berührbar und es bieten sich viele Lösungen.
Ohler Ich habe auch schon mal gehört, so Ideen wie die Polyvagalteorie und verwandte bieten auch solche Sortiervorschläge an. Man weiß, worüber man redet oder womit man es zu tun hat. Kann man das so sagen?
Grassmann Eine gute Frage. Wenn ich so diese Bücher von der Deb Dana lese, dann kommt man so auf diese Idee, dass es auch darum geht, dieses Konzept erst mal vorzustellen, also mentale Modelle zu liefern. Was heißt es eigentlich in so einem dorsalen Vagus zu leben? Das ist jetzt ein Begriff. Und den muss man ja ausfüllen, den muss man mit Bildern ausfüllen, mit Vorstellungen ausfüllen. Und das macht Deb Dana, finde ich, wunderbar in ihren Büchern. Und das hilft uns, das erst mal so einzuordnen, kognitiv. Und das wiederum gibt uns aber dann Zugänge zu tieferen Erlebnismöglichkeiten, über unseren Körper, über unsere Emotionen Verbindungen herzustellen. Was heißt es gefühlsmäßig für uns, in einem dorsalen Zustand zu leben? Und je mehr unsere Klienten sich darin orientieren können, quasi das als Hilfsmittel nehmen können, umso mehr Kompetenzen entwickeln sie kognitiv. Sie können es besser einordnen, was da passiert. Und es fällt uns natürlich auch leichter, dann damit zu arbeiten.
Ohler Du hast jetzt von Büchern gesprochen. Es gibt ein Buchprojekt von dir und Stephen Porges. Vielleicht willst du dazu was erzählen. Das ist eine sehr vielversprechende Angelegenheit, scheint mir. Was wird da entstehen?
Grassmann Ich bin auch da sehr dankbar dafür, dass ich diese Möglichkeit habe. Hintergrund ist sicherlich der, dass ich seit circa vier, fünf Jahren Teil dieses Kinsey Instituts bin, also dort auch forsche, an bestimmten Studien. Die neueste Studie ist, herauszufinden, biografisch herauszufinden, was eigentlich Traumatherapeuten vereint. Was für einen biografischen Hintergrund haben Traumatherapeuten? Und um das zugänglich zu machen, da gibt es bald den ersten Wissenschaftaartikel darüber, der erscheinen wird. Und im Zuge dessen bin ich natürlich auch mit Stephen Porges mehr und mehr zusammengekommen und habe die Idee gehabt, all diese verschiedenen Körpertherapien, die es so gibt, aber auch Körperpsychoherapien, dahingehend abzuklopfen, inwieweit sie in dieses Theoriemodell der Polyvagaltheorie passen. Das Projekt heißt Science of Embodiment – Trauma, Body and Relationship. Das wird vom Norton Verlag unterstützt und erscheint dort auch, hoffentlich 2023. Also so viel Zeit haben wir dafür.
Ohler Das ist sportlich.
Grassmann Genau, weil wir da ja "nur" die Herausgeber sind. Heißt: Wir haben viele Autoren, die dazu beitragen und in unterschiedlicher Art, es geht teilweise um den Begriff der Embodimentforschung, wie ich schon erwähnte, aber es geht auch um ganz differenzierte Techniken, die wir da vorstellen in diesen Artikeln, und dahingehend untersuchen, inwieweit sie einer bestimmten Reihenfolge folgen und wie sie dort auch diese Polyvagaltheorie entdecken oder vielleicht sogar auch anwendungsbezogen weiterführen können.
Ohler Man kriegt aus dem, was du sagst, ja schon einen klaren Eindruck über dieses weite Feld, mit dem du dich beschäftigst, und wo du wie vernetzt bist du. Ich komme jetzt mal auf ein anderes Projekt, das jetzt ganz konkret ansteht, auch quasi gestartet hat in der Vorbereitung und ab September mit dir zusammen zusammen laufen wird. Eine Podcast Reihe.
Grassmann Ja. Was ganz Neues für mich auch ...
Ohler Ja, aber was ich schon gehört habe, denke ich, das klingt so, als tätest du es schon seit 20 Jahren.
Grassmann Ja, es liegt vielleicht daran, dass mir das auch sicherlich Spaß macht. Und ich habe ja auch bei dir in deinen Podcast reingehört, und ich finde, du machst das auch wunderbar. Ich kann das gern zurückgeben. Und was mich da sehr interessiert, und das teile ich, glaube ich, mit dir, ist diese Möglichkeit, innerhalb von so einem Podcast bestimmte Themen zu vertiefen, die man normalerweise nicht hat oder sehr selten hat. Also man kann mit dem Gesprächspartner auf eine Art und Weise bestimmte Themen so vertiefen, dass man das Gefühl hat, jetzt wird es irgendwie lebendig. Oder jetzt taucht etwas auf, das spannend ist. Nicht nur für uns, sondern hoffentlich auch für die Zuhörer. Und das Ganze habe ich eben genannt „Sich sicher sein“, so in Anlehnung an diese Polyvagaltheorie, weil ich glaube, dieses Thema Sicherheit wird uns noch viel mehr beschäftigen, nicht nur gesellschaftlich, das sowieso, sondern auch gerade in der Psychologie und inwieweit das Thema Sicherheit unsere Vorstellung von Psychologie oder auch körperorientierter Psychologie verändern wird. Und da spielt die Neurobiologie eine entscheidende Rolle, aber nicht die einzige.
Ohler Mit Neurobiologie meinst du Vorschläge zum Verständnis des Autonomen Nervensystems ...
Grassmann Genau ...
Ohler ... nach der Polyvagalheorie. Aber in diesem Podcast werden ja Gesprächspartnerinnen und -partner aus sehr unterschiedlichen Feldern zu Wort kommen. Und wenn ich es richtig verstanden habe, geht es auch darum, so wie du es jetzt angedeutet hast, Erfahrungen zur Verfügung zu stellen aus unterschiedlichen Bereichen, zum Beispiel aus dem Sport. Also Erfahrungen zur Verfügung zu stellen, die man dann mit solchen professionellen Okularen, wenn man so will, betrachtet.
Grassmann Vollkommen richtig. Und da lasse ich mich sehr davon leiten, was mir auch selber Spaß macht oder wo meine Neugierde hingeht. Und ein Bereich ist sicherlich dieser professionelle Sportbereich, wo ich ja auch immer wieder Menschen habe, mit denen ich zusammenarbeite. Ich habe zurzeit zum Beispiel den Torwarttrainer der deutschen Nationalmannschaft, mit dem ich in England zusammenarbeite, und das ist aktuell sehr spannend zu sehen, wie das dann vielleicht auch Früchte trägt.
Stichwort Neuro-Athletik, was ich so erweitert habe im Begriff der Polyvagaltheorie. Da gibt es zum Beispiel das spannende Konzept der Playzone, wo es Spielern gelingt, in einen bestimmten Zustand zu kommen, wo sie sich gegenseitig mental, aber auch körperlich so unterstützen – und ich hätte beinahe gesagt begeistern – können, dass sie auf bestimmtem Niveau performen können und arbeiten können. Und dieser Umgang mit Stress bekommt dann auch eine ganz andere Bedeutung da.
Ohler Als Laie frage ich mich bzw. fällt mir ein: Wenn du sagst, dass die dann miteinander aus ihrer jeweiligen Playzone heraus – oder so verstehe ich es jetzt – und dann miteinander in eine andere Kooperation kommen: Hat das was mit Ko-Regulation zu tun?
Grassmann Richtig, das ist eigentlich ein wichtiges Kernelement. Wenn wir da so aufmerksam werden und merken zum Beispiel, da ist eine Spielerin, die dreimal aufs Tor geschossen hat und immer daneben, und die innerlich verzweifelt, und ich kriege sozusagen diese körperlichen Reaktionen mit, dann gehe ich als Mitspielerin auf sie zu und ermuntere sie oder unterstütze sie dabei, wieder aus diesem Stress zu kommen. Das kann ich einfach mit nonverbalen Gesten oder Zuständen machen, sodass ich die andere Spielerin in dem Moment daran erinnere: Okay, so, beim nächsten Mal machst du das ganz entspannt. Und dieses gegenseitige Regulieren, dieses Helfen, aus diesem Stress herauszukommen, ist im Sport wichtig, aber, wie wir auch wissen, in allen möglichen Bereichen total entscheidend. Und gerade, wenn wir über Traumatherapie reden oder über die somatische Traumatherapie, glaube ich, ist das mit das entscheidende Tool. Gelingt es uns, die Intensität in unserem Nervensystem auf eine Art und Weise zu regulieren, sodass unser Körper in der Lage ist, diese Information zu verarbeiten. Und das passiert eigentlich ständig, wenn wir hingucken, auch in unserem Interview, wenn wir genau hingucken, regulieren wir uns ja auch irgendwie und gucken, ob wir da so ein Gemeinsames erkennen, ob wir uns da drin sicher fühlen. Sicherheit hat ja immer diesen großen Vorteil, dass wir uns nicht nur entspannen können, sondern wir werden auch kreativ. Also wir fangen an, Dinge für möglich zu halten, Entscheidungen zu treffen, die in unserem Furchtgedächtnis, in diesen Zuständen, wo wir uns schützen, nie eine Option hätten. Das ist der Vorteil, sozusagen diesem Sicherheitsbedürfnis und in diesem Sicherheitsstreben hineinzugehen und uns da gegenseitig zu helfen.
Ohler „Sich sicher sein“ heißt, hast du schon gesagt, die Podcast-Staffel. Es wird auch einen Teaser geben auf den entsprechenden Plattformen, dass man sich dann auch schon entsprechend als Abonnentin und Aboonnent eintragen kann. Da freue ich mich sehr drauf und bin ich gespannt. Gerade noch mal zu diesen vielen Bereichen – Sport oder anderen Bereichen. Vielleicht etwas zu groß gefragt: Was würdest du dir wünschen in Bezug auf die Organisation unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, sei es in der Wirtschaft, sei es in Teams, sei es in Familien und so, was da noch mehr an Bewusstsein entwickelt werden könnte dafür, wie wichtig diese Ko-Regulation ist, oder wie wichtig es auch ist zu erkennen, was uns als Menschen ausmacht und was wir voneinander brauchen. Vielleicht ein bisschen zu fett gefragt.
Grassmann Nein, schon klar, ich denke, das ist sehr wichtig, gerade in Unternehmen oder Organisationen, auch diese Prinzipien, die ja dort greifbar sind, zu nutzen. Und wir können, ich sage mal, intelligente Teams oder Organisationen unterscheiden von anderen, inwieweit sie solchen Prinzipien auch folgen. Und ein wichtiges Prinzip ist sicherlich: gelingt es uns, auf eine Art und Weise zu kooperieren, dass wir trotz unserer Unterschiedlichkeit diese Gemeinsamkeit erkennen und der folgen können, und in der Lage sind, uns dort auch unterzuordnen. Egal in welch eines Position ich bin, nach dem Motto: Lass uns da mal drauf fokussieren, und es geht darum, dieses Projekt oder dieses Team voranzubringen. Und da helfen solche Ideen, Umgang mit Stress oder wie wir damit umgehen können. Um mich da richtig zu verstehen: Es geht nicht darum, Stress zu vermeiden, sondern Stress hat ja auch durchaus immer diese Komponente, die – jetzt mal zu unserem Sympathikus – dass wir auch Höchstleistungen vollziehen können. Aber um das zu können, brauchen wir sozusagen diese Umgebung, wo das möglich ist, und die Umgebung heißt, dass wir da ventral eingebunden sind, wie so ein Schirm, der uns diese Möglichkeit gibt, immer wieder in Verbindung mit jemandem zu kommen und uns dort auszutauschen. Ist das möglich innerhalb eines Teams? Können wir das? Funktioniert dieses Team? Gibt es dort Brüche, oder merken wir, dass es auseinandergeht? Dann haben wir ein Problem. Also gerade in Teams ist es deutlich zu beobachten, aber auch im pädagogischen Bereich, vermehrt da dran zu denken. Es taucht eigentlich überall auf.
Ohler Du hast Pädagogisches angesprochen. Musst wohl gelesen haben, dass ich das gerade fragen wollte. Kontext Schule, sowohl in den Verbindungen von Schülerinnen und Schülern untereinander, zu Lehrerinnen und Lehrern, oder auch Lehrerinnen und Lehrer untereinander? Ist das auch ein Thema?
Grassmann Beides, ja. Es gibt da Ansätze, auch in den USA schon so die eine oder andere Forschung, die da in diese Richtung arbeitet, inwieweit man auch Lehrer dabei unterstützen kann, nicht nur, ich sag mal so, ihre Inhalte zu vermitteln, sondern, polyvagal gedacht, eben dafür zu sorgen, dass das in einem Rahmen stattfindet, wo die größtmögliche Kreativität möglich ist. Und ja, und das kennen wir alle. Ich gehe mal zu einem anderen Beispiel. Angenommen, wir sind in einem Krankenhaus und müssen uns da irgendwas unterziehen, wie toll das doch wäre, wenn wir von Anfang an dort begleitet werden würden, bei so einem Prozess, also nicht alleine wären, sondern das Gefühl hätten, egal was da passiert, ich kann jederzeit Hilfe aufsuchen oder ich kann jederzeit kooperieren dort wo ich bin. Und das hilft mir, meinen eigenen Stress loszulassen. Das hilft mir, den Stress von anderen zu erkennen. Und wir merken, wenn wir solche Dinge durchgehen, wie sehr so ein Team oder wie sehr so eine Organisation davon letztendlich profitiert, weil es auf allen Ebenen anfängt, in so einen Lernprozess zu kommen. Ich glaube, dass Lernen – und da gehe ich jetzt auch mal zu Feldenkrais für Kurz – dass Lernen immer dann stattfindet, wenn wir in dieser Sicherheit sind. Dann kommen wir auf neue Verschaltungen, dann kommen wir auf Möglichkeiten, das Ganze auch anders zu tun. Das können wir nicht, wenn wir in so einem Furchtgedächtnis leben, sondern immer nur, wenn wir uns da frei und auf eine Art und Weise sicher fühlen. Das ist die Voraussetzung. Und wenn wir das schon wissen, dann können wir ja quasi die Parameter bestimmen, die uns da hinführen ...
Ohler Es gibt sicher viele, die es schon vorher interessiert hat oder die sich jetzt noch mehr interessieren, da weiter zu gucken. Es gibt ja auch die Polyvagal-Akademie, wenn ich das richtig verstanden habe.
Grassmann Die ist sozusagen ein Ableger der amerikanischen Polyvagal-Gesellschaft bzw. des Polyvagal-Instituts, das es schon seit ein paar Jahren gibt. Und wir haben uns vor ein paar Jahren die Aufgabe gestellt, so was auch in Europa oder Deutschland zu gründen, erst mal, um diese ganzen Vorträge und Workshops, die es schon gibt, zu übersetzen und anzubieten. Aber wir sind jetzt in der glücklichen Lage, auch eigene Seminare anzubieten. Also ich selber werde eins organisieren zum Thema Polyvagal-Embodiment-Training, wo das sozusagen vermittelt wird, es findet im Herbst statt. Das heißt, wir sind dabei, auch eigene Ansätze und Programme zu entwickeln auf Grundlage dieser Polyvagaltheorie. Weil wir den Eindruck haben, es ist nach wie vor ein Modell. Und darüber müssen wir uns immer wieder auch sicher sein: „Modelle“ heißt, sie gehören irgendwie überprüft und müssen irgendwie auf ihre Tauglichkeit und ihre, wie man so schön sagt, Evidenz überprüft werden.
Ohler polyvagal-akademie.com, die Website. Danke dir dafür, was du gesagt hast, dass klar ist, dass da immer eine Metaebene eingezogen ist, die das kritisch prüft. Keine Missionsgesellschaft.
Grassmann Das ist ganz wichtig, und das passiert sehr leicht. Das erkennen wir auch bei vielen Organisationen, die dann anfangen, auf der einen Seite wissenschaftlich tätig zu sein, aber gleichzeitig ihre eigenen Produkte auch vermarkten wollen. Und jetzt haben wir ein ethisches Problem, spätestens da. Also das wirklich sauber trennen.
Ohler Das wäre eigentlich ein sehr starkes Schluss-Statement, finde ich, das man nicht so oft hört, nebenbei bemerkt. Aber ich will dir noch die klassische Carl-Auer Sound of Science Frage stellen. Auch du musst ... die muss ich stellen. Also im Vorfeld dessen, dass wir uns treffen zum Gespräch, oder auch während des Gesprächs, war vielleicht irgendwas, das würdest du gerne gefragt werden, oder da ist dir während des Gesprächs etwas eingefallen. Du hast es zur Seite gelegt, und jetzt kam es nicht vor. Gibt es noch irgendwas, wo du sagen würdest, da frage ich mich selbst noch mal? Herbert fragt Herbert?
Grassmann Ja, es ist eine sehr gute Frage. Die kommt jetzt ein bisschen überraschend, weil ich selber da ein bisschen grad nachgucken muss. Aber ich glaube ja. Ich frage mich immer so. Dadurch, dass wir ja auch in einer Gesellschaft leben, die so sehr stark im Wandel und in vielen, vielen Veränderungen steht – ich sehe es ja auch bei meiner Tochter, die mal in der Schule ist und dann mal wieder nicht in der Schule ist – und ich frage mich so: Gibt es in diesem ganzen Wandel und diesem Veränderungsprozess so was wie Leitlinien oder Ideen, wo wir uns dran orientieren können? Das fehlt mir, ehrlich gesagt. Bei allen Änderungen fehlt mir so dieser Ansprechpunkt. Dieser Ort, wo wir uns auch darüber nicht nur informieren können, sondern manchmal vielleicht auch beklagen können. Über das Tempo oder über diese Veränderungen oder über darüber, wo wir vielleicht auch nicht einverstanden sind. Ich glaube, es braucht solche Orte, und ich kann mir vorstellen, dass so ein Podcast auch so ein Ort sein kann, wo man sich nicht nur über neue Dinge informiert, sondern wo man solche Dinge auch ansprechen kann, die durchaus kontrovers sein können oder vielleicht auch noch nicht fertig gedacht sind, aber die einen emotional einfach bewegen. Das wünsche ich mir.
Ohler Da bin ich dabei. Vielen Dank, dass du dich das noch selbst gefragt hast und auch dazu was gesagt hast. Herbert, wir sind gespannt, selbstredend auf deinen Podcast, auf die weiteren Kooperationen, auch sonstige Dinge. Da reden wir ein andermal darüber, was wir genau anschauen wollen. Buchprojekte. Ich danke dir für deine Zeit heute und freue mich auf alles, was kommt. Im Namen vieler Hörerinnen und Hörer, natürlich im Namen von Carl-Auer, vielen Dank.
Grassmann Ja, ich habe zu danken. Vielen Dank.