Interpunktion

engl. interpunction, von lat. inter = »zwischen«, punctio = »Punkt (als Satzzeichen), Trennung (Scheidung; Abteilung) der Wörter durch Punkte«; ist ein von Watzlawick et al. (1972, S. 61) geprägter Begriff:


»Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.«


Gemeint ist damit, dass Interaktionspartner die Interpretation, d. h. die Bedeutungszuschreibung bezüglich der eigenen Handlungen und der ihrer sozialen anderen, durch die Unterteilung des Interaktionsprozesses in bestimmte, durch einen Anfang und ein Ende abgegrenzte Situationen vornehmen. Dabei dient in unserer u. a. durch die aristotelische Logik geprägten Kultur üblicherweise das Aktions-Reaktions-Muster als (lineare) Hintergrundstruktur der Wahrnehmung: Der eine tut etwas (Ursache), und das Verhalten des anderen ist die Folge dieses Tuns. Der Situation wird durch diese doppelte Aktion – Abgrenzung und Interpretation – ein Sinn zugesprochen: Die Situation wird zur Episode.


Wenn Menschen, z. B. im Rahmen einer Paarbeziehung, miteinander kommunizieren (Kommunikation), wird ihr Beziehungsmuster auch durch die gegenseitige Interpunktion gestaltet. D. h., sie beurteilen das Verhalten ihres Gegenübers im Rahmen der Interaktionssequenz, die sie selbst auswählen: Sie legen Anfang und Ende entsprechend ihren eigenen Interessen fest. Bei Konflikten liegt es üblicherweise im eigenen Interesse, den anderen als Verursacher des eigenen Verhaltens zu benennen und sich damit selbst als dessen Opfer zu beschreiben. Deshalb wird das eigene Verhalten genau in eine Sequenz hineingepresst, die sich als Reaktion auf die vorausgehende Botschaft des anderen darstellen lässt.


Watzlawick et al. haben für Paarkonflikte ein Modell dargestellt, das dieses Muster anhand des Themas »Mann zieht sich zurück – Ehefrau nörgelt« beschreibt. Darin fokussiert der Mann nur auf die Sequenzen, in denen seine Frau an ihm herumnörgelt, die Frau nur auf diejenigen, in denen der Mann sich zurückzieht. Die Frau wird in den Augen des Mannes zur Verursacherin seines Rückzugs, der Mann in den Augen der Frau zum Verursacher ihrer Nörgelei. Nicht die Interpunktion als solche ist dabei das Problem, sondern die mit ihr verbundene Interpretation des Verhaltens des sozialen anderen. Im Zuge dieser Interpretation entsteht ein Täter-Opfer-Muster: Jeder erlebt sich als Opfer und den anderen als Täter. Dieses Muster chronifiziert sich durch Wiederholungen zu einem »Teufelskreis«, in dem jeder in seiner Position quasi festfriert und nur noch auf die Interaktionsbeiträge des anderen starrt. Schultz von Thun hat eine Vielzahl solcher Teufelskreise beschrieben. Beim »helfenden Stil« z. B. trifft eine Person in der Rolle des Helfers (Helfen) auf eine in der Rolle des Hilflosen. Diese aus persönlichen Motiven gespeiste Rollenübernahme führt dazu, dass der Helfer aus der Position der Dominanz heraus helfen will; der »Hilflose« hingegen fordert Hilfe, fühlt sich aber zugleich unterlegen, abhängig, gedemütigt, wird trotzig und unterläuft die Hilfe. Das wiederum frustriert den Helfer und macht ihn wütend auf den (also sehr mächtigen) »Hilflosen«. Die Spirale dreht sich, und so entsteht eine »komplementäre Eskalation« (Bateson 1981), in der der Helfer immer mehr helfen will, aber immer erfolgloser wird, der Hilflose immer mehr Hilfe einfordert, sie aber immer weniger annehmen kann.


Die zirkuläre (siehe dazu auch Zirkuläres Fragen) Struktur jeder Kommunikation verunmöglicht es zwar theoretisch, Anfang und Ende einer Situation für die Erklärung kommunikativer Störungen zu benennen. In pragmatischer Hinsicht brauchen wir aber für die Beschreibung kommunikativer Prozesse und der in ihnen auftretenden Probleme eine solche Begrenzung, um unsere Beobachtung durch die Einführung der Zeitperspektive strukturieren zu können. Die Beobachtung der episodischen Kommunikation ermöglicht Erklärungshypothesen (Hypothetisieren), von denen jede für sich durchaus linear sein kann; durch ihre Verknüpfung zu einem Set aufeinander bezogener Aussagen kann aberdann ihr zirkulärer, d. h. alle Interaktionspartner mit einbeziehender Sinn hypothetisch benannt werden. Die Unterteilung des Interaktionsprozesses in solche Episoden liegt in der Verantwortung der Beobachter – sie ist nie »objektiv«. Systemisch (System) geschulte Beobachter werden versuchen, den grundlegenden »Interpunktionsfehler« ihrer Klienten zu vermeiden, und eine Beobachtungseinheit konstruieren, in der die Interaktionsbeiträge beider Seiten präsent sind und das durch sie gebildete Muster beschreibbar wird. Das ermöglicht Interventionen wie z. B. die folgende.


Die Schulsozialarbeiterin trifft eine weinende Schülerin (A) auf dem Flur, die ihr erzählt, dass ein Mitschüler (B) sie geschlagen habe. Sie holt den Schüler (B) ebenfalls zu sich, und dieser erzählt, er habe einen anderen Schüler (C) schlagen wollen, der ihn vorher geschlagen habe, und dabei habe er unabsichtlich die Schülerin (A) erwischt. C gibt nun auf eine entsprechende Frage an, dass er eigentlich einen Schüler D schlagen wollte, der ihn mit der flachen Hand auf den Rücken gehauen habe; dabei habe er unabsichtlich B erwischt. Also wird nun D befragt, der zugibt, C auf den Rücken geschlagen zu haben, aber er habe das in freundlicher, nicht aggressiver Absicht getan. Am Ende dieser Befragungskette sagt D: »Und jetzt soll ich an allem schuld sein?« Dem begegnet die Schulsozialarbeiterin mit folgendem das Muster auflösenden Satz: »Die Geschichte hat bei dir (D) begonnen. Wir suchen aber nicht Schuldige, sondern ich möchte wissen, was du in Zukunft anders machen könntest.« Darauf antwortet D: »Ich sollte nicht mehr so stark schlagen.« Die Sozialarbeiterin: »Okay, C, hast du noch eine Idee, was D noch anders machen könnte?« C: »Er könnte mir ja sagen, dass er mich mag.« (Zusammenfassung aus Wagner 2010.) Die Sozialarbeiterin hat also die Interpunktion der Schüler angenommen, aber mit jedem ihrer Beiträge ausgeweitet, bis aus den einzelnen Episoden eine zusammenhängende Geschichte entstanden ist, welche die Beiträge aller Beteiligten zirkulär verknüpft. So wurde der Beziehungssinn bzw. die Beziehungsfunktion des Schlagens deutlich, was eine – in diesem Falle – lösungsorientierte (Lösung) Intervention ermöglichte.


Verwendete Literatur


Bateson, Gregory (1981): Ökologie des Geistes. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Wagner, Susanne (2010): Der lösungsorientierte Ansatz in der Schule. Bodensee-Institut für Systemische Therapie und Beratung. Radolfzell (unveröffentl. Abschlussarbeit).


Watzlawick, Paul et al. (1972): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern/Stuttgart/Wien (Huber).


Weiterführende Literatur


Bateson, Gregory (1982): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Schulz von Thun, Friedemann (1989): Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt).


Selvini Palazzoli, Mara et al. (1978): Paradoxon und Gegenparadoxon. Ein neues Therapiemodell für die Familie mit schizophrenen Störungen. Stuttgart (Klett-Cotta).


Watzlawick, Paul et al. (1974): Lösungen. Bern/Stuttgart/Wien (Huber).