Sounds of Science / Dian Gohring - Ching Chang Stop. Rassismus bemerken, Rassismus anders wahrnehmen

Rassimus ist alltäglich, und das häufig unbemerkt, gerade auch von jenen, die Rassismus an den Tag lagen. Aber oft und immer öfter wird er auch offen ausgetragen. Betroffene merken Rassismus mehr als deutlich.
Viele Menschen wissen das nicht, oder wollen es nicht wissen. Was ist da los? Wie sieht das konkret aus? Was wird da "gespielt"? Und wie kann man sich wehren – auch gegen eigene rassistische Tendenzen?
Mit Ching Chang Stop hat die Autorin, Grafikerin und Kommunikationsdesignerin Dian Gohring die Form der Graphic Novel gewählt, um diesen Phänomenen auf die Spur zu kommen, sie deutlich zu machen und auch der berechtigten Wut darüber Ausdruck zu verleihen. Das Ergebnis ist mitreißend. Nicht zuletzt gibt es Tipps, die, in den Worten von Dian Gohring, "so scharf sind wie Sriracha und scharfer (nicht mittelscharfer) Senf zusammen".
Ching Chang Stop ist bei Carl-Auer Kids erschienen. Im Gespräch mit Carl-Auer Sounds of Science gibt Dian Gohring Einblick in den Schaffensprozess, in Formen von Betroffenheit und in ihre Entscheidungen zum faszinierenden Farbkonzept von Ching Chang Stop.



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Transkription des Interviews


Ohler Liebe Dian Gohring, ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie sich die Zeit nehmen, hier mit Carl-Auer Sounds of Science ein Gespräch zu führen. Herzlich willkommen dazu.


Gohring Hallo. Danke für die Einladung.


Ohler Sehr gerne. Danke fürs Annehmen. Ich mach weiter mit Lob. Chapeau und danke möchte ich sagen zu einem Projekt, das Sie realisiert haben und das im Carl-Auer Verlag veröffentlicht ist: Ching Chang Stop. Habe ich es richtig ausgesprochen? Es handelt sich ja, was die Form betrifft, um eine ganz besondere, wir können sagen, Graphic Novel, in der Reihe Carl-Auer Kids Kinder- und Bilderbücher. Aber es ist noch mehr als das. Es ist eben eine Graphic Novel, unheimlich beeindruckend. Es geht inhaltlich um Rassismus im alltäglichsten Alltag – wie ich mal sagen wollte, nur "Alltag" ist mir zu schlapp – und zwar vor allen Dingen oft unbemerkten. Aber es ist eher unbemerkt, also nicht bewusst geworden, bei denen, die diesen Rassismus an den Tag legen. Betroffene merken ihn mehr als deutlich. Viele wissen das nicht oder wollen es einfach nicht wissen. Sie selbst, Dian, haben viel Erfahrung damit. Ein Fragebündel: Was ist da los? Wie sieht das konkret aus Was wird da so geäußert und getan, und was triggert hier vielleicht? Und warum ist das so zäh oder langlebig?


Gohring Hm, ich finde es ehrlich gesagt immer ein bisschen schwierig, konkrete Beispiele zu nennen. Einfach weil es wahnsinnig anstrengend ist, diese Erlebnisse immer wieder hoch zu holen. Also ich muss sagen, zum einen, für mein Buch habe ich ja ziemlich viel in meinem Bewusstsein und auch Unterbewusstsein umgegraben, um die Geschichten, die mir passiert sind, zu erzählen, ohne dass ich schon viel aufgeschrieben hatte, weil ich ganz viel einfach verdrängt habe, muss ich sagen. Ich habe auch mit anderen Betroffenen gesprochen. Und auch da sind mir in den Gesprächen wieder Sachen eingefallen, die mir als junges Mädchen passiert sind, die ich eigentlich völlig vergessen hatte. Und es war ein guter, spannender Prozess für mich, weil ich super viel gelernt habe über mich selbst und wie ich mit so einer Art von Stress oder auch Verletzung umgehe. Und ich zeige ja einige Beispiele.


Ohler Genau.


Gohring Ich muss aber auch sagen, dass ich mir das Buch nicht jeden Tag angucken kann. Ich habe Tage, da kann ich da nicht reingucken, weil ich den Rassismus ziemlich klar benenne. Und, ja, ich pack das manchmal auch nicht, das noch mal zu sehen. Aber ich versuche dennoch mal nach Beispielen zu suchen. Das fängt bei Kleinigkeiten an, das kann auf Familienfesten schon ein "Woher kommst du?" sein. Ich weiß, dass viele Leute das nicht böse meinen. Mich wirft es aber immer wieder raus aus der Gesellschaft. Immer wieder ein "Oh, du gehörst übrigens nicht dazu", und das kann es werden, egal wie es gemeint ist. Ich fühle mich danach nicht wie ein Teil der Gruppe. Und in dem Fall ist die Gruppe eben die Gesellschaft, in die ich hineingeboren wurde. Wo gehöre ich sonst hin, wenn nicht dort? – Das verletzt. Und das können diese unbewussten Sachen sein, die manche Leute sagen. Das können aber auch wahnsinnig aggressive Sachen sein, die Leute sagen, wo man schon das Gefühl hat, die Leute machen das bewusst, mit Absicht, oder laden hier gerade ihre schlechte Laune oder ihren Hass bei einer beliebigen Person ab, die vielleicht mal nicht aussieht wie "der deutsche Durchschnittsbürger". Wenn es den überhaupt gibt ...


Ohler Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das jetzt trotzdem geäußert haben. Im Buch gibt es ja phantastische Beispiele mit, wie ich finde, unheimlich gelungener illustrativer Form, eben Graphic Novel, wo auch Text in Illustrationen umgesetzt ist. Und da kann man das wirklich fast hautnah erleben. Wir müssen das jetzt auch nicht vertiefen, wenn Sie das nicht möchten. Man kann ja im Buch gut nachgucken.


Gohring Genau.


Ohler Wir kommen später noch auf ein paar Tipps zu sprechen. Aber zunächst mal noch mal die Frage zur Umsetzung Ihres Projekts in dieser Form. Wie kam es dazu? Was hat Sie dazu veranlasst? Sie sind ja Illustratorin. Aber was haben Sie gedacht, als sie entschieden: Okay, jetzt mache ich dieses Thema in dieser Form, Graphic Novel, illustrieren ist meine Profession.


Gohring Mein Studienfach war ja damals Kommunikationsdesign. Und da habe ich mich aber schon immer zur Illustration sehr hingezogen gefühlt. Ich habe schon immer viele kleine Comics gezeichnet, so als eine Art von Tagebuchführung. Also das waren zum Beispiel vier Panels, und dann habe ich da kurz meine Gedanken zu beliebigen Themen zusammengefasst. Als es Zeit wurde, dass ich mich entscheiden musste, was ich für meine Bachelorarbeit mache, war ich gerade im Auslandssemester in Bologna. Und das ging parallel einher mit dem Beginn der Corona-Pandemie, wo von null auf 100 plötzlich wieder ein, ja, ziemlich spezifischer Rassismus gegen ostasiatische gelesene Menschen begann. Und in der Zeit habe ich wahnsinnig viele Comics gemacht, weil mir wahnsinnig viele Sachen auf der Straße hinterhergerufen worden sind und. Ich habe mich dann viel mit meinen Cousinen ausgetauscht, die da so meine Ansprechpartnerinnen sind, und mit denen viel hin und her überlegt: Soll ich jetzt ein Buch darüber machen? Ich muss ganz ehrlich sagen, das war davor nie eine Thematik, mit der ich mich bewusst befasst habe. Das Ich war immer jemand, die alles gegeben hat, um dazuzugehören. Ich wollte mich nie über mein Anderssein definieren. Ich wollte es nicht ansprechen. Ja, ich hatte immer gehofft, dass man mir das vielleicht auch nicht anmerkt, dass ich einen Migrationshintergrund habe. Dann habe ich mich plötzlich innerhalb von ein paar Wochen dazu entschieden: Okay, ich gucke da jetzt hin, ich bearbeite das jetzt auch für meinen Abschluss. Irgendwie war ich damit auch gezwungen, das durchzuziehen, was vielleicht ganz gut war. Ich glaube, meine hauptsächliche Ausdrucksform ist tatsächlich einfach das Bild. Mein zweiter Berufswunsch in der Kindheit war immer Autorin. Und dann habe ich die Chance genutzt und versucht das zu verbinden, und ich bin froh, dass es mir gelungen ist.


Ohler Das ist es allerdings und wir sind sehr dankbar dafür, dass Sie es gemacht haben. Es ist jetzt interessant, die Geschichte zu hören, wie es dazu kam und was für ein Prozess war. Aus meiner Sicht und auch aus der Sicht von Leserinnen und Lesern können wir sagen: Vielen Dank dafür, dass Sie es gemacht haben, jetzt ist es in der Welt. – Für wen haben Sie das Buch gemacht? Sie haben jetzt vom Prozess erzählt, was es für Sie auch bedeutet hat, sich damit zu beschäftigen, auseinanderzusetzen. Für wen könnte es oder sollte es hilfreich sein, über Betroffene hinaus, vielleicht auch für andere? Was ist so die Idee, für wen es ist, wenn die es in der Hand haben, dann haben die was davon, dann kapieren sie es vielleicht endlich.


Gohring Mein Hauptgedanke war: Ich musste irgendwie immer an mein jugendliches Ich denken, das manchmal, nachdem es Rassismus erlebt hatte, ganz schön verzweifelt war, nur nicht wusste, wohin mit seinen Gefühlen, und dann verzweifelt im Internet nach Leuten gesucht hat, denen ähnliches passiert ist. Ich wollte nicht mal eine Lösung für das Problem. Ich wollte einfach nur, dass mir jemand sagt: Du bist nicht verrückt, du reagierst gerade nicht über, deine Gefühle haben eine Berechtigung, sie dürfen da sein, das passiert ganz vielen Leuten. Und das habe ich nicht gefunden. Ich glaube nicht, dass es das nicht gegeben hat, weil, glaube ich, schon sehr viele Leute vor mir wahnsinnig viel Arbeit geleistet haben, um Rassismus sichtbar zu machen. Ich habe es nur damals mit 15, 16 leider nicht gefunden. Wahrscheinlich auch, weil viel englischsprachig war. Und ich musste da immer an mich denken und dachte, wenn ich ein Buch machen kann, bei dem dann ein junges Mädchen oder eine junge Person sagt: "Oh Gott, ich fühl mich gerade so verstanden. Ich habe mich so hilflos gefühlt und ich weiß, ich bin nicht alleine und ich weiß, ich bin nicht verrückt. Und ich weiß, dass alle diese Gefühle, die ich habe, irgendwo normal sind in Anbetracht der Situationen." Das war auf jeden Fall meine Hauptzielgruppe. Ich freue mich, wenn Nichtbetroffene das Buch lesen und wie so ein bisschen Mäuschen spielen. Ich habe schon das Gefühl, meine Hauptzielgruppe sind tatsächlich Betroffene, und diejenigen, die nicht betroffen sind, dürfen gerne Mäuschen spielen und reinlesen und es sich anhören. Aber die Menschen würde ich bitten, das Buch zu lesen und dann den Betroffenen den Raum zu lassen oder zu sprechen.


Ohler Das finde ich auch noch mal eine spannende Geschichte. Übrigens, ich habe vorhin von Triggern gesprochen. Das ist ja auch so ein Punkt, denke ich mir, dass immer von Trigger gesprochen wird, und schon ist die Verantwortung wieder bei dem, der sich getriggert fühlt, und nicht bei denen, die es auslösen.


Gohring Ja, ja.


Ohler Es gibt eine Menge Tipps im Buch. Wir haben vorhin, bevor wir die Aufnahme gestartet haben, schon mal kurz dazu gesprochen. Überschrieben mit "Tipps von Dan", und weiter überschrieben mit "so scharf wie Sriracha und scharfer (nicht mittelcharfer) Senf zusammen!". Und so sind sie auch. Und ich finde auch, dass sie sehr deutlich sind. Man kann sie natürlich nachlesen, aber möchten Sie vielleicht ein, zwei Beispiele nennen von Tipps, eben für Betroffene? Es gibt aber auch Menschen, die vielleicht von den Tipps profitieren, die an sich selber besser bemerken möchten, wo sie den Rassismus verstetigen und vielleicht auch aussteigen wollen. Also die andere Seite auch wahrnehmen und sagen: Oh, da bin ich beteiligt. Vielleicht zwei, drei Beispiele? Wie Sie wollen.


Gohring Also mein größter Tipp, das habe ich gerade schon erwähnt, ist für mich auf jeden Fall, sich selbst ernst zu nehmen als betroffene Person. Ich kann keine Tipps geben, damit man sich als betroffene Person nach einem rassistischen Vorfall besser fühlt. Das liegt in der Natur von rassistischen Vorfällen, man fühlt sich danach nicht besser. Die Situation ist von vorne bis hinten einfach ziemlich scheiße, und man kann nichts machen ...,


Ohler ... genau ...


Gohring ... dass man sich danach wieder gut fühlt. Also das schon mal vorweg. Aber was man auf jeden Fall machen kann, ist, nicht sich selbst noch hinterher treten. Ich habe das Gefühl, es treten schon Leute nach einem, wenn sie einen rassistisch beleidigen oder anfeinden. Aber wenn man sich dann selbst noch Vorwürfe macht, dass man sich falsch verhalten hat, dass man gerade überreagiert, dass man sich das vielleicht auch einbildet, dann sind da zwei Leute, die auf einem rumhacken. Und da ist auf jeden Fall mein allergrößter Tipp: Versucht euch ernst zu nehmen und wisst, dass ihr nicht schuld seid. Das braucht ganz viel Arbeit. Das braucht auch bei mir ganz viel Arbeit. Ich habe das immer noch, wenn ich in eine Situation komme, dass ich erst mal denke: Oh, jetzt hast du das aber vielleicht auf dem falschen Ohr gehört, so hat die Person das vielleicht nicht gemeint. Und dann bin ich erst mal die ganze Zeit damit beschäftigt, anstatt dafür zu sorgen, dass ich irgendwas mache, was mir gut tut und ich wieder – ich weiß nicht – die Situation ordentlich verarbeiten kann und rauskomme, also mit dem Kopf. Ich muss sagen, ich hatte ganz schön zu kämpfen, als ich diese Tipps zusammengestellt habe, weil ich finde natürlich, die Verantwortung für diese Situationen niemals bei den Betroffenen. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt, das war am Beginn der Corona-Pandemie, wo eben viele dieser Anfeindungen stattfanden, so hilflos gefühlt. Und ich wollte einfach Menschen irgendwas an die Hand geben, dass sie sich wieder ein bisschen mächtiger fühlen, also der Situation mächtiger. Auch wenn das ganz oft nicht der Fall ist, aber einfach, dass man ein Gefühl von Kontrolle über die Situation hat, wenn man möchte. Und da ist eben ein Tipp, den habe ich tatsächlich schon einige Male auf Familienfeiern und diversen Veranstaltungen angewendet, nämlich, wenn Leute ihren Rassismus hinter Witzen tarnen, versuchen, sie komplett auflaufen zu lassen und einfach weiter zu fragen: "Ich habe den Witz nicht verstanden. Wie erklären Sie mir das? Was ist daran witzig? Erklären Sie mir, was daran witzig ist. Die Pointe, bitte." Und die meisten Leute merken dann schon langsam, okay, das war nicht witzig. Ich habe nicht immer die Energie dafür auf Familienfeiern. Manchmal will ich auch einfach nur gehen und denke mir: Okay, ich hol mir jetzt was zu essen und mache das irgendwie mit mir selbst aus und rede danach mit jemand anderem drüber. Aber manchmal merkt man das, was gerade passiert, und dann kann das vielleicht ganz gut helfen.
Was ich sehr gerne mache, ist, wenn Menschen fragen, wo ich herkomme ... – und manchmal rede ich gerne über meine Migrationshintergründe, vor allem, wenn es im geschützten Rahmen ist. Wenn das Leute sind, die ich schon länger kenne. Und ich sage: Kann ich euch jetzt mal erzählen – ... aber was natürlich ganz oft passiert, ist, dass irgendwelche Menschen, die ich noch nie gesehen habe, zu mir kommen und sagen: "Hallo, ich bin so und so und wo kommst du denn eigentlich her?" Und wenn ich da keine Lust drauf hab, dann sage ich immer: "Ich komme aus der Nähe von München. Und Sie?" Und dann frage ich sie weiter und nehme ich sie richtig ins Kreuzverhör. Und dann spiele ich das gleiche Spiel, das sie wahrscheinlich mit mir gespielt hätten, und frage: "Nee, aber davor. Aber ursprünglich, aber ganz ursprünglich." Und geb den Leuten quasi gar keinen Raum, ihre Fragen zu stellen. Und manchmal kommen da tatsächlich super interessante Sachen raus, weil viele Leute sich gar nicht so intensiv mit ihrer Herkunftsgeschichte befassen. Ich mein, Deutschland ist ein ziemlich junges Land, die meisten haben Wurzeln woanders, sagen aber, quasi, sie sind, ja, – "deutsch" ...


Ohler Ja, klar. Ich hatte es gerade im Buch aufgeschlagen, den Tipp, den Sie erwähnt haben. "Erzähl mir doch mal, was genau der Witz ist, wenn du mir ´Virus´ hinterherrufst. Ich habe die Pointe nicht ganz mitbekommen." Es gibt übrigens auch sehr interessante Hinweise auf Webseiten, wo man sich schlau machen kann. Da ist mir dieser Punkt jetzt noch eingefallen bei dem Tipp, den Sie vorhin auch erzählt haben. Man kann ja auch sagen, als jemand, der sozusagen nicht der direkt Adressierte ist – um das Wort "betroffen" zu vermeiden – : Wenn man so eine Situation mitbekommt, kann man ja auch selber sagen: Du, hör mal, du hast grad was gesagt, ich hab den Witz nicht verstanden,was hast du denn gemeint? Ohne dass man direkt adressiert worden ist. Das würde ich für eine interessante Wirkung auch dieses Buches halten und es dem Buch sehr wünschen, dass einfach andere aufmerksamer sind.


Gohring Auf jeden Fall. Das wäre sehr schön. Also ich finde, man sollte in Situationen, wo Betroffene dann auch anwesend sind, ja immer erst mal den Betroffenen den Raum geben, da zu gucken, möchten die gerade, dass ich sie unterstütze? Aber wenn man in seinem Freundeskreis ist und merkt so was – innerhalb von Freundeskreisen und Familienkreisen passiert das mal, dass solche Witze gemacht werden – dann wäre ich auf jeden Fall sehr dankbar, und viele andere Betroffene auch, wenn man dann sagt: "Hey, erklärt mir mal den Witz" oder "Hey, das war nicht in Ordnung, lass das in Zukunft."


Ohler Wir haben ja auch schon Reaktionen auf das Buch bekommen, hier im Haus. Welche Reaktionen gibt es, die Sie erzählen wollen, die Sie auf das Buch bekommen haben? Aus dem Umfeld, aus der Presse, aus anderen Feldern?


Gohring Ich kriege tatsächlich sehr viel positives Feedback von vielen Pädagoginnen. Da freue ich mich sehr darüber, weil das natürlich Leute sind, die wahnsinnig große Macht haben und an einer wahnsinnig wichtigen Stelle stehen bei vielen Menschen im Leben, wo es dann in die weitere Entwicklung geht. Deswegen freue ich mich sehr, dass mein Buch da an einer schönen Schnittstelle steht. Auch ansonsten habe ich überwiegend positive Kritik bekommen. Eine Kritik, die mal kam und wo ich mich freue, dass ich den Raum habe, die zu erwähnen, war, dass mein Buch sehr unverblümt und sehr direkt Rassismus reproduziere in seinen Bildern und in seiner Sprache. Und das war tatsächlich eine Sache mit dem Buch, wo ich mir noch lange Gedanken drüber gemacht habe: Soll ich das zeigen? Ich denke, mein Cover ist auch ziemlich aggressiv, und ich kann verstehen, wenn Betroffene im Buchladen stehen und sagen: Ich kann mir das jetzt nicht angucken, das ist mir zu hart, das triggert was in mir. Ich glaube, das ist alles auf jeden Fall auf meine Wut zurückzuführen, die ich in dem ganzen Entstehungsprozess hatte. Ich bin immer wütender geworden, als ich dieses Buch gemacht habe. Ich glaube, das merkt man auch ein bisschen in dem Buch. Ich wollte konkrete Beispiele nennen. Ich wollte sagen, genau das hier passiert, und ich zeige es so, wie es ist. Damit mir niemand sagen kann, so schlimm sei es doch nicht, oder hab dich doch mal nicht so. Ich glaube, es gibt ganz viele tolle Literatur, die das Ganze irgendwie auch für Betroffene so beschreibt, dass man sich nicht so schnell getriggert fühlt wie von meinem Buch. Ich glaube aber auch, dass es Bücher wie meines geben muss, die Rassismus klar aufzeigen und klar benennen und ganz konkret sind. Ich finde, es ist auch eine berechtigte Kritik. Als das gehörte, dachte erst mal: Oh ja, das stimmt. Und da habe ich mir lang Gedanken drüber gemacht, und es tut mir wahnsinnig leid, wenn ich Menschen damit wieder, neu triggere. Wie gesagt, ich kann mir das Buch auch nicht jeden Tag angucken.


Ohler Ich denke, das Gegenteil wäre ja fast, zu schweigen. Und das wäre die schlechtere Variante, scheint mir. Wir haben ja auch ein Fachbuch über Rassismus und Therapie, Beratung, Coaching, Supervision von Ilja Gold und anderen, die genau diese Problematik auch zeigen. Wenn man es thematisiert, ist es da. Aber ansonsten ist es ja auch da, bloß nicht thematisiert. Also da meine ich jetzt, es ist besser, wenn man es thematisiert.
Ja, ich habe noch zwei Fragen. Wir sind ja immer noch in besonderen Zeiten. Sie haben das erwähnt, was da passiert ist, als Sie in Bologna waren, im Kontext der Pandemie. Was ist Ihnen noch besonders aufgefallen in diesen Zeiten, jetzt, vielleicht auch in den Zeiten von kriegerischen Auseinandersetzungen, allgemein und vielleicht auch in Bezug auf das Thema Rassismus? Gibt es da noch was?


Gohring Was mir auf jeden Fall aufgefallen ist, ist, dass die letzten Jahre eine wahnsinnig große Bereitschaft war, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Gleichzeitig bildet sich bei mir die Sorge, dass es nicht so bleibt, dass es ein Trend ist, der kommt und geht. Und an der Stelle sei gesagt: Rassismus ist kein Trend. Das ist eine Thematik, mit der man sich jeden Tag auseinandersetzen sollte und muss. Auf der anderen Seite bin ich wahnsinnig dankbar, dass ich in einer Zeit lebe, in der gerade so viel drüber gesprochen wird und wo ich das Gefühl habe, dass gerade ganz viele neue Regeln und Umgangsformen miteinander ausdiskutiert werden. Das hört man viel, in einigen Debatten, dass Leute sagen, jetzt dürfe man gar nichts mehr sagen. Andere sagen, man muss aber viel mehr auf seine Sprache achten. Und ich glaube, das ist gerade sich alles am Ausloten. Auf der einen Seite ist es wahnsinnig anstrengend, dem sozusagen beizuwohnen. Auf der anderen Seite bin ich dankbar, dass ich das Gefühl habe, mitreden zu können und mitgestalten zu können. Wie ein neuer Umgang miteinander aussieht und wie wir auf dem Weg gehen können, als Gesellschaft inklusiver zu werden. Ich sehe dieses ganze Durcheinander, das gerade passiert – vor allem, was politische Sprache angeht – als eine wahnsinnig große Chance, sich toll einsetzen zu können und mitgestalten zu können.


Ohler Es spricht einiges dafür, es zu thematisieren, dass es nicht zur Mode degeneriert. Ich meine, ich weiß nicht mehr, ob es Fritz Simon war oder jemand anders, der gesagt hat: Wir müssen lernen, dass Rassismus der Normalfall ist und nicht der Ausnahmefall. Was es aber nicht schwächt, im Sinne von "Das ist halt normal", sondern "Das ist das Problem".


Gohring Ganz genau. Okay.


Ohler Die typische Carl-Auer Sounds of Science Abschlussfrage auch für Sie, Dian Gohring. Es ist ja manchmal so, wenn man sich verabredet für das Gespräch, dann hat man die Idee, das oder das werde ich bestimmt gefragt, und das kommt vielleicht vor, das wird mich interessieren. Dann kommt es aber gar nicht vor, weil ich es nicht gefragt habe zum Beispiel. Oder es fällt einem im Gespräch was ein, das lässt man erst mal links liegen, und dann ist das Gespräch zu Ende und da liegt es noch. Sollte es sowas geben oder irgendwas nicht gefragt worden sein, fühlen Sie sich eingeladen, sich selbst mal eine Frage zu stellen, noch ein Statement zu sagen und den Abschluss zu bilden. Danke.


Gohring Ja, danke für diese tolle Frage. Die bekam ich nämlich in den Interviews, die ich davor geführt habe, nicht. Und ich spreche als Illustratorin natürlich wahnsinnig gern über meine Bilder, wie meine Bilder entstanden sind, welche Farben ich benutzt habe, über Gedanken, die ich mir zu verschiedenen Bildkompositionen gemacht habe. Und ich verstehe, dass mein Thema eben allein schon durch die Thematik sehr viel Raum braucht. Aber genau, ich spreche eigentlich noch wahnsinnig gerne immer über den Entstehungsprozess des Buches. Ich hatte nämlich ursprünglich vor, das alles viel mehr in der Comic-Form machen, also mit Figuren, die auch eher comichaft gezeichnet waren. Ich hatte ein riesen Storyboard an meiner Wand hängen mit dem kompletten Buch, bei dem ich immer wieder Bilder runtergemacht habe, wieder dran geheftet, mehrere Bilder übereinander geklebt habe. Und ich war so glücklich mit meinem Storyboard. Das waren einfach schnell gezeichnete Comicfiguren von mir. Einfach der Praktikabilität wegen. Und ich habe dann gemerkt, als es an die Ausarbeitung ging – das Storyboard stand – und dann meinte: OK, jetzt muss ich nur noch die fertigen Bilder malen, perfekt, fertig. Und dann habe ich versucht, diese Comicfiguren auszuarbeiten, und das hat plötzlich nicht mehr funktioniert. Ich habe gemerkt, diese gezeichneten Comicfiguren, die schaffen es irgendwie, einen gewissen Charme und Witz rüberzubringen und trotzdem ihre Ernsthaftigkeit zu behalten. Wenn ich das Ganze aber mit Aquarell und Buntstift – das sind die beiden Medien, die ich benutzt habe – in dem Buch ausarbeitete, dann funktioniert das nicht mehr. Das sieht dann ganz komisch aus. Ich hab irgendwie das Gefühl, dass ich mich dann eher über die Thematik lustig mache, was ganz interessant war, weil ich ja quasi nur den Stift gewechselt habe. Dann begann eine ganz lange Krisenzeit, und ich hatte ja nur sechs Monate dafür. Ich hab wahnsinnig viel Zeit damit verbracht zu überlegen: Wie stelle ich jetzt meine Figuren dar? Wie schaffe ich es, dass Sich Menschen ernst genommen fühlen? Wie schaffe ich es aber auch irgendwie noch so ein bisschen meinen – Ja, es ist immer schwierig, sich selbst zu loben – aber den Charm meiner Figuren irgendwie beizubehalten. Das war ein ganz schöner Kampf. Und ich bin froh, wie es jetzt am Ende geworden ist.
Es ist schön, dass es auch in einer Kritik tatsächlich aufgefallen ist, die ich auf einem Blog gelesen habe, dass ich die Farben benutze von blau bis rot und es dann noch lila Töne dazwischen gibt. Das Buch ist am Anfang in Blautönen gehalten. Ich habe da auch noch Notizen, wo ich drüber schreibe. Blau bedeutet Zurückhaltung und Angst und bleiben im Vertrauten. Ich bin in Bayern groß geworden, und da ist auch die Farbe Blau. Dann wird das Buch, je lauter ich werde in dem Buch und je mehr ich für mich selbst einstehe, wird es rot. Rot ist die Farbe von Wut und Zorn, ist die Farbe von Leidenschaft, und auch die chinesische Glücksfarbe – die ich damit quasi auch endlich nach außen trage. Und ja, ich muss auch sagen, nach dem Buch war ich auch stolzer auf meine Identität, als ich es davor war. Und das hatte auch, glaube ich, viel damit zu tun, wie ich mir dieses Farbschema erarbeitet habe. Jetzt, heute, trage ich auch wieder blau, aber dazwischen doch mehr rot. – Und dann gibt es noch die lila Töne, die quasi den Zwischenzustand beschreiben zwischen diesen beiden Phasen. Manchmal fällt man dann in den blauen Zustand zurück, manchmal hat man einen Tag, der ganz rot ist, und manchmal ist es ne lila Suppe, in der man sich befindet.


Ohler Jetzt bin ich so froh, dass es die Frage gibt, weil die zeigt natürlich immer die blinden Flecken des Interviewers, und danke, dass Sie das so klar ergriffen haben. Die Möglichkeit, darüber noch zu sprechen ist sehr, sehr spannend und sehr wichtig für so ein aufwendig illustriertes Buch. Liebe Dian Gohring, ich danke herzlich für Ihre Zeit, war sehr spannend für mich. Ich habe viel gelernt und viel mitbekommen und ich denke, die Hörerinnen Hörer auch. Und wenn sie im Süden oder Südwesten sind, sind Sie willkommen bei uns. Und bis dahin alles Beste von mir, von den Kolleginnen, vom Carl-Auer Verlag. Und ich denke, auch von den Hörerinnen und Hörern alles Gute. Vielen Dank für Ihre Zeit.


Gohring Danke schön.