Lösungsfokussierung

engl. solution focused; der Begriff »Lösung« hat mehrere Bedeutungen: Überführen eines unbefriedigenden Ist-Zustandes in einen befriedigenderen Soll-Zustand; Auflösen eine festen Substanz in einer Flüssigkeit, sodass sie als solche nicht mehr von ihrer Umgebung unterscheidbar ist; Entfernung eines Gegenstandes aus einer Befestigung, sodass er besser beweglich wird. »Fokussieren« bedeutet scharf stellen oder bündeln, abgeleitet als »Zentrum des Interesses« von lat. focus = »Herd«. Lösungsfokussierung ist die Grundlage eines von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg (de Shazer 2008, 2010; de Shazer u. Dolan 2008; de Jong u. Berg 2010) ursprünglich als »Solution Focused Brief Therapy« (SFBT) entwickelter Beratungs- und  Therapieansatz. Wie aus der semantischen Erklärung unmittelbar deutlich wird, bündelt er die Aufmerksamkeit aller Gesprächsteilnehmer konsequent auf das Verschwinden oder zumindest die Minderung von als Problem angesehenen Ist-Zuständen, sodass mehr Handlungsmöglichkeiten zuerst gedacht und später umsetzbar werden.


Das Konzept der Lösungsfokussierung hat seine Wurzeln einerseits in den Konzepten der systemischen (System) Therapie, wie sie ursprünglich im Mental Research Institute (MRI), Palo Alto/Kalifornien, von Bateson und seinen Schülern Jackson, Weakland, Fisch und Watzlawick (vgl. Watzlawick et al. 2008) als Familientherapie entwickelt wurden, und andererseits in der Hypnotherapie nach Milton Erickson (Haley 2010; Zeig 2006), die durch Erfindung potenzialaktivierender Geschichten ihre Klienten in einer Lösungstrance hält.


De Shazer und Berg entwickelten ursprünglich kein eigenes Theoriegebäude, sondern orientierten sich pragmatisch an dem, was nützt in dem Sinne, dass die Klienten freier von ihren Problemen wurden. Erst in späteren Jahren, ab 1989, stellte de Shazer einen starken Bezug zur Sprachphilosophie Wittgensteins (1984; vgl. auch Schulte 1989) her, in der eine theoretische Fundierung der vorher praktisch bewährten Vorgehensweisen der SFBT gefunden wurde. Dieser Pragmatismus geht davon aus, dass Menschen über Kompetenzen verfügen, um die Anforderungen des Lebens zu bewältigen, und dass es sinnvoll ist, solche Menschen zu beobachten, die mit eigenen Mitteln und dem Aufbau unterstützender Netzwerke ihre Probleme gut lösen.


Von den Gründungspersonen de Shazer und Berg selber formulierte Leitsätze der Lösungsfokussierung (de Shazer u. Dolan 2008) sind:


• Was nicht kaputt ist, muss auch nicht repariert werden! Demnach sind Beratung und Therapie nur angezeigt, wenn Klienten etwas als problematisch erleben. Prophylaktische Beratung ist nach diesem Ansatz nur dann erforderlich, wenn die Furcht vor zukünftigen Problemen als problematisch erlebt wird.
• Das, was funktioniert, sollte man häufiger tun! Entsprechend dem genannten pragmatischen Vorgehen, werden Klienten konsequent ermutigt, nützliche und bewährte Vorgehensweisen zur Bewältigung des Alltags und von Problemen einzusetzen und möglichst viele Erfahrungsfelder dazu zu nutzen.
• Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren! Im Umkehrschluss werden Klienten dazu ermutigt, die Art und Weise des Umgangs mit den Anforderungen des Alltags ebenso wie mit Problemen, die von ihnen als beklagenswert beschrieben werden, zu ändern und dazu dosierte, überschaubare (emotionale) Risiken einzugehen.
• Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen! Mit dieser Annahme werden mit den Klienten »kleinstmögliche« Veränderungsschritte ausgehandelt. Pragmatisch führt dieses Vorgehen zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Umsetzung und damit zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Erfolgserlebnissen, was wiederum die Zuversicht, sich Veränderungen zu stellen, erhöht.
• Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen! Dieser Leitsatz fokussiert auf die Erkenntnisse von Resilienztheorien und der Salutogenese, dass Veränderungen nicht notwendigerweise eine Analyse oder Betrachtung von Problemen voraussetzen, sondern dass wir am besten von den Menschen lernen, die Veränderungen ohne professionelle Unterstützung erreichen.
• Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig ist! Dieser Leitsatz bezieht sich am stärksten auf Wittgenstein und sein Statement: »Die Sprache des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.« Will man in die Zukunft schauen, braucht man eine optimistische und (selbst)ermutigende Sprache, die sich deutlich von einer problem- und vergangenheitsorientierten Sprache unterscheidet.
• Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können! Hier wird davon ausgegangen, dass kein Problem kontinuierlich gleichbleibt und als gleich erlebt wird. Daher ist es Aufgabe von Beratern und Therapeuten, nach Ausnahmen zu suchen, also nach Zeiten, in denen der als problematisch erlebte Zustand nicht oder seltener oder gemildert auftritt. Denn diese Situationen bieten den Schlüssel zu Veränderungen.
• Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares! Mit diesem Leitsatz wird die Verbindung zum Konstruktivismus hergestellt. Menschen werden nicht als Determinanten ihrer eigenen Handlungen oder ihres  Kontextes gesehen – seien es soziale und kulturelle Hintergründe oder Diagnosen – und die Zukunft wird als Ort der Zuversicht gesehen, der Visionen ermöglicht, die als Leitlinien für neues Handeln dienen.


In den Publikationen und den konzeptionellen Beschreibungen der Protagonisten der SFBT, de Shazer und Berg, und weiterer Praktiker (z. B. Dolan 2009; Furman 2008a, 2008 b; Furman u. Ahola 2010; Isebaert 2009; Walter u. Peller 2004; Bamberger 2010), werden konkrete Vorgehensweisen beschrieben, an denen lösungsfokussiertes Arbeiten beobachtbar wird. Hier zeigt sich, ob und wie eine lösungsorientierte Haltung in lösungsfokussiertes Handeln in der Beratung umgesetzt wird. Die wichtigsten sind die folgenden.


Eine konsequent auf Lösungen ausgerichtete Haltung, Auftrittsweise und Sprache verbreitet bei den Klienten Zuversicht, dass es möglich ist, das Leben zu verbessern und zu erleichtern. Keinesfalls geht es darum, Schweres schönzureden oder zu bagatellisieren. Diesem ist mit Respekt zu begegnen, vor allem den damit verbundenen  Gefühlen. Dieser Respekt äußert sich auch darin, dass allen Reaktionen – von anderen Ansätzen gerne als »Widerstand« bezeichnet –, die das Bedürfnis nach Schutz, Vorsicht und Langsamkeit ausdrücken, wertschätzend begegnet wird. Lösungsfokussierte Berater reagieren daher mit Fragen und nicht mit Konfrontationen. Eine Haltung der anteilnehmenden Neugier drückt sich in einer Sprachlichkeit aus, die konkret und zukunftsorientiert alle auch kleinen Veränderungen wertschätzt.


Eine Suche nach früheren Lösungen, nach Ausnahmen und nach Unterstützern fokussiert die Klienten auf ihre Ressourcen und äußert sich in der Suche nach Kompetenzen in der Vergangenheit und in Nischen, in denen das Problem als geringer erlebt wird. Der Fokus auf Unterstützern fördert die Orientierung auf Netzwerke, die über die akute Beratung hinaus Bestand haben.


Fragen nach Sichtweisen und Perspektiven, die auf die Gegenwart und die Zukunft fokussieren, helfen (Helfen) den Klienten, sich auf einer Entwicklungslinie zu verorten, die immer einen besseren Umgang mit den Anforderungen des Lebens gestattet. Skalierungsfragen rücken die Entwicklung in den Vordergrund, die Wunderfrage orientiert auf eine bessere Zukunft. Lösungsfokussierte Berater enthalten sich daher der Interpretationen und Deutungen.


Komplimente, Anerkennung und Ermutigung drücken die Anteilnahme aus und fokussieren auf Kompetenzen, die zu wenig beachtet werden. Ermutigungen regen eher zu Experimenten mit eigenen Planungen an als Verschreibungen.


Die von vielen Autoren gewählte Bezeichnung »Lösungsfokussierung« zeigt deutlich, dass dieser Ansatz eine Haltung der Lösungsorientierung an konkrete Vorgehensweisen knüpft, die beobachtbar und überprüfbar sein müssen.


Verwendete Literatur


Bamberger, Günter G. (2010): Lösungsorientierte Beratung. Weinheim (Beltz).


De Jong, Peter u. Insoo Kim Berg (2008): Lösungen (er)finden: Das Werkstattbuch der lösungsorientierten Kurztherapie. Dortmund (Modernes Lernen), 6., erw. u. überarb. Aufl.


de Shazer, Steve (2008): Worte waren ursprünglich Zauber: Von der Problemsprache zur Lösungssprache. Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl. 2010.


de Shazer, Steve u. Yvonne Dolan (2008): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl. 2011.


Dolan, Yvonne (2009): Schritt für Schritt zur Freude zurück: Das Leben nach traumatischen Erfahrungen meistern. Heidelberg (Carl-Auer).


Furman, Ben (2008a): Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben. Dortmund (Modernes Lernen).


Furman, Ben (2008b): Ich schaffs! Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden – Das 15-Schritte-Programm für Eltern, Erzieher und Therapeuten. Heidelberg (Carl-Auer), 4. Aufl. 2011.


Furman, Ben u. Ahola Tapani (2010): Es ist nie zu spät, erfolgreich zu sein: Ein lösungsfokussiertes Programm für Coaching von Organisationen, Teams und Einzelpersonen. Heidelberg (Carl-Auer).


Haley, Jay (2010): Die Psychotherapie Milton H. Ericksons. Stuttgart (Klett-Cotta).


Isebaert, Luc (2009): Kurzzeittherapie – Ein praktisches Handbuch: Die gesundheitsorientierte kognitive Therapie. Stuttgart (Thieme).


Schulte, Joachim (1989): Wittgenstein – Eine Einführung. Stuttgart (Reclam).


Walter, John L. u. Jane E. Peller (2004): Lösungsorientierte Kurztherapie. Dortmund (Modernes Lernen).


Watzlawick, Paul, John H. Weakland u. Richard Fisch (2008): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern (Huber).


Wittgenstein, Ludwig (1984): Werkausgabe in 8 Bänden. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Zeig, Jeffrey K. (Hrsg.) (2006): Meine Stimme begleitet Sie überallhin. Ein Lehrseminar mit Milton H. Erickson. Stuttgart (Klett-Cotta).