Systemische Therapie am besten evaluiert

Im Rahmen der Gesprächsreihe Heidelberger Systemische Interviews traf sich im Mai 2022 Rüdiger Retzlaff mit Stefan Beher, der heute an der Medinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum arbeitet und in den langen Jahren der vorbereitenden Expertise zur Anerkennung der Systemischen Therapie zu einer Kerngruppe gehörte, für die er insbesondere mit Forschungssichtung entscheidend zum Erfolg beitragen konnte. Wieviel Zähigkeit und Mut braucht es für ein Engagement zur Erreichung solcher langfristiger Ziele? Und wie sind die erwarteten oder unerwarteten Ergebnisse zu bewerten? Aus einem Blick von der damaligen Zukunft, also von heute aus, gesehen, kommt Stefan Beher zu dem Schluss: "Der Konstruktivismus ist eigentlich der Gewinner des positivistischen Wettbewerbs gewesen. Denn nach der Logik von Evidenzbasierung, Stand heute jedenfalls, ist die Systemische Therapie so gut evaluiert wie keine andere Schule in Deutschland."



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Transkription des Interviews


Retzlaff Herzlich willkommen bei den Heidelberger systemischen Interviews. Ich freue mich sehr heute Dich, Stefan Beher, hier begrüßen zu können. Du bist eines der ganz zentralen Mitglieder unserer Expertise gewesen, und es soll heute darum gehen, noch mehr aus deiner Perspektive zu erfahren, wie du diesen langen Werdegang des Projektes erlebt hast. Und ich spring vielleicht mal mitten rein in das Thema. Danach kannst du dich erinnern und erzählen. Wie bist du eigentlich zu diesem Thema gekommen?


Beher Ja. Hallo erstmal, lieber Rüdiger, und vielen Dank für die nette Einladung. Ich freue mich auf das Gespräch und kann mich noch ganz gut erinnern, wie es dazu gekommen ist, in der Expertengruppe mitzumachen. Das Ganze hat seinen Lauf genommen mit einem Praktikum, das ich in Heidelberg in der Bergheimer Straße in der Abteilung von Jochen Schweitzer gemacht habe. Da bin ich damals relativ zum Ende meines Theologiestudiums hingekommen, ein bisschen aus der Situation heraus, dass ich einerseits noch so ein Praktikum machen musste, um meinen Abschluss zu kriegen, und andererseits so inspiriert war durch mein Soziologie-Studium, das ich noch so nebenbei, erst hobbymäßig und dann tatsächlich auch noch bis zum Abschluss, betrieben habe. Da hatte ich die Systemtheorie kennengelernt, was mich sehr in seinen Bann gezogen hat, und darüber habe ich dann auch ein Bewusstsein bekommen dafür, dass es auch so etwas gibt in der Psychologie, das sich irgendwie für Systemtheorie interessiert. Und nun war ich schon immer in meinem Studium ein bisschen enttäuscht von der klinischen Psychologie, die sich so ganz hart auf kognitive Verhaltenstherapie fokussiert hatte. Was anderes kannte man da auch gar nicht. Also vielleicht noch ein bisschen Psychoanalyse, aber das auch nur aus schlechten Witzen, und alles andere kam praktisch nicht vor. Und dann durch diese Begeisterung für die Systemtheorie und das so ganz dunkle Wissen, dass es da auch irgendwie ein Pendant in der Psychotherapie gibt, habe ich einfach gegoogelt und ein bisschen recherchiert und bin dann relativ schnell auf Heidelberg gekommen. Ich habe mich dann sozusagen aus der aus der Ferne, aus Mainz, bei dem Jochen Schweitzer einfach per Email gemeldet und war total positiv überrascht, dass ich relativ kurzfristig eine Praktikantenstelle dort bekommen habe. Dann hat sich das für mich erstmal alles total super angehört. War auch schon so ein bisschen noch mal ein Abstimmungsprozess. Der Jochen hat mir hinterher erzählt, dass er gar nicht mehr damit gerechnet hätte, dass ich das Praktikum überhaupt haben will, weil ich so viele Fragen vorab gestellt habe und alle möglichen Sachen wissen wollte. Vielleicht auch schon aus den Enttäuschungen meiner vorherigen Praktika heraus, aber für mich war das von vornherein eine interessante Sache. Und dann bin ich da also nach Heidelberg gereist und habe mir dafür die sechs Wochen oder acht Wochen, die das gedauert hat, zur Untermiete ein Zimmer in einer sehr sympathischen WG organisiert. Und dann war das ein super Praktikum. Ich war vom ersten Tag an total begeistert von dem, was ich da erleben konnte. Von den Therapien, bei denen ich mit hinter dem Einwegspiegel sitzen durfte. Ich kann mich noch ganz genau erinnern an die Bibliotheken, in denen Bücher standen über Erkenntnistheorie und über ganz vieles, philosophische Perspektiven auf Therapie. Also eigentlich all das, was ich in der klinischen Psychologie in Mainz komplett vermisst habe, das gab's da alles plötzlich. Und dann fand ich eben auch den Jochen total beeindruckend als Therapeut, fand diese Therapien total spannend und interessant und bin auch viel auf Fortbildungen um systemische Forschung mitgereist. Das Projekt war damals noch mitten in der Mache, dann war ich in Gummersbach, glaube ich, irgendwie auf einem Blog dabei, war auf einer Tagung. Das hat mich auch total begeistert, was da für tolle Referenten waren. Das waren für mich ganz neue Welten. Tatsächlich. Und deswegen war mir dann auch relativ schnell klar war, das könnte sich richtig lohnen, in diesem Kontext jetzt auch die Diplomarbeit zu schreiben, die ich ja auch noch vor mir hatte. Und auch das war damals gar nicht so eine schöne Aussicht, weil ich schon die Befürchtung hatte, ah, da muss ich jetzt so ein langweiliges Thema irgendwo durchackern und alle möglichen Fliegenbeinzählungen irgendwie machen zu irgendwas, was am Ende dann eh niemanden interessiert oder eh niemand liest. Dann habe ich den Jochen gefragt, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, bei ihm eine Diplomarbeit zu schreiben. Und zwar ganz offen jetzt. Ich habe noch gar kein gar kein Thema im Sinn, sondern wollte einfach dort meine Abschlussarbeit schreiben, weil mir das Praktikum so gut gefallen hat. Und dann hatte Jochen die Idee – es gab, glaube ich, eine oder zwei andere schon zum Thema – . eine neue Recherche zur Wirksamkeit von systemischen Therapien zu machen. Und das hat mich sofort angesprochen. Es war in dem Moment, als er den Vorschlag gemacht hat, klar: Okay, das ist eine total interessante Sache, weil ja auch in meinem Mainzer Studium diese ganze Evidenzbasierung eine große Rolle gespielt hat und dort irgendwie so die Idee war, KVT sei halt gut und alles andere ist unwissenschaftlich. Da ich irgendwie fand, das kann ja gar nicht sein, dass diese tollen Therapien jetzt irgendwie nix bringen, dachte ich, okay, das ist ein super Thema, da würde ich mich gern mit beschäftigen, da habe ich richtig Lust drauf. Und dann habe ich sofort zugesagt. War dann auch noch ein bisschen organisatorischer Aufwand, weil ich ja an der Universität in Mainz die Arbeit schreiben musste. Das heißt, ich brauchte noch eine Betreuung auch an der Heimat-Universität. Da habe ich das große Glück gehabt, dass die Frau Seiffge-Krenke, bei der ich damals einen HiWi-Job hatte, sich dazu bereit erklärt hat und das auch sehr sehr nett begleitet hat. Obwohl sie ja jetzt eigentlich gar nichts mit systemischer Therapie zu tun hat im engeren Sinne, und das durchaus auch als irgendwie eine Art Konkurrenzveranstaltung hätte wahrnehmen können. Aber die hat das total nett von Mainz aus andocken lassen. Und dann war die Diplomarbeit geboren, und da ging es eben um die Frage: Was gibt es für Wirksamkeitsstudien, die systemische Therapie untersuchen. Und so war ich im Thema drin.


Retzlaff Vielleicht kann ich mich da von meiner Seite noch mal einschalten. Das war ja eine glückliche Fügung. Ich war von Miami zurückgekommen, von der AFTA-Tagung, mit der Idee, dass es eben genügend Evidenz gäbe, man müsste sie nur einsammeln. Ich habe das Jochen erzählt, der am Anfang ein bisschen zurückhaltend war und dann aber irgendwann im Herbst erzählte, er hätte einen sehr talentierten jungen Psychologie-Studenten, der sei unter Umständen bereit, ihre Diplomarbeit zu schreiben. Und das war eigentlich aus meiner Sicht der Anfang einer ziemlich gelungenen Zusammenarbeit. Eine Frage dazu. Du hättest gesagt, einerseits sei da die Begeisterung, dass immer sehr viele Leute, die zur systemischen Therapie finden, irgendwie merken: Mensch, das ist ein richtig tolles Feld. Du hast aber auch erzählt von dem trockeneren Teil der Wissenschaft. Und ich weiß noch, ich hatte ja auch dieses Buch von Sprenkle über die Wirksamkeit der Familientherapie aus amerikanischer Sicht, und das ist eine Diskussion, die uns ja immer wieder beschäftigt hat. Also wie grenzen wir systemische Therapie möglichst sauber ab, auch von, sagen wir mal, behavioral-systemischen Ansätzen oder Ansätzen aus anderen Richtungen, in denen Familientherapie eher als Setting eine Rolle spielt? Das haben wir ja nach nächtelangen Recherchen, und zum Teil Kontroversen, aber dann doch einvernehmlich gelöst, das Thema. Vielleicht erzählst davon, auch handwerklich, ist vielleicht für den einen oder die andere Hörerin interessant, wie man so was handwerklich angeht.


Beher Ja. Also es war tatsächlich ein Dauerbrenner unserer ganzen Zusammenarbeit. Also ich fand durchaus auch ein sehr produktiver, auch wenn mir so im Nachhinein vielleicht noch ein bisschen klarer wird, dass ich an der einen oder anderen Stelle damit auch ganz gut genervt habe. Vielleicht aus meiner über Identifizierung mit Systemtheorie und systemtheoretischen Konzepten heraus. Also in der Tat, das war dann auch in einer relativ frühen Phase meiner Diplomarbeit, da kamst du mit dem Sprenkle-Buch um die Ecke, und als ich da den Klappentext gelesen habe, dachte ich erst: Ach Scheiße, der hat ja jetzt im Prinzip meine Diplomarbeit schon geschrieben. So, und was jetzt? Was bleibt mir jetzt überhaupt noch an Eigenleistung? Jetzt kann ich irgendwie das Buch auf Deutsch übersetzen und vielleicht pro forma vielleicht noch so zwei, drei extra Studien finden, das war's dann aber auch. Das war irgendwie keine so richtig gute Aussicht. Aber es wurde mir dann relativ schnell klar, dass das, was Sprenkle an Studien zusammengetragen hat, eben aus dem amerikanischen Kontext heraus eigentlich zu 80 bis 90 % Interventionen betraf, die ich niemals als systemisch verstanden hätte, sondern die Betreffenden im Prinzip Familientherapie veranstaltet haben, aber eben mit verhaltenstherapeutischer Methodik, also irgendwelchen Trainingsprogrammen zur besseren Kommunikation, die auch fast schon so manualmäßig da durchgelaufen sind. Kann man ja alles machen. Aber ich fand, das ist jetzt nicht das was, was meine Idee war, was ich untersuchen wollte. Und das war auch das erste Mal, dass mir dann auch überhaupt klar wurde, dass die ganze Schulen-Unterscheidungen, die wir in Deutschland hier irgendwie normal finden, in Amerika so eigentlich eher unbekannt ist. Und dass man es dort, wenn man jetzt sozusagen das Feld versucht zu ordnen, dann eher eben mit der Kategorie von family therapy zu tun bekommt, wo dann eben alle möglichen Interventionsarten angewandt werden und es dann eigentlich darauf auch gar nicht mehr so sehr ankommt konzeptuell, sondern eben eher das Setting wichtig ist. Und das war für mich tatsächlich ein ganz interessanter Lernschritt damals, diese Unterscheidung einfach zwischen Setting und Methodik noch mal zu machen, oder einem konzeptuellem Verständnis dessen, was man dann in dem Setting überhaupt macht. Was man auch tatsächlich leicht ein bisschen durcheinanderbringt, weil man ja, jedenfalls auch wieder hier in Deutschland, dann tatsächlich die Familientherapie vor allem mit systemischer Therapie zusammenbringen würde, weil – ich kenn jetzt da gar keine Zahlen zu, aber ich würde mal stark vermuten – die allermeiste Familientherapie wird systemische Familientherapie sein. In der Verhaltenstherapie gibt es auch Familientherapie, aber das wird nicht den Stellenwert haben. Sodass man schnell auf die Idee kommen kann, das einfach identisch zu setzen, es aber sich natürlich, wenn man jetzt nach der Schulen-Logik denkt – und nach der geht es ja letztlich, wenn es jetzt hier um Anerkennung dieser Schule auch gehen soll – dass man natürlich dann nicht so weit kommt, wenn man sich am Setting orientiert, innerhalb dessen dann eben ganz viel Konzeptuelles stattfinden kann. Und insofern war ich dann im zweiten Schritt fast schon erleichtert, weil klar war, nein, der hat meine Diplomarbeit noch gar nicht geschrieben, und es war sogar umso besser, weil das mal ein zusätzlicher Abgrenzungspunkt ist, wo man jetzt mal klar und noch ein bisschen tiefenschärfer deutlich machen kann, das ist jetzt systemische Therapie und das ist vielleicht dann eben keine systemische Therapie. Und auch das war ja dann im Prinzip die Frage, die uns über die ganze Zusammenarbeit begleitet hat, mit sehr unterschiedlichen Ideen davon, wie eng oder weit man da jetzt die Scheunentore aufmachen will und wie klug oder blöde das dann in verschiedenen Hinsichten sein könnte.


Retzlaff Also zahlenmäßig hast du sicherlich recht. Es gibt aber durchaus verhaltenstherapeutische Kolleginnen, und auch eine ganze Reihe von psychoanalytischen Kollegen, die sich für die Familientherapie, auch für systemische Ideen begeistert haben. Parallel läuft ja das Prüfverfahren für die systemische Kinder- und Jugendlichen-Therapie. Da sind diese Fragen, wie definiert man sich selber, wie grenzt man sich ab? Die sind ja hoch relevant. Wir hatten dann ja eine interaktionelle Definition des Verfahrens gewählt. Auch wie würdest du den Unterschied sehen, oder wie würdest du das systemische abgrenzen, wenn du das in zwei oder drei Sätzen sagen kannst?


Beher Also gerade in dem Zusammenhang ist das eine schon sehr komplizierte Frage, weil ja dieser ganzen Logik der Anerkennung und der damit zusammenhängenden Forschung die Idee zugrunde liegt, dass es im Prinzip so eine Art "Auffangbehälter" für eine bestimmte Sorte von, sozusagen, Techniken gibt, die dann einer Schule zugehören. Und das würde ich, glaube ich, so schon mal gar nicht mitmachen für ein systemisches Verständnis, sondern ich würde auf einer ganz anderen Ebene ansetzen und eben systemische Interventionen verstehen als Interventionen, die sich konzeptuell eben an einer Systemtheorie – da gibt es natürlich auch verschieben, an denen man sich orientieren könnte – aber eben an systemtheoretischen Prinzipien orientieren, auch von Veränderungslogiken, aber auch, zum Beispiel, einfach von Unterschiedsbildung, sozial versus psychisch, und auch bezogen auf eine Eigenlogik von, zum Beispiel, Bewusstseinssystemen beziehen und daraus im Prinzip die Interventionen abstimmen. Und wenn man es so denkt, dann gibt es im Prinzip keine einzelne Technik, die sozusagen systemisch ist. Nur weil ich jetzt eine zirkuläre Frage gestellt habe, habe ich dann noch nicht systemisch gearbeitet, sondern wenn das im Prinzip in das systemische Denkmodell reinpasst, in die Konzeptualisierung, aus der heraus ich eben meinen Fall konzipiere. Das wäre dann jetzt, in aller Kürze ,ein Unterschied, der auch ein bisschen die Logik unterläuft, unter der wir im Prinzip diese Expertise geschrieben haben, aber wahrscheinlich auch die Logik, die auch eher die etablierte ist, wenn man eben von solchen Schulen-Unterscheidungen ausgeht.


Retzlaff Ja, ich meine, es ist ja auch ein Dilemma. Wir haben ja eigentlich Erfolg gehabt, letzten Endes auch mit sehr großer, nachdrücklicher Unterstützung von den Fachverbänden, sozusagen später, als es um diesen politischen Anerkennungsprozess ging, aber auch von der ganzen wissenschaftlichen Arbeit, haben wir uns ja der Herausforderung gestellt, sozusagen nach den Spielregeln, die gesetzt sind vom wissenschaftlichen Beirat und vom GBA, zu zeigen, wir können auch Wirksamkeitsforschung, oder wir können als Systemiker auch nachweisen nach den Regeln, die es gibt, randomisierte kontrollierte Studien, und so weiter, wir sind dabei. Und gleichzeitig, – hast du ja angedeutet, wir haben auch immer wieder darüber gesprochen – gibt es ja auch sowas wie allgemeine Therapie-Faktoren. Es gibt ja nicht nur Techniken, die wirken. Viele Kollegen, mich inbegriffen, sagen auch, die Haltung, mit der ich Menschen begegne, oder Familiensystemen oder Paaren, spielt eine riesige Rolle. Und wie löst du dieses Dilemma auf: Auf der einen Seite fahren wir oder sind wir unterwegs in dem Bereich der Wirksamkeitsforschung nach den APA-Kriterien oder was immer, und auf der anderen Seite kennen wir beide ja wirklich sehr gründlich diese anderen Ergebnisse zu den allgemeinen grundlegenden Faktoren.


Beher Ich würde sogar vielleicht noch einen Schritt weitergehen und gleichzeitig aber auch gar nicht so ein großes Dilemma daraus für mich definieren. Sondern grundsätzlich ist die Logik, auf die man sich einlässt, wenn man jetzt diese ganze Wirksamkeitfrage jetzt nach den geltenden Regeln beackert, ist die Logik eben eine Art medizinisches Modell für Psychotherapie, also die Idee, dass es in der Psychotherapie so ähnlich zugeht wie beim Arzt. Man kriegt eine Diagnose und man kriegt eine darauf passende Intervention, die dann so ein bisschen nach der Logik von Krankheitskonzepten irgendwie läuft. Der Klient ist dann auf jeden Fall ein Patient und der ist krank und braucht die wirksame Intervention, die man irgendwie über randomisiert kontrollierte Studien identifizieren kann und am besten dann irgendwie als Manual sozusagen durchführt. Weil alles andere wäre ja irgendwie dann auch gepantschte Medizin, die man den Patienten besser nicht gibt, sondern das soll da schon die Reinform sein, die man in solchen Studien als wirksam rausgefunden hat. Und auf der Ebene kann man ja erst mal sagen, dass das ein Konzept ist, was ohnehin jetzt für alle, ganz schulenunabhängig ,für alle Praktiker irgendwie nicht wirklich passt. Und da gibt es ja auch schon ganz viele Studien, aus denen man einfach ganz deutlich sehen kann, niemand arbeitet jetzt Schritt für Schritt nach Manual. Die meisten Praktiker lesen auch überhaupt gar keine Wirksamkeitsforschung, sondern machen das, was sie halt selber gut finden und haben dann vielleicht das Vorurteil, dass das auch noch ganz besonders wissenschaftlich irgendwie zertifiziert worden ist. Also das ist ja erst mal auch auf der Ebene ein schlechtes Passungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis. Und jetzt gibt es vielleicht noch mal spezifisch für die systemische Therapie ein paar Punkte, die ganz besonders auf die konzeptuellen Grundlagen zielen und damit schlecht vereinbar sind. Zum Beispiel, dass man besondere Aversionen schon hat, als systemisch praktizierender Therapeut irgendwelche Diagnosen zu geben. Und die Idee, die dahintersteht, wäre zum Beispiel: Diagnosen, die verfestigen irgendwie die Krankheitsidee, die führen dazu, dass man sich gerade nicht mehr ändert, die müssen gerade verflüssigt werden. Und das ist ja auch ein total sinnvoller Gedanke, der dahintersteckt. Aber auch da müsste man jetzt im Prinzip sagen, es kommt drauf an – wie eigentlich immer. Mag sein, dass diese Perspektive sehr hilfreich ist in der Therapie. Mag aber auch sein, ... ich habe viele Patienten erlebt, für die die Diagnose eine große Erleichterung gewesen ist und zu viel eher heilsamer Entwicklung beigetragen hat. Und die Frage, die man sich in der Therapie stellen muss – um jetzt wieder auf deine Ursprungsidee zurückzukommen – ist ja immer: Welche Bedeutung geben eigentlich Patienten welchem Phänomen? Und die Bedeutung, die Patienten einer Intervention geben, die Patienten überhaupt Entwicklungen in ihrem Leben geben, die Patienten vielleicht auch der ganzen Therapie geben, die liegt nicht schon in den Phänomenen selber fest, sondern die ist, wenn man so will, hausgemacht vom psychischen System desjenigen, der eben diese Bedeutung gibt auf das, was ihn da trifft. Und jetzt ist dann eben die Frage, welche Bedeutung gebe ich zum Beispiel der Tatsache, dass ich eine Diagnose kriege, oder auch welche Bedeutung gebe ich jetzt einer bestimmten Intervention? Und wenn man es so sieht, dann kann man sich auch ziemlich leicht vorstellen, was an dieser ganzen RCT-Forschung eigentlich ziemlich Banane ist. Die stellt sich nämlich vor, dass Interventionen eine festliegende Bedeutung haben und dass die an sich wirksame oder unwirksame Interventionen sein könnten. Aber nach der konstruktivistischen Idee ist ja die allererste Frage: Welche Bedeutung hat denn überhaupt eine Intervention? Und nur weil ich jetzt zum Beispiel – um jetzt so eine grobe Unterscheidung einsichtsorientierte versus verhaltensorientierte Therapien ins Spiel zu bringen – nur weil ich eine einsichtsorientierte Therapie mache, könnte ein Patient dem trotzdem eine verhaltensbezogene Bedeutung geben und aus den Einsichten, die da kommen, vor allem das schätzen, was da an, sozusagen, Verhaltenskonsequenzen folgt. Genauso wie umgekehrt aus jeder Exposition vielleicht die Einsichten eine ganz besondere Rolle spielen, so dass schon auf der Ebene, die, wie die Therapie ganz allgemein konzipiert ist, aus einer Patientensicht eine ganz andere Bedeutungszuschreibung stattfinden kann. Und das ist ja gerade, wenn man mit systemischen Modellen auf die ganze Veranstaltung guckt, auch relativ logisch. Es gibt zum Beispiel von Heinz von Foerster dieses Modell der trivialen Maschinen oder eben nicht trivialen Maschinen. Das Bewusstsein ist eben keine triviale Maschine, sondern wenn da ein Input reinkommt, dann schaltet die erst mal ihren Eigenzustand ein. Und je nachdem, wie man dann so drauf ist, wie man das Ganze für sich selber zurechtlegt, wie man die Komplexität reduziert, oder wie auch immer man diesen Prozess nennen will, ist es jedenfalls eine Eigenleistung des Bewusstseins, die da ins Spiel kommt. Je nachdem ist dann eben auch der Output ein ganz anderer. Und auf der Ebene kann ich jeder Intervention, und sei sie noch so evaluiert, unschädlich machen, indem ich ihr einfach die Bedeutung gebe: Das passt für mich nicht, das ist irrelevant, was macht der Therapeut da für einen Quatsch, und schwupps ist es nicht mehr wirksam. Und das Entscheidende ist aber eben die Bedeutung und nicht die Idee, dass die Intervention ja aber jetzt wirksam sein musste, weil die aus irgendwelchen Studien dieses Siegel bekommen hat. Und in dem Sinne ist eben auch eine Diagnose positiv oder negativ, je nachdem. Vielleicht kann man auch da bestimmte allgemeinere Trends irgendwie ausmachen. Zum Beispiel der Thomas Schnell aus Hamburg, der hat da ganz interessante Forschung gemacht und kann zeigen, wie bestimmte Diagnosen eher liebgehabt werden und als andere, die jetzt eher aversiv sind. Aber letztlich ist es immer eine individuelle Frage, wie ich jetzt die Dinge, die mir angeboten werden, überhaupt erst wahrnehme, wie sie erkläre und auch, wie ich sie bewerte. Und ja, das betrifft jetzt letztlich alles, was in Therapien irgendwie wichtig sein könnte, inklusive eben der Methoden, die ich anwende. Es kommt auf die Struktur des Klienten an, auf die Bedeutungsgebung des Klienten, nicht auf die des Therapeuten. Und insofern sind vielleicht auch diese Schulen eher wichtig für Therapeuten und für die Strukturierung der Therapeuten-Realität und dafür, dass man als Therapeut weiß, was zu tun ist in einer Therapie. Und gleichzeitig sollte aber klar sein – und ist auch mit einer systemischen oder systemtheoretischen Konzeptualisierung klar – dass eben das Bewusstseinssystem des Klienten das Entscheidende ist, das man in den Blick nehmen muss und an dem man sich auch orientieren soll. Und das macht man eben nicht mit irgendwie vorab als wirksam definierten Methoden, sondern mit ganz scharfem Blick auf die konstruierten Bedeutungsgebungsprozesse des Klienten in seinen System-Umwelt-Verhältnissen, die dann bedeutsam sein können oder nicht. Auch das ist ja eine Frage: Ist der Familienkontext überhaupt bedeutsam für einen Klienten? Das ist ja auch nicht von vorne ab jetzt irgendwie klar, sondern das kann so sein oder kann nicht so sein. Je nachdem ist es dann auch sinnvoll, die Familie möglicherweise sogar in die Therapie einzubeziehen, oder eben nicht. Jetzt komme ich nochmal zurück auf den Ausgangspunkt der Frage. Denn aus dieser Sicht ist jetzt auch das medizinische Modell eine mögliche Bedeutung, die ein Patient annehmen kann oder auch nicht annehmen kann. Der große Vorteil dieses Modells: Man hat hier eine Krankheit, so ähnlich wie Husten, Schnupfen oder Heiserkeit. Dieses Modell ist erstmal ein sehr gut sozial eingeführtes, verständliches. Da hätte sogar meine Oma verstanden, was ich da eigentlich komisches mache in meinem Studium; hätte sie sonst vielleicht nicht so gut. Und ist deswegen etwas was, was sozusagen vielen Menschen vielleicht einleuchtet und darüber schon hilfreich sein kann. Und als eine Perspektive könnte man dann sagen: Ja, also soweit das hilfreich ist, dann sollen die Leute doch auch Diagnosen kriegen. Dann kann man auch sehr explizit damit in Therapien arbeiten. Und soweit das nicht hilfreich ist oder vielleicht auch problematische Aspekte hat – vielleicht wird es auch erst mal als hilfreich empfunden und erweist sich dann trotzdem als Schwierigkeit – dann kann man damit auf eine konstruktivistische Weise auch in der Therapie anfangen zu spielen. Und dieses Spiel kann man mitspielen. Und deswegen ist es auch überhaupt gar kein Widerspruch, jetzt auch das Spiel der evidenzbasierten Medizin irgendwie erst mal mitzuspielen und zu gucken, wie weit, sozusagen wer gewinnt eigentlich, wenn wir, wenn wir spielen oder wer wer kann Punkte machen? Und da würde ich sogar sagen, ist eigentlich sogar eine besondere Tugend von systemischen oder systemtheoretisch orientierten Therapeuten, sich auf so eine Perspektive einzulassen, die mal durchzuspielen, gerade dann vielleicht auch, wenn es nicht die eigene Perspektive ist. Ich finde, es ist eine ganz schöne Pointe, dass am Ende – wir haben das Spiel, wenn man so will, noch nicht ganz durchgespielt, ja, aber fast – am Ende ist eines der Ergebnisse gewesen, dass man eigentlich sagen könnte, ein bisschen pointiert, der Konstruktivismus ist eigentlich der Gewinner des positivistischen Wettbewerbs gewesen. Denn nach der Logik von Evidenzbasierung, Stand heute jedenfalls, ist die systemische Therapie so gut evaluiert wie keine andere Schule in Deutschland. Denn diese ausgefeilte Prüfung hier mit IQWiG und sozialrechtliche Anerkennung, die musste keine andere Schule in diesem Ausmaß durchlaufen. Also insofern ist der Konstruktivismus, nach positivistischen Kriterien, eigentlich state of the art und insofern, finde ich, ist das eine gewinnende Perspektive für jeden, der sich darauf einlassen will. Und ich kann nur dazu ermuntern, das einfach auch mal zu tun. Und neben daneben gibt es vieles andere. Und du hast ja auch schon erwähnt, dass, gerade wenn man sich an Therapieforschung orientiert, man auch sehr leicht einfach sehen kann: Es kommt halt, auch wenn man sich für Erfolg und Wirksamkeit interessiert, gar nicht primär auf große Schulen-Unterschiede an, – das mag auch ein Punkt wahrscheinlich eher unter "ferner liefen" sein – aber es gibt ganz viele andere Faktoren, die viel wichtiger sind. Vielleicht kommen wir gleich auch noch mal drauf, das sage ich auch gerne noch ein bisschen was zu, aber das ist mal wieder so ein bisschen ein Rahmen. Es gibt diese Perspektive, aber gerade die Psychotherapieforschung, wenn man sich da mal so ein bisschen rein liest, kommt eigentlich zu dem klaren Ergebnis: Da kommt es eigentlich überraschenderweise gar nicht drauf an, also überraschenderweise gemessen an den Maßstäben, die in unserem Gesundheitssystem immer noch angewandt werden. Eigentlich ist das eine total veraltete Sichtweise. Aus Sicht der Forschung müsste man sagen: Sie gilt halt immer noch, aber ist ja schön, wenn wir auch aus dieser Perspektive zeigen können, belegen können, dass wir da nicht irgendwie falsche Scheu haben müssen, sondern eben zeigen können, ja, die Kriterien erfüllen wir mindestens so gut wie die anderen auch.


Retzlaff Vielleicht kann ich da auf einen Punkt hinweisen, oder zwei, der in dem systemischen Feld, und insgesamt glaube ich, ein bisschen übersehen wird. Wir haben mehr erreicht als nur die Anerkennung der systemischen Therapie. In der Psychotherapie-Richtlinie ist verändert worden, dass auch psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen für die Genese von psychischen Erkrankungen, und das ist dort, innerhalb des medizinischen Modells, ein ziemlicher Paradigmenwechsel, das hat so vorher nach meiner Kenntnis nicht drin gestanden. Was auch eine große Veränderung ist: Ja, klar, man muss klassische Diagnosen und einen Behandlungsplan aufstellen, nur wird eben nicht eine Diagnose über den Patienten gestellt, sondern es gibt eine gemeinsame Problemdefinition. Das heißt im Rahmen eines Gespräches oder von kuratorischen Sitzungen versucht man zusammen mit dem Klienten, mit dem Patienten, ein Bild zu entwickeln, was los ist, wie es dazu kam und wo es hingehen soll. Das ist eigentlich ein partizipativer Prozess und nicht mehr dieses klassische Modell, wo ein externer Beobachter sagt, bei dir ist das so anders, sondern das ist eine gemeinsame Konstruktion, oder ein gemeinsames neues Narrativ, das entwickelt wird.


Beher Na ja, es sind ja vor allem auch zwei unterschiedliche Ebenen der Kommunikation. Also es ist ja ein Unterschied, ob ich jetzt mit der Krankenkasse kommuniziere und auf den Zettel meine Diagnose schreibe, und davon unterschieden jetzt der Kommunikationsprozess mit einem Klienten, mit dem ich das ja, je nachdem eben, was möglicherweise hilfreich sein könnte, so oder auch anders besprechen kann. Und das mit den Diagnosen ist ja ohnehin noch mal ein eigenes großes Thema. Also ich wäre da gar nicht so ganz klar der Meinung, das ist irgendwie alles Teufelszeug oder sowas, sondern im Gegenteil. Aber andersherum muss man natürlich auch gerade konstruktivistisch auch drauf gucken. Ja, schon die Tatsache, dass ja mit jedem neuen Manual die Zahl der Diagnosen sich irgendwie verdoppelt oder so, ist ja schon klar, dass da auch vieles jetzt nicht irgendwie als neue, gefundene, aus der Natur entdeckte Krankheit jetzt zu werten. Aber da liegt die Wahrheit, glaube ich, in keinem der Extreme. Und grundsätzlich die Frage, wie man auf die Probleme, mit denen man was zu tun kriegt, guckt. Da kann schon durchaus auch alles, was mit Diagnosen zu tun hat, eine hilfreiche Perspektive sein. Und die Diagnosen sind ja jetzt auch nicht irgendwie zufällig ausgedacht, oder? Sondern das steckt ja schon auch durchaus vieles an Expertise und Wissen drin und auch sehr vernünftigen Verallgemeinerungen, von denen man auch therapeutisch sinnvolle Strategien ableiten kann.


Retzlaff Ich sag gerne, viele Wege führen nach Rom, aber manche führen dort nicht hin.


Beher ... aber nicht alle ...


Retzlaff Als Howard Little mal bei einem Vortrag erzählt hat, na ja, dass Studien, auch RCT-Studien gezeigt haben, dass manche medizinische, aber auch psychologische Therapien richtig schaden, so dass die RCT-Studien abgebrochen werden mussten. Zum Beispiel, wenn man Leute direkt nach einer Traumatisierung bequatscht, dass sie erzählen, was los war in einer bestimmten Form, dann ist das beispielsweise kontraproduktiv. Da finde ich so eine Art grundlagenorientierte Therapieforschung sehr nützlich. Und ich glaube, das ist eine notwendige Geschichte, auch gegenüber den Kassen, auch gegenüber Patienten. Das ist aber nicht hinreichend, und es müssen viele andere Dinge dazukommen.


Beher Ja, und das wäre ja auch eine Forschung, die jetzt gar nichts mit einer bestimmten Schule zu tun hat. Natürlich ist psychologische Forschung relevant für das therapeutische Handwerk, um das zu bestreiten. Schon bei allen Unsicherheiten, die natürlich auch da drinstecken. Therapieforschung, das ist ein wahnsinnig anspruchsvolles Unterfangen, auf das man sich da einlässt, und so einen komplexen Prozess jetzt wissenschaftlich abbilden zu wollen und dann irgendwie allgemein rausfinden zu wollen, worauf kommt es an und worauf kommt es nicht an, also da stecken ja ganz viele Herausforderungen drin, und Schwierigkeiten. Und nichtsdestotrotz ist auch klar, dass es sich lohnt, sich dieser Herausforderung zu stellen. Und dass es auch viele Ergebnisse gibt, auch ganz viele auf einer ganz allgemeinen Ebene, die man kennen sollte und auf die es vielleicht auch in der Ausbildung viel mehr ankommen sollte als auf irgendwelche schulenspezifischen Interpretationen. Oder vielleicht daneben. Wie gesagt, ich würde auch sagen, auch die Schulen sind vielleicht gerade für Therapeuten wichtig als ein identitätsstiftendes Moment und als eine Heuristik, ein hilfreicher Hintergrund, um in jeder Situation eine Idee davon zu haben, was man als nächstes machen soll. Also wenn man es nicht auch ohne die Schule hat. Aber zumindest kann das dabei sehr helfen. Und dann, könnte man sagen, ist das eher wichtig für Therapeuten als für Klienten. Die lassen sich vielleicht auch gerne irgendwie als Objekte behandeln oder was weiß ich. Solange es halt hilfreich ist für die. Also viele Fragen, die in Therapeutenkreisen diskutiert werden, Menschenbild und so, das ist für für die wirkliche Therapie gar nicht so furchtbar relevant. Also in dem Sinne, ob es jetzt für die Klienten einen Unterschied macht, sondern die Frage ist, ob das hilfreich ist. Und da kann alles Mögliche hilfreich sein, und es kommt dann eben darauf an.


Retzlaff Na ja, ich meine, wir alle oder die meisten von uns haben den Führerschein gemacht, eine notwendige Voraussetzung. Wo man hinfährt und wie man unterwegs ist, das ist dann noch eine andere Frage. Und ob man auf den Kunden eingeht und ihn dahin fahren kann wo der hi möchte, muss man dann auch prüfen. Und dem ist es wahrscheinlich wurscht, ob man bei der Fahrschule A oder B gewesen ist. Aber jetzt wird es vielleicht doch ein bisschen sehr kritisch gegenüber anderen Theorien. Bei dir kommt ja eine große Begeisterung rüber, wenn du davon erzählst. Und was hat dir denn in diesem langen, langen Prozess am meisten Freude bereitet oder Spaß? Was waren so Momente, Highlights, in diesem Geschehen, auch in der Zusammenarbeit in unserer Gruppe.


Beher Also für mich war da von vornherein eine große Begeisterung, überhaupt die systemische Szene kennenzulernen. Und dann natürlich auch eine Ehre und irgendwie so etwas, wo ich auch durchaus stolz war, da mitmachen zu können, an sich mal schon für diese Sache einzutreten und mit einer entscheidenden Stelle dafür zu sorgen, dass diese Art von Therapie eine Anerkennung bekommt. Und da jetzt auch schon als noch kleiner Student so eine Rolle spielen zu können, das war natürlich für mich damals schon eine große Nummer, aus der viel Begeisterung gekommen ist. Das war total interessant und spannend. Vieles von den Zusammenhängen, wissenschaftlicher Beirat etc., das kannte ich ja alles auch noch überhaupt gar nicht und habe das erst kennengelernt, und das war schon ein Gefühl, ich bin da an was richtig Großem mit dran. Und dann gab es da Publikationen das war schon mal begeisternd und hat mir am Anfang vor allem das das Gefühl vermittelt, da bin ich Teil von was wirklich Tollem. Und dann war natürlich auch die Arbeit im Team – du warst ja auch dabei, Rüdiger – ich fand, wir haben uns gut verstanden. Ich fand auch, wir haben uns eigentlich gut ergänzt, wenn ich das noch mal so im Nachhinein reflektiere. Wir waren ja durchaus auch mit sehr unterschiedlichen Perspektiven dabei. Es gab ja einige Stellen, wo wir durchaus auch sehr unterschiedlicher Auffassung waren, aber ich habe das immer als einen sehr produktiven Prozess erlebt. Und Kirsten von Sydow, zum Beispiel, die als vielleicht die wichtigste Person dieser Expertise federführend dabei war, die hat eigentlich am ehesten so den positivistischen Blick verteidigt und dafür gesorgt, dass das auch alles in der richtigen Sprache formuliert wurde, die jetzt an den entscheidenden Stellen eben gesprochen worden ist. Du hast total gute Einsichten in diese ganzen berufsrechtlichen und organisatorischen Prozesse gehabt. Der Jochen ist auch total wichtig gewesen als der Übervater, der irgendwie das ganze Projekt in Harmonie mit der systemischen Szene verkauft bekommen hat. Und ich bin auch ganz gut als Arbeitssklaven am Anfang gewesen, der die ganzen Studien zusammengesucht hat. Habe mir dann relativ schnell so eine Spürfuchs-Kompetenz irgendwie angeeignet, diese ganzen Studien zu finden, was auch gar nicht so leicht ist. Gerade deswegen, weil eben in Amerika, wo ja die meiste Forschung stattfindet, das gar nicht unter systemisch irgendwie in den Datenbanken gespeichert ist, sondern da muss man schon ein bisschen ausgefeiltere Strategien anwenden. Bei familiy therapy kriegt man zu 95 % halt einfach behavioristische Familientherapie, und für systemic kriegt man gar nichts. Und dann muss man ein bisschen ausgefeiltere Strategien entwickeln, um die Studien zu finden. Das habe ich, glaube ich, ganz gut gekonnt. Dann habe ich immer ein bisschen mit "systemisch" genervt, weil ich damit überidentifiziert war. Und so war es dann, fand ich, eine ganz produktive Runde zwischen uns. Später ist noch der Markus Haun dazugekommen, der hat ja noch mal auf einem ganz anderen Niveau auch methodische Kompetenzen da reingebracht. Also ich fand, das war, gerade auch durch die Unterschiedlichkeit, eine sehr produktive Gruppe. Und dann hat natürlich auch Spaß gemacht, dass das Ganze auch erfolgreich war. Also wir haben ja wirklich ordentlich was auf die Beine gestellt, und am Ende sozusagen den wissenschaftlichen als auch den sozialrechtlichen Prozess erfolgreich fast zu Ende gebracht. Die Kinder- und Jugend-Anerkennung steht ja jetzt noch aus, aber der Erfolg macht ja dann durchaus auch sehr viel Freude. Und da kann ich mich dann auch an die eine oder andere Party zwischendurch erinnern, die wir miteinander gefeiert haben und wo wir angestoßen haben, und das waren ja auch alles dann sehr schöne Momente, wo man dann im Prozess immer wieder sehr positives Feedback hatte darüber, was da erreicht worden ist.


Retzlaff Ich finde wichtig, dass du dein Licht nicht unter den Scheffel stellst. Also einen sehr großen Teil der Studien hast du in Nachtarbeit gefunden. Das heißt, du hast da ja einen sehr hohen Anteil und du hast das ja auch, wir alle, aber auch du natürlich in einer besonderen Weise, hoch engagiert betrieben. Ich denke an die Therapie-Forschung zu allgemeinen Faktoren, dass Therapeuten, die in einer falsch verstandenen Weise neutral sind, lange nicht so gute Ergebnisse bringt wie jemand, der engagiert, sehr zielorientiert, sehr strukturiert, mit großer Begeisterung ein Ziel verfolgt und immer wieder sozusagen nachjustiert, ob man in die richtige Richtung geht. Also ich glaube, ohne solchen ganz persönlichen Einsatz wäre das in der Form und und dir auch gar nicht möglich gewesen. Also ich glaube, das ist schon ein toller Beitrag von dir.


Beher Es war ja tatsächlich Nachtarbeit. Ich habe meistens nachts gearbeitet, aber auch tagsüber. Also ich kann mich schon auch an ganze Nachmittage erinnern, die ich bei euch in der Heidelberger Bibliothek saß und alle Zeitschriftenbände einzeln nochmal ausgewertet habe, weil die damals noch gar nicht alle digitalisiert waren. Immer auf der Suche nach noch irgendwie einer Studie für den Diagnosebereich. Es war tatsächlich einige Arbeit, die da dringesteckt hat. Aber ich habe mich dafür ganz gut begeistern können. In der Therapie-Forschung wird das ja eher als ein Problem verkauft, also dass man sich für seine eigene Methodik oder sein eigenes Vorgehen total interessiert und dann eben deswegen bestimmte Effekte auftreten. Aber für die Intervention ist natürlich nur von Vorteil, wenn man sich auch für das begeistern kann, was man selber macht , oder jedenfalls von dem überzeugt ist, was man selber macht. Also das glaube ich schon, dass das nur von Vorteil sein kann.


Retzlaff Ja, lieber Stefan, damit haben wir eigentlich fast ein schönes Schlusswort, das du gesprochen hast. Jetzt komme ich mit einer Frage, die wir häufig in diesen Interviews stellen: Gibt es noch etwas, was nicht angesprochen ist, was du gerne mitteilen möchtest? Für die Hörerinnen und Hörer?


Beher Da fällt mir so spontan jetzt gar nichts ein. Vielleicht: Interessiert euch für Psychotherapie! Forschung ist ein total spannendes Gebiet mit vielen Erkenntnissen, die man durchaus auch für die Praxis nutzen kann. Interessiert euch für Systemtheorie. Eine tolle Theorie, die vielleicht nicht in all ihren Facetten sofort evidenterweise auch für Therapien Anwendung findet, aber die trotzdem vieles erklärt, was erklärungsbedürftig ist. Und drückt uns die Daumen für den Schlussspurt für die sozialrechtliche Anerkennung der systemischen Kinder- und Jugend-Therapie.


Retzlaff Ja, danke dir noch mal ganz herzlichen Dank für deine Zeit. Und einen schönen Tag noch und wir hören voneinander. Und liebe Hörerinnen und Hörer, danke dafür, dass Sie gelauscht haben.


Beher Bis dann. Danke auch. Tschüss.