Supervision

engl. supervision, franz. supervision f; bezeichnet ein systematisches Lehr- Lern-Verfahren, in dem fachlich-berufliches Handeln sowohl in Bezug auf die jeweiligen Adressaten (von Dienstleistungen oder anderen Arbeitshandlungen) als auch auf die jeweiligen institutionellen und gesellschaftlichen (Gesellschaft) Kontexte reflektiert wird. Supervision stellt heute eine professionell etablierte Methode dar, die insbesondere dann von zentraler Bedeutung ist, wenn Menschen mit Menschen zu tun haben und die Produkte dieser Zusammenarbeit für die Klienten, die Kunden, die Mitarbeiter etc. für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Lebensführung und -perspektive von nachhaltiger Bedeutung sind. Dies trifft klassisch für helfende (Helfen), beratende (Beratung), therapeutische (Therapie), pflegerische, erzieherische (Erziehung), bildende (Schule) und sozialadministrative Berufsgruppen zu – gleichermaßen aber für Tätigkeiten in Einrichtungen und Organisationen mit entsprechenden Koordinations- und Netzwerkaufgaben oder mit Personalverantwortung. Supervision als spezifisches Beratungsverfahren hat zum Ziel, professionelle Arbeit hinsichtlich der Lösung konkreter Probleme und der kontinuierlichen Weiterentwicklung zu unterstützen, wobei das handelnde Individuum und die beteiligten Sozialsysteme in ihren Wechselbeziehungen im Blickfeld stehen. Supervision leistet so einen Beitrag zur Qualitätssicherung und kann als ein Element in der Organisationsentwicklung (Organisation) eingesetzt werden. Entsprechend kann Supervision in verschiedenen Settings als Fallsupervision, Einzelsupervision, Gruppensupervision, Teamsupervision und Leitungssupervision; inzwischen wird auch Online-Supervision angeboten (Reiners 2010). In Profitbereichen wird derzeit die Bezeichnung Coaching für Einzelsupervision und »Teamentwicklung« für Teamsupervision bevorzugt.


Die Entwicklung der Supervision ist eng mit der Entwicklung und Professionalisierung der Sozialen Arbeit verbunden. Im Zusammenhang mit Industrialisierung und Verelendung der Arbeiterfamilien (Familie) in den USA des 19. Jh. wurden friendly visitors von der Armenfürsorge/ Sozialadministration eingesetzt, die Gelder an besonders bedürftige Familien verteilten. Schnell wurde deutlich, dass diese Ehrenamtlichen der Begleitung bedurften; diese Begleitung hatte den Zweck, einerseits die Verausgabung der öffentlichen Gelder zu kontrollieren und andererseits den ehrenamtlichen visitors selbst notwendige Hilfe (Helfen) bei der Einschätzung der Not im jeweiligen Fall der Familie (sowie bei der Verarbeitung der Erfahrungen) zu gewähren. Folgend wurden aus dem Kreis der bezahlten Administrationskräfte die ersten Supervisoren als Praxisanleiter eingesetzt. Im Weiteren entwickelte sich – im Sinne der kosteneffektiven Hilfe zur Selbsthilfe – das Konzept des Case Managements, das ebenso wie die Supervision selbst als Methode nach dem Zweiten Weltkrieg in die BRD »zurückkehrte«. Namhafte Sozialwissenschaftler und (Sozial-)Psychologen hatten vor dem NS-Regime fliehen müssen und in den USA Exil gefunden und unterstützten nach 1945 den demokratisierten Wiederaufbau Deutschlands vor allem im Bereich der Lehrer- und Trainerausbildung (Gruppenarbeit) sowie der Ausbildung zur Sozialen Arbeit. Beispielsweise sind Paul Bernstein und Louis Lowy, Gisela Konopka, Walter Friedländer, Ruth Cohn u. a. zu nennen (Kadushin, Weigand, Wieringa et al. 1990, S. 4–57). Aufgrund dieses geschichtlichen Erbes ist auch heute die Fallsupervision noch sehr dominant, auch der Terminus Supervision bleibt doppeldeutig – im Sinne von »Kontrolle« und/oder »Überblick«. Im englischsprachigen Raum wird daher supervisor eher für die interne, weisungsbefugte Leitungsfunktion und process consultant für die beraterische, reflexive Begleitung durch Externe benutzt.


Die Professionalisierung der Supervision vollzog sich in den deutschsprachigen Ländern (in der BRD, in Österrreich und der Schweiz) sehr rasch: 1964 bot der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. die erste Fortbildung für Supervision an. In den 70er-Jahren etablierte sich die Supervision als Praxisbegleitung in der Fachhochschulausbildung zur Sozialen Arbeit (inklusive der Sozialpädagogik), und nur wenige Jahre später entwickelten diverse Weiterbildungsinstitute zertifizierte Weiterbildungen. 1989 wurde die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv) gegründet, die seitdem für die professionellen Standards in Ausbildung und praktischer Anwendung steht (bei aktuell ca. 3700 Mitgliedern). Tätige – nach den Standards qualifizierte – Supervisoren können über eine entsprechende Datenbank gefunden und angesprochen werden. In Österreich übernimmt die Österreichische Vereinigung für Supervision, in der Schweiz der Berufsverband für Supervision, Organisationsberatung und Coaching die oben genannten Aufgaben. Alle deutschsprachigen Dachverbände sind Mitglieder der ANSE (Association of National Organisations for Supervision in Europe). Im Rahmen des Bologna-Prozesses wird die Ausbildung zum Supervisor akademisiert und zunehmend als Masterstudiengang an Hochschulen angeboten.


Zu den grundlegenden Standards der Profession gehören: die Schließung eines Kontraktes zwischen dem Supervisor und dem Supervisanden, wobei der Arbeitgeber oder die Institution als Auftraggeber und Finanzier den Vertrag befürwortet bzw. unterzeichnet (»Dreieckskontrakt«). Die Entscheidung zur Teilnahme an einer Supervision und die Wahl des Supervisors liegen ganz im Ermessen der Supervisanden. Hierzu findet ein Kontraktgespräch statt, bei dem Anliegen und Arbeitsmethoden erläutert sowie konkrete Ziele der Supervision benannt und vereinbart werden. Die Supervisionsarbeit unterliegt der Verschwiegenheitspflicht, und Arbeitsergebnisse werden ausschließlich in Absprache mit den Supervisanden an den Auftraggeber (die Organisation) vermittelt. Die Haltung des Supervisors ist neutral bzw. allparteilich, was durch externe Supervisoren besser gewährleistet ist als durch interne Mitarbeiter. Inwieweit eine spezifische Feldkompetenz notwendig ist oder sogar eher bezüglich der Perspektivenerweiterung und Innovation kontraproduktiv ist, muss im Einzelfall von den Kontraktbeteiligten entschieden werden (Pühl 1994, S. 11–68). Grundsätzlich zeichnet sich das Methodenrepertoire der Supervision durch eine große Vielfalt aus. Techniken der Gesprächsführung und Beratung (personenzentrierte Ansätze), der Gruppendynamik, der Gestaltpsychologie (inklusive kreativer Ausdruckstechniken) kommen ebenso zum Einsatz wie psychoanalytisch basierte Arbeitsweisen wie etwa in der Balint-Gruppenarbeit und der Aufstellungsarbeit (Aufstellungen) (z. B. nach Virginia Satir).


Entsprechend dem grundlegenden reflektorischen Ansatz der Supervision bieten sich insbesondere systemisch-konstruktivistische/-sozialkonstruktionistische Denk- und Handlungskonzepte an. Sie sind gekennzeichnet durch die Akzeptanz der Kontingenz menschlicher Wahrnehmung, Deutung und Sinnentwicklung, entsprechende Perspektivenvielfalt und eine allparteiliche professionelle Neugier, die sich der Wechselwirkung zwischen den verschiedenen personalen und sozialen Systemen bewusst ist. Menschliche Wirklichkeiten sind stets ko-konstruierte Wirklichkeiten, die so oder auch so ausfallen können und ebenso unterschiedlich gestaltbar sind. Der »ethische Imperativ« des Kybernetikers Heinz von Foersters (1985, S. 41): »Handle stets so, dass sich die Anzahl deiner Möglichkeiten vergrößert«, trifft die Anforderungen der Supervisionspraxis im Kern, nämlich zur Problemlösung, zur Innovation und zur Qualitätssicherung beizutragen. Die Beobachtung 2. Ordnung (Beobachten des Beobachters, der man auch selbst sein kann) und die Metakommunikation (Kommunikation über die Kommunikation; die Konzentration auf das Wie der Kommunikations- und Austauschprozesse und der multiperspektivische Dialog hierüber), Techniken der lösungsorientierten Arbeit nach Steve de Shazer, der dialogische Ansatz nach Tom Anderson (Reflektierendes Team) sowie die verschiedenen Ansätze der narrativen Arbeit (beeinflusst von Kenneth Gergen) spiegeln die zentralen Ansätze systemischen Arbeitens wider.


Verwendete Literatur


Foerster, Heinz von (1985): Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Heidelberg (Carl-Auer), Online-Ausgabe 2006.


Kadushin, Alfred, Wolfgang Weigand u. Cornelis F. Wieringa et al. (Hrsg.) (1990): supervision – Zeitschrift für berufsbezogene Beratung in sozialen, pädagogischen und therapeutischen Arbeitsfeldern (18), S. 4–57.


Kersting, Heinz J. u. Heidi Neumann-Wirsig (1992): Supervision. Konstruktion von Wirklichkeit. Aachen (IBS).


Weiterführende Literatur


Neumann-Wirsig, Heidi (Hrsg.) (2009): Supervisions-Tools: Die Methodenvielfalt der Supervision. Bonn (ManagerSeminare).


Pühl, Harald (Hrsg.) (2009): Handbuch Supervision und Organisationsentwicklung. Wiesbaden (VS), 3., aktual. u. erw. Aufl.


Systhema – Zeitschrift des Instituts für Familientherapie e. V.


Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung.